Interview

Kardinal Marx: „Macht muss geteilt werden“

Kurz vor Beginn des Synodalen Wegs spricht Kardinal Reinhard Marx, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, über seine Erwartungen an dieses Treffen.

Kardinal Reinhard Marx im Interview zum Synodalen Weg. © Kiderle

Herr Kardinal, bald beginnt der Synodale Weg in Deutschland. Die Erwartungen sind riesig. Was darf man realistisch erwarten?

Kardinal Reinhard Marx: Man darf erwarten, dass sich Priester, Bischöfe und Laien gemeinsam Gedanken machen, wie wir in dieser schweren Umbruchzeit und Krise in die Zukunft gehen. Wir wollen die Kirche nicht neu erfinden. Aber wir haben das Notwendige und Mögliche zu erkennen und dann zu tun. Wir können nicht ausweichen und die Situation schönreden.

Was steht am Ende des Synodalen Wegs?

Marx: Das weiß ich nicht, sonst wäre ich ja selber der Synodale Weg. Ich hoffe, dass am Ende eine größere Einmütigkeit und Motivation steht, eine größere Klarheit, wie wir weitergehen wollen.

Was erhoffen Sie sich in den einzelnen Themenforen?

Marx: Der Ausgangspunkt war die Diskussion um die Missbrauchskrise. Das wird immer schnell vergessen, weil man meint, die Krise sei vorüber. Nein, wir haben uns den Ursachen und Konsequenzen noch nicht ausreichend gestellt. Die Themen des Synodalen Wegs sind aus der Studie über den Missbrauch erwachsen. Es ist auffällig, dass die Wissenschaftler dieselben Fragen aufwerfen, die schon seit längerem in der Kirche diskutiert werden.

Was erwarten Sie konkret im Themenfeld Macht und Gewaltenteilung?

Marx: Auch wenn wir in der Kirche in Deutschland eine längere Tradition der Mitverantwortung haben, ist mehr nötig. Macht muss geteilt und kontrolliert werden. Wir müssen sagen können, wir sind in den Entscheidungen transparent, wir haben klare Verantwortlichkeiten, es gibt eine Kontrolle der Macht, etwa durch Verwaltungsgerichtsbarkeit und Nachprüfbarkeit von Entscheidungen. Das ist alles im Ansatz im jetzigen Recht da. Aber da ist noch nicht das erreicht, was man erreichen müsste. Darüber sollte man reden.

Was erhoffen Sie bei der Sexualmoral?

Marx: Dass ein Mann und eine Frau wünschen, eine lebenslange Beziehung zu haben, sich für immer zum anderen zu bekennen und das auch in der sexuellen Liebe auszudrücken, ist doch für die meisten Menschen ein richtiges Ideal. Es ist also gar nicht so abwegig, was die Kirche zur Sexualität sagt. Aber wie gehen wir mit Scheitern und Suchbewegungen um? Wie gehen wir mit veränderten sozialen und kulturellen Voraussetzungen um? Sexualität ist etwas Gutes, ein großes Geschenk Gottes. Das sollten wir sagen. Lange Zeit haben wir den Zeigefinger gehoben und gemeint, Sexualität sei eigentlich etwas Gefährliches und Schlechtes.

Was erhoffen Sie bei der Frage der priesterlichen Existenz und Lebensform?

Marx: Wir können die katholische Kirche nicht verstehen ohne die Gestalt des Priesters und damit der Heiligen Eucharistie. Manche meinen ja gleich, wenn man über das Thema spricht, soll diese zentrale Rolle relativiert werden. Nein. Der katholische Priester ist ein Erkennungsmerkmal, ist Teil des Profils der katholischen Kirche. Aber was bedeutet das? Ich hoffe auf ein Klima, in dem man offen überlegen kann, was wir gemeinsam tun können, damit die Gestalt des Priesters wieder neu leuchtet, die durch die Missbrauchstäter so beschädigt wurde.

Es geht dabei auch um die priesterliche Ehelosigkeit.

Marx: Ja, diese Lebensform ist eine besondere Herausforderung. Der Zölibat ist aber – denke ich – nicht so gedacht, dass Priester alleine in großen Pfarrhäusern leben und sich aus dem Kühlschrank versorgen. Man muss diese Lebensform einbetten in ein soziales Miteinander, eine Lebenskultur entwickeln. Es geht um eine ganzheitliche Berufung und nicht nur um einen Verzicht auf Sexualität. Diese Berufung geht nicht nur die Priester an, sondern das ganze Volk Gottes. Das kann dieser Themenbereich voranbringen. Es wäre sehr traurig, wenn es nur darum ginge, wann wir den Zölibat abschaffen. Ich will ihn jedenfalls nicht abschaffen! Aber schon bei der Amazonassynode haben wir diskutiert, ob man über Ausnahmen vom Zölibat neue Wege zum priesterlichen Dienst eröffnen kann.

Was erhoffen Sie sich beim vierten Forum, in dem es um die Rolle von Frauen geht?

Marx: Unabhängig von der Frage nach der Zulassung zu den Weiheämtern ist die Beteiligung von Frauen in verantwortlichen Positionen in der Kirche absolut notwendig. Das gilt bis in die Bischofskonferenz, in die Synoden hinein. Ich kann mir in Zukunft nicht vorstellen, dass bei einer Synode 200 Männer zusammensitzen und alleine über die Kirche beraten. Das ist nicht gut. Warum soll nicht am Ende des Synodalen Weges ein Vorschlag stehen, dass Synoden auf Weltebene oder auch auf nationaler Ebene die Laien und besonders die Frauen stärker berücksichtigen, nicht nur als Berater, sondern auch mit einer Stimme?

Gilt das auch für die Bischofskonferenz?

