Auslegung der Bibel

Ist Gott im Alten Testament ein Kriegsgott?

Das Alte Testament erzählt viel von Kampf und Krieg. Gott ist da immer mit dabei. Was dieses Gottesbild bedeutet und wie es heute zu deuten ist.

Im Alten Testament tritt Gott sehr kämpferisch auf. © fluenta - stock-adobe.com

Wenn man durchs Alte Testament blättert - besonders durch die Bücher der Geschichtsschreibung, kann man sehr wohl diesen Eindruck gewinnen. Stets lesen wir da von kriegerischen Auseinandersetzungen, in denen Gott parteiisch auf der Seite Israels kämpft und seine Feinde vernichtet.

Im Psalm 3 z.B. spricht der Beter: „Viele Tausende von Kriegern fürchte ich nicht, die mich ringsum belagern. (…) Denn all meinen Feinden hast du den Kiefer zerschmettert, hast den Frevlern die Zähne zerbrochen.“ Ist das unser Gott, der so handelt? Müsste Gott nicht auf der Seite aller stehen, auf der Seite des Friedens?

Krieg als Konstante in der Geschichte Israels

Bei der Beantwortung dieser Frage müssen wir zweierlei bedenken. Zuerst: Das kleine Land Kanaan/Israel war von jeher ein stark umkämpftes Gebiet, vor allem aufgrund seiner strategisch wichtigen Lage an einer der bedeutendsten Handelsrouten des nahen Ostens. Krieg war eine Konstante in der Geschichte Israels, Friedenszeiten eher selten und kurz. Die gesamte Entstehungsgeschichte des JHWH - Glaubens fällt in kriegerische Zeiten.

Daher ist es selbstverständlich, dass Israel seinen Gott auch im Licht dieser vielen Kriege erfährt und sein Handeln darin deutet. Und diese Deutung ist meist eine der ehrfürchtigen Dankbarkeit: ‚Trotz unserer übermächtigen Feinde - der Philister, Ägyptens, Babylons… - gibt es uns, das kleine Israel, immer noch. Das muss Gottes Wirken sein. Er muss auf unserer Seite gekämpft haben. Seine Stärke macht uns stark genug, auch übermächtige Feinde zu überleben.‘ Das führt dann auch zu erzählerischen Übertreibungen, wie z.B. im Buch Josua.

Gotteserfahrung im Kontext der eigenen Lebensrealität

Die „Landnahme“ hat, so weiß es die Geschichtsforschung, keinesfalls so kriegerisch stattgefunden, wie in der Bibel geschildert. Doch im Geschichtsrückblick schildert sich Israel als kriegerisch und stark, wie es das Ideal der Zeit war, und mit einem Gott, der ebenso ist. Gotteserfahrung und theologische Reflexion geschehen immer im Kontext der eigenen Lebensrealität und der eigenen Kultur, in der Sprache und den Bildern der jeweiligen Zeit. Also müssen wir für diese Zeit antworten: Ja, für das umkämpfte Israel war sein Gott auch ein Kriegsgott.

Dabei geht es aber nicht um den Krieg an sich, nicht um Beute und Bereicherung (vielfach wird z.B. Plünderung verboten); es geht darum, den Namen und das Ansehen JHWHs groß zu machen und zu bewahren in diesem kleinen und gefährdeten Volk.

Und neben dieser Vorstellung vom kriegerischen Gott stehen auch in dieser Zeit viele andere: Der Gott, der einen Bund mit den Menschen geschlossen hat, der Gott der Gerechtigkeit, der auf die Armen schaut, der gütig und barmherzig ist, reich an Huld und Treue, der die, die an ihn glauben, begleitet und hindurchführt durch die Krisen der jeweiligen Zeit, usw.

Entwicklung hin zu einem Gott

Als zweites müssen wir außerdem bedenken, dass sich die Vorstellung von Gott als dem EINEN Gott aller Menschen und der ganzen Welt in den Jahrhunderten, die das AT erzählerisch umspannt, erst nach und nach entwickelt hat. Zunächst galt: In unseren Kriegen kämpft unser Gott mit uns und eure Götter kämpfen mit euch. Wer gewinnt, dessen Gott hat sich als der stärkere erwiesen. Die verschiedenen Götterwelten standen nebeneinander, die Landesgrenzen waren quasi auch Machtgrenzen der Götter.

Wie Israel dieses Denken langsam überwindet, sehen wir in der Erzählung vom Auszug aus Ägypten: JHWH erweist sich auch im fremden Land als der Stärkere und führt sein Volk in die Freiheit. Er geht mit, wo auch immer sein Volk hingeht. Die Katastrophe des babylonischen Exils erst, also die Erfahrung der absoluten Niederlage, führt zur Erkenntnis: Gott wirkt nicht nur bei uns und durch unser Volk, er wirkt auch durch andere Völker, sogar durch unsere Feinde. Denn es gibt nur einen Gott aller. Alles, was geschieht, geschieht durch den Willen des einen Gottes, Gutes und Schlechtes, Krieg und Frieden, Segen und Fluch.

Gottesvorstellungen in unterschiedlichen Entwicklungsstufen

Und in der Erfahrung der Niederlage scheint eine neue Vorstellung auf: Das friedliche Zusammenleben aller Völker unter diesem einen Gott, wie es eindrücklich die Visionen Jesajas zeigen, in denen alle Nationen in die Stadt Gottes ziehen, aus Schwertern Pflugscharen geschmiedet werden und der Friedensfürst angekündigt wird.

Im AT werden Gottesvorstellungen aus unterschiedlichen Zeiten und Entwicklungsstufen wie Mosaikstücke nebeneinander belassen. Erst aus der Zusammenschau ergibt sich so etwas wie „DER Gott des AT“. Dabei finden wir eben auch für uns heute Befremdliches, wie das Bild des parteiischen, kriegerischen Gottes.

Wir dürfen dankbar sein, dass wir in unserem Land in Friedenszeiten leben. Wir müssen Gott nicht in den Erfahrungen des Krieges suchen; unsere Krisen sind andere. Unser Erzählen von ihm und seiner Gegenwart ist deshalb anders. Unsere Vorstellung von Gott hat sich weiterentwickelt. Die Grunderfahrung Israels aber bleibt: Er geht mit, er führt hindurch und er will das Leben aller. (Susanne Deininger, Pastoralreferentin im Pfarrverband Dachau-St. Jakob)