Glaube und Raumfahrt

Jenseits aller Grenzen

Wer ins All fliegt, nimmt auch seinen Glauben mit – und gewinnt völlig neue Perspektiven.

Michael Waltemathe, der Autor dieses Artikels, ist Theologe und forscht an der Ruhr-Universität Bochum unter anderem über Raumfahrt und Religion. © stock.adobe.com/SMB

Seit der Mensch ins Weltall fliegt, sind damit auch religiöse Rituale, Äußerungen und Artefakte verbunden. Als beispielsweise mit Apollo 8 am Heiligabend 1968 zum ersten Mal Menschen den Mond umkreisten, lasen Bill Anders, Jim Lovell und Frank Borman die Schöpfungsgeschichte aus der Bibel (Gen 1,1–10). Borman beendete die Lesung mit Weihnachtsgrüßen und einem Segen für die Menschheit auf der Erde. Daraufhin verklagte die Gründerin der „American Atheists“, Madalyn Murray O’Hair, die NASA wegen eines Verstoßes gegen die Trennung von Staat und Kirche. Der Oberste Gerichtshof wies die Klage mit dem Hinweis auf die fehlende Zuständigkeit des Gerichts in der Mondumlaufbahn zurück.

Kommunion während der Apollo-Mission

Während der Apollo-11-Mission feierte Buzz Aldrin, ein Presbyterianer, heilige Kommunion. Später im Apollo-Programm landete die erste Bibel mit Apollo 14 auf dem Mond. Bei einem Apollo-15-Mondspaziergang zitierte Jim Irwin, inspiriert vom Anblick des Apennin-Gebirges auf der Mondoberfläche, Psalm 121,1 („Ich erhebe meine Augen zu den Bergen: Woher kommt mir Hilfe?“). In der jüngeren Raumfahrtgeschichte finden sich christliche Artefakte (Ikonen, Kruzifixe) in verschiedenen Teilen der Internationalen Raumstation. Papst Benedikt XVI. hat anlässlich der letzten Mission des Space Shuttles Endeavour mit Astronauten an Bord der Internationalen Raumstation die Bedeutung des Blicks aus dem Weltraum und die Bedeutung der Weltraumforschung diskutiert. Papst Franziskus sprach ebenfalls mit ISS-Astronauten. Dabei kam, wie auch in dem Gespräch, das Benedikt führte, die Schöpfungsverantwortung zur Sprache.

Frage nach dem Sabbat im Weltraum

Jüdische und muslimische Astronauten wie der israelische Astronaut Ilan Ramon oder der malaysische Astronaut Scheich Muszaphar Shukor sind vor ihrem Flug der Frage nachgegangen, wie sie ihre Religion im Weltall praktizieren können. Beiden gemeinsam ist, dass aus der jeweiligen Religionsgemeinschaft Handreichungen und Hilfen für gelebten Glauben im Weltraum formuliert wurden. Im Falle von Ilan Ramon kontaktierte dieser einen Rabbi und bat um Klärung bestimmter Gebote für seine Weltraum-Mission. Beispielhaft sei hier die Frage nach dem Sabbat genannt. Wenn es in der Erdumlaufbahn 90 Minuten von Sonnenaufgang zu Sonnenaufgang dauert, dann würde dies bei wörtlicher Umsetzung der Sabbat-Regeln zu 2,3 Sabbaten innerhalb von 24 Stunden führen, die jeweils 90 Minuten dauern würden. Inwiefern dies der Intention des Feiertags gerecht werden kann, ist fraglich. Die „Lösung“ des Problems war in diesem Fall die Orientierung an der Erdrotation und der Zeitzone des Startplatzes.

In Richtung Erde beten

Der muslimische Astronaut Shokur konnte sich für seine religiöse Praxis auf ein Dokument beziehen, das auf Betreiben der malaysischen Weltraumagentur Angkasa entstanden ist. Diese hatte 2006 eine Konferenz mit 150 islamischen Wissenschaftlern einberufen, um unter anderem die Frage zu erörtern, wie man im Weltraum nach Mekka beten kann. Anfang 2007 wurde ein Dokument mit dem Titel „Eine Richtlinie zur Gebetspraxis“ auf der Internationalen Raumstation (ISS) erstellt, das vom Nationalen Fatwa-Rat Malaysias genehmigt wurde. Darin wird das spezifische Problem für Muslime in der Erdumlaufbahn, die Gebetsrichtung nach Mekka, diskutiert. Hier, so die Handreichung, bietet der Islam mehrere Möglichkeiten, die mit Bedacht an die ISS angepasst werden können: Ein Muslim sollte in Richtung Mekka, wenn dies nicht möglich sei, in Richtung des Planeten Erde, und nur wenn auch das nicht machbar sei, in eine unbestimmte Richtung beten.

Der Overview-Effekt

Die genannten Beispiele zeigen die Relevanz von irdischen Religionen auch außerhalb unseres Planeten. Immer wieder bekennen Raumfahrer ihren Glauben im Rahmen ihrer Missionen. In dem oben genannten Gespräch zwischen Papst Benedikt und der ISS-Besatzung wurden aber auch die besonderen Perspektiven angesprochen, die Astronautinnen und Astronauten während ihres Einsatzes gewinnen. Wenn die ISS-Besatzung über Schöpfungsverantwortung spricht, dann liegt dieser Verantwortung sicherlich auch der sogenannte Overview-Effekt zugrunde. Mit diesem „Überblicks-Effekt“, wie ihn Frank White in den 1980er-Jahren beschrieb, ist die Erfahrung gemeint, die Erde von außen gesehen zu haben. Erstmals wird dieses Phänomen anhand des bei der Mission Apollo 8 aufgenommenen Fotos beschrieben, das die blaue Erde zeigt, wie sie vom Mond aus betrachtet aus dem tiefschwarzen All aufgeht.

Theologisch könnte man davon sprechen – und die Apollo-8-Besatzung hat ja genau dies getan, als sie die Schöpfungsgeschichte vorlas –, dass die Raumfahrt der Menschheit die Außenperspektive auf die Schöpfung eröffnet und dass erst aus dieser Perspektive die Einheit des Planeten sichtbar wird. Wie sagte der deutsche Astronaut Alexander Gerst nach seiner ISS-Mission? „Was man tatsächlich da oben nicht sieht, sind Grenzen.“ (Michael Waltemathe)