Marx: Wollen wir in Zukunft Bischofskonferenzen, wo nie Frauen oder überhaupt Laien präsent sind? Wir wollen nicht im geschlossenen Kreis über die Zukunft der Kirche reden. Ich kann mir eine Kirche der Zukunft ohne eine wirkliche Mitverantwortung von Frauen und Männern in den Entscheidungen nicht vorstellen.

Chefredakteurin der Münchner Kirchenzeitung, Susanne Hornberger, und Chefredakteur Verlag Bistumspresse, Ulrich Waschki, im Gespräch mit Kardinal Reinhard Marx.

Anfangs war von einem „verbindlichen Synodalen Weg“ die Rede. Diese Verbindlichkeit war ein Streitpunkt zwischen Rom und Deutschland. Über die Umsetzung der Beschlüsse entscheidet jetzt jeder Bischof selbst. Von einem verbindlichen Weg kann man nicht mehr sprechen.

Marx: Verbindlich bedeutet, dass wir abstimmen und Beschlüsse fassen. Natürlich muss jeder Bischof entscheiden, ob und wie er diese umsetzt. Die Satzung sieht vor, dass jedem Beschluss jeweils zwei Drittel der Bischöfe zustimmen müssen. Das war für einige etwa im Zentralkomitee der deutschen Katholiken durchaus schmerzhaft. Aber die besondere Verantwortung der Bischöfe wird selbstverständlich gesehen. Wir sind katholisch! Der Synodale Weg soll nicht im Nirgendwo enden, sondern am Ende möglichst klare Ergebnisse oder Voten haben. Und wenn zwei Drittel der Bischöfe Dingen zustimmen, die bei uns in Deutschland geregelt werden können, werden diese das dann wohl auch umsetzen.

Kritiker halten den Synodalen Weg für Selbstbeschäftigung. Was sagen Sie denen?

Marx: Wir fragen uns, was wir als Kirche heute tun können, um glaubwürdig die Botschaft Christi verkünden zu können. Unsere Glaubwürdigkeit ist erheblich durch uns selber beschädigt worden und nicht durch irgendwelche bösen Feinde von außen. Wir sind selber oft ein Hindernis. Das muss man doch angehen! Deswegen ist es eine Selbstbeschäftigung im Sinne einer Selbstkritik. Und die ist der Ausgangspunkt jeder Umkehr. Und das ist doch ein geistlicher Weg!

Manche befürchten eine Spaltung der Kirche, eine Loslösung von Rom, von der Weltkirche…

Marx: Zunächst: Rom ist nicht die Weltkirche. Die eine universale Kirche besteht in und aus Teilkirchen. Das Fundament der Einheit ist der Papst. Daran darf nicht gerüttelt werden. Um die unterschiedlichen Stimmen zusammenzubringen, brauchen wir Gespräch, Gespräch, Gespräch, und zwar in der ganzen Kirche. Und am Ende die Entscheidung durch den Papst oder die eines Konzils. Wir wollen keine Kirche ohne den Papst. Ich bin verärgert, wenn man uns das als Kirche in Deutschland vorwirft.

Sie betonen immer wieder, dass es ein offener Weg unter Führung des Heiligen Geistes sei. Das wirkt ein bisschen, als sei der Heilige Geist eine Art Joker: „Wir sind so unversöhnlich, aber der Heilige Geist wird uns schon irgendwie helfen.“ Aber wie?

Marx: Wenn ich nur erwarte, dass sich meine Meinung durchsetzt, weil alle anderen sowieso irren, muss ich mich fragen, ob ich als getaufter Christ auf der richtigen Spur bin. Wir müssen miteinander reden, aufeinander hören und aufmerksam sein. Da müssen sich auch Meinungen ändern können. Wenn wir glauben, dass Christus mit seinem Geist in unserer Mitte ist, sollten wir überlegen, wie wir miteinander sprechen und wie wir mit ihm sprechen. Dann entsteht eine andere Atmosphäre.

Das löst aber keine Probleme...

Marx: Natürlich nicht. Der Heilige Geist kommt nicht mit einem Lautsprecher und ruft uns die Lösung ins Ohr. Aber wir glauben daran, dass wir einen gemeinsamen Weg finden können. Wo wir ihn nicht finden, können wir stehen lassen, dass eine Einmütigkeit noch nicht möglich ist. Die Kirchengeschichte ist voll von Ereignissen, bei denen es am Ende keine Lösung gab, sondern erst in 20, 30 oder 100 Jahren. Man kann nicht erwarten, dass wir in Deutschland in zwei Jahren alle Antworten auf theologische Fragen finden, die seit Generationen diskutiert werden.

Viele unserer Leserinnen und Leser sorgen sich um die Zukunft der Kirche. Wie ist Ihre Vision, wie sieht die Kirche in Deutschland in 20, 30 Jahren aus?

Marx: Auch in 30 Jahren wird es in unserem Land überzeugende Orte der Verkündigung des Evangeliums geben. Die Botschaft und Person Jesu ist einfach stark. Es wird also weiter lebendige Gemeinden geben. Aber eben nicht an jedem Ort. Nicht jede Pfarrei, die es jetzt gibt, wird so bleiben können. Früher haben wir gesagt: „Wenn du nicht zur Kirche gehst, kommst du in die Hölle.“ Das hat nur die Hälfte geglaubt, aber die ist gekommen. Das geht heute nicht mehr. Es ist eine Illusion zu glauben, es würde wieder wie früher. Schauen wir also nicht immer zurück, sondern nach vorn: Christus kommt von vorn auf uns zu. (Interview: Susanne Hornberger und Ulrich Waschki)

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Dieser Artikel gehört zum Schwerpunkt Synodaler Weg