Offener Brief von Carlo Maria Vigano

Kardinal Müller relativiert Vigano-Brief

Die Relativierungen bedeuten allerdings keine Rücknahme der Äußerungen. An seine Kritiker hat der ehemalige Bischof von Regensburg eine klare Botschaft.

Kardinal Müller wehrt sich gegen den Vorwurf, Verschwörungstheorien zu verbreiten. © Imago

Hamburg/Würzburg – Kardinal Gerhard Ludwig Müller hat sich in mehreren Zeitungsinterviews gegen den Vorwurf gewehrt, er verbreite Verschwörungsmythen. "Man gesteht einander einfach keinen guten Willen zu", sagte der frühere Präfekt der römischen Glaubenskongregation der "Zeit" (Donnerstag). Der katholischen Wochenzeitung "Die Tagespost" sagte Müller, bei dem Vorwurf handle es sich um "wohlfeile Schlagzeilenmacherei" und ein "taktisches Spiel, um selbstständig Denkende anzuprangern".

Der Kardinal reagierte mit seinen Einlassungen auf die anhaltende Kritik an einem Brief von Erzbischof Carlo Maria Vigano, den er mit unterschrieben hatte. Inzwischen sollen sich rund 30.000 Menschen dem Schreiben angeschlossen haben.

Ein Appell zum Nachdenken

Darin wird unter anderem gewarnt, die Corona-Pandemie solle genutzt werden, um eine "Weltregierung" zu schaffen, "die sich jeder Kontrolle entzieht". Sie werde als Vorwand genutzt, um "Grundfreiheiten unverhältnismäßig und ungerechtfertigt" einzuschränken. So ernst der Kampf gegen Covid-19 sein möge, dürfe er nicht "als Vorwand zur Unterstützung unklarer Absichten supranationaler Einheiten dienen, die sehr starke politische und wirtschaftliche Interessen verfolgen".

Müller betonte in den Interviews, "keine einzige Zeile" in dem drei Seiten langen Text stamme von ihm. Aber er habe Vigano, dem man "böse mitgespielt hat und der sehr isoliert ist", auf seine Bitte nicht schroff eine Absage erteilen wollen. Das Papier sei "wie auch so mancher Text aus der Deutschen Bischofskonferenz nicht der Weisheit letzter Schluss", sondern als "Appell zum Nachdenken" zu verstehen.

"Es steht mir zu"

So sei etwa "die Drohung öffentlich gefallen, sieben Milliarden Menschen zu zwangsimpfen, auch wenn noch keine ausreichende Erprobung der Medikamente erreicht ist, und ihnen widrigenfalls Grundrechte zu entziehen", ergänzte Müller, ohne Quellen zu nennen.

Dass die Deutsche Bischofskonferenz auf Distanz zu dem Papier gegangen sei, kommentierte der Kardinal mit den Worten: "Die Bischofskonferenz hat sich auch von der Forderung des Papstes distanziert, die Neuevangelisierung an die Spitze der katholischen Reform zu stellen. Das belastet mich und nicht die Distanzierung vom einem Dreiseitentext." Mit ihm selbst habe auch keiner der Bischöfe gesprochen.

Weiter betonte Müller, viele Vorsichtsmaßnahmen gegen die Pandemie seien anfangs sicher richtig gewesen, doch dürfe man damit nicht jegliches Verbot rechtfertigen: "Es steht mir doch zu, Kirchenschließungen zu kritisieren, wenn Supermärkte geöffnet sind."

Wachsamkeit erfordert

Auf die Frage, ob die Idee einer Weltregierung nicht klassisch verschwörungstheoretisch sei, antwortete Müller: "Wer die Geschichte kennt, der weiß, dass es schon oft den Griff nach der Weltherrschaft gab - durch den Faschismus wie durch den Kommunismus." Niemand könne leugnen, dass heute mit modernsten technischen Methoden eine totale Kontrolle der Bevölkerung möglich wäre - "etwa durch Social Scoring in China".

In der Demokratie seien solche Versuche vielleicht zum Scheitern verurteilt, aber "eine gewisse Wachsamkeit erfordert die Sicherung von Freiheit und Selbstbestimmung auch heute. Die Kritiker des Briefes blenden völlig aus, dass es illiberale Maßnahmen, wie sie im Brief angesprochen sind, tatsächlich gibt". (Christoph Renzikowski / Gottfried Bohl /KNA)