Missbrauch in der Kirche

Aufarbeitungskommision: Empfehlungen aus Gutachten umsetzen

Die einen sind bestürzt, wütend oder enttäuscht, die anderen haben mit dieser Tragweite schon gerechnet: Die emotionale Bandbreite zum neuen Missbrauchsgutachten im Erzbistum München und Freising ist groß. Jetzt äußert sich erstmals die Vorsitzende der Aufarbeitungskommission, Michaela Huber.

Michaela Huber hat das Ehrenamt als Vorsitzende der Aufarbeitungskommission im Erzbistum München und Freising inne. © Robert Haas (SZ)

München - „Wie wenig Bewusstsein für die Not dieser Kinder da war und zum Teil heute noch da ist, das ist schon sehr erschreckend“, sagt Michaela Huber zu den Ergebnissen des Missbrauchsgutachten der Erzdiözese München und Freising. Die Vorsitzende der Aufarbeitungskommission ist von dem Gutachten geschockt. Die Rechtsanwälte sprechen von 496 Betroffenen und 235 mutmaßlichen Tätern. Das zeige, wieviel Unrecht passiert sei und wie wenig man die Betroffenen im Blick hatte, meint Huber. Die Ergebnisse der Gutachter seien wichtig und mehr als notwendig. „Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger elementarer Schritt in diesem Prozess, der im Jahr 2010 begonnen hat, und der mit diesem Gutachten einen wahnsinnigen Impuls bekommt“, bezieht Huber Stellung.

Mehr Aufgabenbeschreibungen und klare Rollen

Neben der ehemaligen Schulpsychologin kommen die Kommissionsmitglieder aus der Wissenschaft, Fachpraxis, Justiz und öffentlichen Verwaltung. Gemeinsam haben sie die vier Bände des Gutachtens studiert, in denen Fälle von 1945 bis 2019 beurteilt wurden. Die Aufarbeitungskommission gibt es erst seit Mai 2021, das Gutachten habe aber die Richtung ihrer Arbeit bestätigt. Denn „wir haben Punkte festgestellt, die wir bereits im Dezember 2021 in einem Empfehlungsschreiben an die Erzdiözese moniert haben. Zum Beispiel die unklaren Rollen- und Aufgabenbeschreibungen der unabhängigen Ansprechpartner“, erklärt sie. Dieses Problem sei auch in anderen Bistümern zu beobachten und führe zu Konflikten. Vor allem für die Betroffenen fordere sie an dieser Stelle Klarheit, „damit die wissen, was sie von den Ansprechpartnern erwarten dürfen und können.“

Empfehlungsschreiben soll umgesetzt werden

Huber verkündet, die Aufarbeitungskommission wolle nun die 40 Seiten an Empfehlungen der Gutachter umgesetzt sehen. „Die kann man eins zu eins so runterschreiben und umsetzen“, sagt die Münchnerin. Zudem will die Kommission auch den Bereich Kinderschutz stärken, mit Hilfe von Handlungsstrategien für die Erzdiözese und Pfarrgemeinden. Immerhin, betont Huber, müsse man bei der Umsetzung des Empfehlungsschreibens nicht bei null anfangen. „Wir haben die Erzdiözese gebeten, eine Matrix zu erstellen, was zu diesen Themen bereits gemacht wurde oder wo man dabei ist, etwas zu tun.“ Diese Übersicht werde die Kommission intern priorisieren, um die Themen einzeln anzugehen.

Veranstaltung für Betroffene geplant

Wichtig ist für Huber dabei immer wieder, den Finger in die Wunde zu legen. Dazu gehöre auch, die Dunkelziffer Betroffener zu minimieren, ein Anliegen, das für die Aufarbeitungskommission von Beginn zentral war. Deshalb ist für dieses Jahr auch eine Veranstaltung für Betroffene geplant. „Die Idee ist, dass wir Betroffene anschreiben und diese bitten, andere einzuladen, die bisher noch nicht bekannt sind“, erklärt die Vorsitzende. Eine eigene Arbeitsgruppe nimmt sich der Planung dazu an, um Menschen zu erreichen, die bisher nicht angesprochen wurden.

Falscher Zeitpunkt für Kirchenaustritte

Für manche Gläubige kommen diese Pläne und Maßnahme allerdings zu spät. Die Kritik an der Kirche zeigt sich auch in Zahlen. Nach Angaben des Kreisverwaltungsreferates München haben innerhalb von einer Woche nach Veröffentlichung des Gutachtens über 650 Bürger einen Kirchenaustrittstermin gebucht. Huber haderte in der Vergangenheit selbst mit der Kirche und ist vor 15 Jahren ausgetreten, doch die aktuelle Situation sei für sie eine andere. Das Gutachten verfasst die Strukturen nur bis 2019. Die Entwicklungen der vergangenen zwei Jahre und die aktuelle Situation wurden nicht berücksichtigt. Ihr Appell an die Gläubigen lautet daher: „Jetzt brauchen Sie nicht austreten, sondern müssen da bleiben. Warten Sie ein Jahr ab und wenn sich dann nichts getan hat, dann können Sie austreten.“ Besonders weil die Kirchenaustrittszahlen in ganz Deutschland steigen, sei es wichtig, Marx und sein Vorhaben nun zu unterstützen und zu sagen: „Wir glauben an das, was er vorhat.“ 

„Ja“ zum synodalen Bischof

Michaela Huber blickt positiv in die Zukunft. Kardinal Reinhard Marx wurde Fehlverhalten vorgeworfen. Für sein Handeln hat er sich entschuldigt und die „moralische“ Verantwortung als Erzbischof auf sich genommen. Dass Marx sich als synodaler Bischof versteht, der seinen Rücktritt anbietet, wenn das die Gremien fordern sollten, das stimmt die Vorsitzende der Aufarbeitungskommission im Erzbistum München und Freising optimistisch. (Anna Parschan, Radio-Redakteurin beim Michaelsbund)