Meinung
Gutachten zu sexuellem Missbrauch

Kardinal Marx will veränderte Kirche

Der Münchner Erzbischof Reinhard Marx hat auf einer Pressekonferenz zum Missbrauchsgutachten deutlich gemacht, dass er eine grundlegende Veränderung in der Kirche will. Ein Kommentar dazu von Chefreporter Alois Bierl.

Ernst, besorgt, bedrückt: Kardinal Marx und die Bistumsspitze stehen auf einer Pressekonferenz in der Katholischen Akademie in München Rede und Antwort über das jüngste Missbrauchsgutachten. © Kiderle

Es hätte etwas mehr sein dürfen. Es hätte auch etwas genauer sein sollen. Die Pressekonferenz von Kardinal Marx und seinen engsten Mitarbeitern zum jüngsten Missbrauchsgutachten hat viele Fragen offengelassen.

Seelsorger für Missbrauchsbetroffene

Immerhin wird es in Zukunft einen Seelsorger und eine Seelsorgerin für von sexualisierter Gewalt betroffene und traumatisierte Menschen geben. Viele Opfer wollen das Erlebte mit einem Seelsorger noch einmal durcharbeiten und auf ihren oft erschütterten Glauben schauen. Die Pressekonferenz wäre auch eine gute Gelegenheit gewesen, ein vom Bischof unabhängiges kirchliches Verwaltungsgericht, mehr Gewaltenteilung im Erzbistum anzukündigen. Ebenso wie die von den Gutachtern vorgeschlagene Ombudsstelle. Eine Neuausrichtung der Priesterausbildung. Eine Besuchsoffensive in den Pfarreien, um die Gläubigen und die oft ratlosen Ehrenamtlichen zu unterstützen. Nach der enormen Druckwelle, die das Gutachten ausgelöst hat, geht es jetzt darum, die Trümmer zu beseitigen.  Zu prüfen, welche Fundamente noch halten und wo neue gelegt werden müssen.

Kardinal Marx will nicht mehr einsamer Entscheider sein

Es ist ein gewaltiger Fortschritt, dass Kardinal Reinhard Marx hier nicht als einsamer Entscheider aufräumen will. Er stellt sich in den Dienst des Neuaufbaus. Er will aber seinen Posten räumen, wenn andere glauben, dass er diesem Neuaufbau im Wege steht. Und allein die Aufräumarbeiten sind gewaltig, die schafft auch kein Superbischof alleine.  Es ist ja das Bedrückende an diesem Missbrauchsskandal, dass durch ihn die Glaubwürdigkeit fast aller kirchlichen Anliegen leidet: Vom Lebensschutz bis zum Engagement für Arme oder Flüchtlinge. Für diese Aufgaben benötigt die Kirche ihr moralisches Ansehen. Es wird viele Jahre dauern, es wieder aufzubauen.

Kirche vor gewaltigem Veränderungsprozess

Und Kardinal Marx weiß, dass alleine der Klerus das nicht schaffen kann und auch nicht soll. Denn durch dieses Denken, dass nur die Hierarchie alles richten und entscheiden muss, haben sich eine Priesterkaste und  ein System von Abhängigkeiten, Gefälligkeiten und ein Gefühl der Unangreifbarkeit herausgebildet. Kardinal Marx will die lange vernachlässigte Synodalität in der katholischen Kirche wieder beleben. Sie ist ein uraltes Prinzip: „Wer allen vorstehen soll, muss auch von allen gewählt werden.“ Dieses Motto hat sich nicht "Maria 2.0" oder "Wir sind Kirche" ausgedacht, sondern Papst Leo der Große im 5. Jahrhundert. Es fordert, alle Gläubigen zu beteiligen. Natürlich gibt es Bischöfe und Katholiken, die befürchten, dass sich die Kirche radikal, also bis an die Wurzel verändern könnte. Ja, aber was denn sonst. Glaubt jemand ernsthaft, es könnte jetzt so weiter gehen wie bisher.

Klare Richtlinien gegen sexuellen Missbrauch reichen nicht

Es reicht nicht mehr, ein paar schärfere Richtlinien gegen sexuellen Missbrauch zu erlassen, mit den Opfern Entschädigungen auszuhandeln und dann wieder in den alten abgeschotteten Machtgewohnheiten zu landen.  Kardinal Marx sagt von sich selbst, ein Mann dieses alten Systems zu sein. Vielleicht hat er gerade deshalb eine wichtige Aufgabe: Um zu zeigen, dass auch Repräsentanten dieses alten Systems lernen und sich umorientieren wollen. Weil sie wissen, dass Christus eine lebendige Kirche und keinen versteinerten Apparat braucht, der alle Fenster gegen den Windzug des Heiligen Geistes zugemauert hat. Kardinal Marx gehört zu ihnen, auch wenn er die Umbaupläne und Fensterdurchbrüche bei dieser denkwürdigen Pressekonferenz genauer hätte vorstellen können. Aber er hat dort ja versprochen, dass sich schon im nächsten Jahr vieles verändert haben wird. Und es gibt genügend Gremien oder Gruppen von Gläubigen und Theologen, die ihm dafür schon erste Blaupausen dafür liefern können. 

Der Autor
Alois Bierl
Chefreporter Sankt Michaelsbund
a.bierl@michaelsbund.de