Bibel-Leseschule

Kirche in der Mitte der Gesellschaft

Was sagt die Bibel über die Leitung von Pfarrgemeinden? Ein Blick in die sogenannten Pastoralbriefe der Heiligen Schrift.

Wie seit 2019 der Pfarrverband Geisenhausen wurden auch frühchristliche Gemeinden von kollegialen Teams geleitet. © Kiderle

Zum Slogan „Frauen ins Amt“ hätte der Autor der Pastoralbriefe (1–2 Tim; Tit) eine sehr klare Meinung gehabt. Diese Gruppe von Briefen im Neuen Testament ist berüchtigt für eine Position, der man das Attribut „frauenfeindlich“ nicht gut absprechen kann. Besonders deutlich wird das in 1 Tim 2,9–15, einem Text, der von Frauen zunächst – wie von Männern – Besonnenheit und Anstand einfordert, dann aber auch Unterordnung und Stillschweigen, der jede Lehrtätigkeit von Frauen kategorisch ausschließt und zur Begründung auf Adam und Eva zurückgeht, der schließlich das Heil für Frauen vor allem im Gebären von Kindern sieht (so auch 1 Tim 5,14).

Frauen in kirchlichen Ämtern sind für diesen Autor schlichtweg ein Unding. Auch in 1 Tim 5,3–16 zieht er heftig vom Leder, um die seelsorgerliche Tätigkeit von Witwen zu beschränken.

Leitung durch ein Kollegium 

Auch wenn der 1. Timotheusbrief nicht von Paulus selbst verfasst ist, gehört er doch zum neutestamentlichen Kanon. Es mag ein schwacher Trost sein, dass der Autor in 1 Tim 5 nicht nur die Witwen ins Visier nimmt, die in vielen frühchristlichen Gemeinden eine organisierte Gruppe mit pastoralem Auftrag waren, sondern auch die Ältesten (griechisch: presbýteroi, davon das deutsche Wort „Priester“, „Presbyter“) etwas prekär dastehen lässt (1 Tim 5,17–22).

Ein Kollegium von Ältesten war in neutestamentlicher Zeit häufig für die Leitung und auch die Finanzen einer Gemeinde verantwortlich. Das Modell „Leitung durch ein Kollegium“ ist in mehreren Texten des Neuen Testaments (Apostelgeschichte, Jakobusbrief, 1. Petrusbrief) und auch darüber hinaus bezeugt. Bis etwa zur Mitte des zweiten Jahrhunderts war es wohl weit verbreitet. Gelegentlich werden die Presbyter auch als „Episkopen“ bezeichnet (griechisch: epískopos: Aufseher, Überwacher; davon das deutsche Wort „Bischof“), es bleibt aber eine Gruppe von mehreren Amtsträgern.

Die Pastoralbriefe


Unter dem Begriff „Pastoralbriefe“ fasst man den 1. und 2. Timotheusbrief und den Titusbrief zusammen. In allen drei Briefen geht es vorwiegend um Amtsträger in christlichen Gemeinden; für ihren Dienst wird das Bild des Hirten (lateinisch: pastor) verwendet. Der 2. Timotheusbrief erscheint wie ein „Testament“ des Paulus. Die drei Briefe sind einander in Sprache und Stil sehr ähnlich, unterscheiden sich aber gerade darin von den unstrittig echten Paulusbriefen. Sie setzen voraus, dass die christlichen Gemeinden eine entwickelte Organisation haben, auf eine Geschichte zurückblicken und sich in der Gesellschaft eingerichtet haben. Daher nimmt man an, dass diese Briefe nicht von Paulus selbst, sondern im frühen zweiten Jahrhundert, circa 40 oder mehr Jahre nach dem Tod des Paulus, geschrieben wurden.

Davon unterscheidet sich das Modell kirchlicher Ämter, das in den Pastoralbriefen begegnet, vor allem in 1 Tim 3. Aus katholischer Sicht mutet es fast modern an: An der Spitze der Gemeinde steht ein Bischof, dem Diakone zuarbeiten. Der Text formuliert auch Anforderungen an den Bischof und die Diakone. Zumeist sind es Anforderungen, die sich an jedes exponierte Amt stellen lassen: Nach 1 Tim 3,2–7 soll der Bischof zum Beispiel besonnen sein, kein Trinker, nicht geldgierig – und kein Neubekehrter.

Einige dieser Anforderungen lassen aufhorchen: Der Bischof soll Ehemann einer einzigen Frau sein (1 Tim 3,2) und seiner eigenen Familie gut vorstehen, was einschließt, dass er seine Kinder unter Kontrolle hat (1 Tim 3,4–5).

Bewährte Führungskraft

Mit „Familie“ ist hier aber nicht die biedermeierliche Kleinfamilie gemeint; das griechische Wort oíkos bezeichnet das „Hauswesen“, das auch Sklaven und Freigelassene einschließt – also Familie als wirtschaftliche Größe. Der Bischof soll sich im eigenen Unternehmen als Führungskraft bewährt haben, bevor er sich an der Leitung einer christlichen Gemeinde versucht.

Der letzte Vers des Abschnitts fasst das Anliegen zusammen: Der Bischof soll auch bei Außenstehenden einen guten Ruf haben (1 Tim 3,7). So entsteht das Bild vom Bischof als einem Angehörigen der Oberschicht, der in dieser Position nach den Standards der hellenistischrömischen Gesellschaft seine Rolle hervorragend ausfüllt. Die Sorge um die Außenwirkung kirchlichen Personals klingt auch in der strengen Passage über die Witwen an (1 Tim 5,14): Keinesfalls soll Außenstehenden oder gar Gegnern ein Anlass zu übler Nachrede geboten werden.

Damit ist ein Leitmotiv der Pastoralbriefe genannt: Für den Autor steht das Christentum in der Mitte der Gesellschaft – keine Rede von Entweltlichung oder Weltflucht. In der jeweils gegebenen Gesellschaft soll eine christliche Gemeinde attraktiv und überzeugend wirken. Ihre Strukturen, auch die Ausgestaltung der Ämter, sind daran zu messen, ob sie dazu dienen, dass die Menschenfreundlichkeit Gottes (Tit 3,4) allen Menschen zugutekommt (1 Tim 2,4; 4,10). (Stephan Witetschek, Privatdozent für Neutestamentliche Exegese, Leiter des Projekts „Memoria Apostolorum“ an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München)