Silvesterpredigt

Kardinal Marx: "Die Krise ist noch nicht vorüber"

Die Zahlen der Corona-Pandemie sagen wenig darüber aus, was die Krise für viele Menschen bedeutet. Mit diesen Worten rief Kardinal Reinhard Marx in seiner Silvesterpredigt dazu auf, die einzelnen Schicksale in den Blick zu nehmen.

Kardinal Reinhard Marx bei seiner Jahresabschlusspredigt im Münchner Liebfrauendom © Kiderle

München - Der Münchner Kardinal Reinhard Marx hat in seiner Jahresschlusspredigt dazu aufgerufen, angesichts der Corona-Pandemie die Schicksale der Menschen mehr in den Blick zu nehmen. "Die Krise ist noch nicht vorüber. Aber die abstrakten Zahlen sagen uns eigentlich wenig über das, was diese Krise für viele Menschen bedeutet", erklärte der Erzbischof von München und Freising laut Manuskript am Silvesterabend im Münchner Liebfrauendom.

Erst an einer persönlichen Lebensgeschichte, einem Todesfall im Familienkreis, einer schweren Erkrankung an Covid-19 bei einem guten Freund werde erfahrbar, "dass es hier wirklich um Leben und Tod geht, um persönliche Schicksale, um Hoffen und Bangen, Sehnsucht und Angst", sagte Marx. Nur das konkrete Leben "öffnet uns die Augen für die Realität und die Wahrheit". Im zurückliegenden Jahr sei erfahrbar geworden, wie verletzlich das Leben und wie wichtig dessen Schutz als Aufgabe für alle Menschen sei; und auch wie wichtig die Familie sei.

Ungleichheiten verstärken sich

Zudem habe sich gezeigt, so der Kardinal, welch ein Schatz die Kinder und die Jugendlichen seien, "die unsere besondere Begleitung und Förderung brauchen". Klar geworden sei auch, dass es wichtig sei, den Alten und Sterbenden einen Platz in der Mitte der Gesellschaft zu ermöglichen, nicht isoliert und an den Rand gedrängt. Lokal und global ist nach den Worten von Marx absehbar, dass diejenigen leichter durch die Krise kommen, die Kapital und Eigentum besitzen und nicht nur von ihrer Hände Arbeit leben müssen. Die Ungleichheiten würden sich wohl weltweit verstärken, "und das kann zu neuen Gefährdungen des Gemeinwesens führen", warnte der Kardinal.

Neuer Blick auf das Gemeinwohl

Umso wichtiger sei, auch angesichts der andauernden globalen Klimakrise, ein "neuer Blick auf das Gemeinwohl" und damit auch auf das Weltgemeinwohl, betonte Marx. "Wir erfahren, dass wir eine Menschheitsfamilie sind, die aufeinander bezogen ist und die ohne Solidarität und, wie es Papst Franziskus sagt, ohne soziale Freundschaft und Geschwisterlichkeit keinen guten Weg in die Zukunft geht". Zugleich müsse 2020 für die Kirche "ein Lernort werden für die Erneuerung ihrer Sendung", einer Sendung, die nicht um sich selbst kreise, sondern einstehe für die Hoffnung der Menschen und für die Zukunft der Welt, so der Kardinal. (kna)

Dieser Artikel gehört zum Schwerpunkt Corona - Pandemie