Seniorenpastoral

Inwieweit sind auch Großeltern noch Eltern?

Wie verändert sich die Beziehung zwischen Eltern und Kindern, wenn die Kinder selbst Nachwuchs bekommen? Dazu äußert sich Adelheid Widmann, Leiterin der Seniorenpastoral im Münchner Ordinariat, im Interview.

Enkelkinder bieten Großeltern die Chance, für die nächste Generation da zu sein. © stock.adobe.com - JenkoAtaman

mk online: Was bleibt von der Elternschaft, wenn die Kinder selbst Eltern sind?

Adelheid Widmann: Man bleibt ja immer Eltern seiner Kinder. Das ist ein Band, das immer geknüpft bleibt. Manche Eltern machen sich – vielleicht zu Recht – auch noch Sorgen um ihre erwachsenen Kinder, andere erleben den Kontakt zu Kindern und Enkeln als bereichernd, und andere leiden darunter, dass die Beziehung belastet oder abgebrochen ist. Die Sorge kann sich irgendwann umdrehen, dann kümmern sich die erwachsenen Kinder um die Eltern, die nicht mehr so selbstständig leben können und vielleicht sehr eingeschränkt sind. Wir erleben das in der Seniorenpastoral als ein großes Thema: die vielen Älteren, die ihre sehr, sehr alten Eltern pflegen oder begleiten. Das geht für viele an die Grenzen der eigenen Kraft. Deshalb sind uns auch die Unterstützung von pflegenden Angehörigen und die Angebote für An- und Zugehörige von dementiell veränderten Menschen so wichtig.

Welche Chancen bietet es für das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern, wenn die Kinder selbst Kinder bekommen?

Widmann: Wenn dann noch Enkelkinder dazukommen, ist das eine große Freude für die Großeltern, nochmal für die übernächste Generation da zu sein, sie ein Stück begleiten zu können und Dinge weiterzugeben, für die man bei der Erziehung der eigenen Kinder nicht so viel Zeit hatte. Da haben Großeltern manchmal die Chance, sich in der Glaubensweitergabe genauso wie in anderen Bereichen Zeit für die Enkelkinder zu nehmen und für sie da zu sein.

Wie sieht es mit gegenseitigen Ratschlägen zwischen Eltern und Kindern aus?

Widmann: Wie überall im Leben: Ratschläge sind nicht allzu beliebt! (lacht) Es ist klug für Großeltern, aber auch für Eltern und Jugendliche, einen Rat nur dann zu geben, wenn man explizit gefragt wird. Oft ist es viel spannender, mit anderen gemeinsam nach Möglichkeiten zu suchen oder aus dem eigenen Leben zu erzählen, wenn man merkt, dass das dem Gegenüber guttun würde. Ich habe das selbst erlebt, dass ich denke: Jetzt ist die größte Katastrophe geschehen! Wenn dann jemand aus der Familie oder dem Freundeskreis sagt: Hey, schau mal, du hast schon vieles geschafft, das packst du jetzt auch. Oder: Mir ist so was auch schon passiert. Dann tröstet das, weil es die Dinge ins Verhältnis rückt. Sich gegenseitig zu unterstützen, finde ich viel spannender, als einen Rat zu geben. Außerdem nehme ich wahr, dass wir viel zu oft zu wenig neugierig sind. Deshalb geht unser Seelsorgeansatz auch bewusst diesen Weg: Der erste Schritt ist das Hören, das ja etwas Ganzheitliches meint. Wirklich mal zuzuhören, sich einzulassen auf den anderen, in seinen Lebensfluss einzutauchen. Denn dann höre ich auch die berührenden Geschichten, die jemand schon erlebt hat.

Was ist der nächste Schritt?

Widmann: Der zweite Schritt ist das Mitgehen: Menschen zu begleiten, bei ihnen zu sein. Der dritte ist das gemeinsame Suchen nach dem, was trägt, was die Quelle ist, die uns lebendig hält. Der vierte und letzte Schritt beschreibt die besondere Aufgabe der Seelsorgenden, nämlich das Mitdeuten des Lebens auf der Basis des Glaubens – wenn das Gegenüber das möchte.

Wo und wie wird man als Großeltern noch gebraucht?

Widmann: Manchmal ist es für Großeltern schmerzlich, wenn man in der Familie nicht gebraucht wird, vielleicht weil Kinder und Enkel an einem anderen Ort leben. Aber vielleicht gibt es in der Nähe eine Familie, der die Großeltern fehlen, oder man entdeckt Projekte und Aktionen, wie zum Beispiel Lesepaten, in denen sich Ältere für Jüngere engagieren können. Mir ist es noch wichtig, die Großelternschaft nicht nur auf die reale, die physische zu beschränken. Auch Ältere, die keine Kinder oder Enkel haben, können für nachfolgende Generationen ein Segen sein. Ganz unabhängig davon haben Seniorinnen und Senioren wertvolle Lebenserfahrungen und -schätze gesammelt und sind Prophetinnen und Propheten einer Lebensphase, die uns noch bevorsteht. Um darauf aufmerksam zu machen, hat Papst Franziskus den Welttag der Großeltern ins Leben gerufen, der am vierten Sonntag im Juli begangen wird. Ich möchte zitieren, was der Papst über Großeltern sagt: „Ihre Stimme ist wertvoll, weil sie das Lob Gottes singt und die Wurzeln der Völker hütet. Sie erinnern uns daran, dass das Alter ein Geschenk ist und dass die Großeltern das Bindeglied zwischen den verschiedenen Generationen darstellen, um den jungen Leuten die Lebens- und Glaubenserfahrungen weiterzugeben.“

Der Redakteur
Maximilian Lemli
Münchner Kirchenzeitung
m.lemli@michaelsbund.de