Fakt oder Fiktion?

Inquisition und Hexenverfolgung aus kirchengeschichtlicher Sicht

Gnadenlose Inquisitoren, rothaarige Frauen auf dem Scheiterhaufen – die gängigen Vorstellungen von Inquisition und Hexenprozessen sind vor allem geprägt von Literatur und Film. Was sind die geschichtlichen Fakten zu diesen Kapiteln der Kirchengeschichte?

Was ist dran, an den gängigen Vorstellungen von Hexenprozessen? © Matrioshka - stock.adobe.com

Hört oder liest man in verschiedenen Kontexten von der Inquisition, der Verfolgung von Ketzern oder den Hexenprozessen, hat jede und jeder von uns augenblicklich Szenen aus Büchern oder Filmen vor Augen. Man denkt vielleicht an die Harry-Potter-Reihe J. K. Rowlings und deren Verfilmung, oder auch an Szenen der Verurteilung und des Todes zumeist einer der Hexerei schuldigen Frau auf dem Scheiterhaufen.

Ähnlich ergeht es Leserinnen und Lesern beziehungsweise Zuschauerinnen und Zuschauern in Bezug auf die Inquisition. Ein Beispiel hierfür ist der weltberühmte Roman Umberto Ecos „Der Name der Rose“ und seine gleichnamige Verfilmung mit Sean Connery und Christian Slater in den Hauptrollen. Diese im hochmittelalterlichen Italien angesiedelte Erzählung beschäftigt sich – neben der Aufklärung der Morde – mit der Inquisition, ihrem Verfahren und den daran beteiligten Personen: einerseits anhand des Franziskaners und ehemaligen Inquisitors William von Baskerville, andererseits anhand dessen Gegenspielers Bernard Gui, eines unter Rückgriff auf die reale Person Bernard Guidonis gezeichneten Dominikaners und Inquisitors mit rigider Vorgehensweise.

„Dunkle“ Epoche

Was aber in diesen Darstellungen ist historisch, was fingiert? Dafür soll Ihnen die folgende kurze Einführung in die Inquisition und Hexenverfolgung aus kirchengeschichtlicher Sicht einen Ausgangsund Anhaltspunkt bieten. 

Weiten Teilen der heutigen Gesellschaft geht es beim Gedanken an die Inquisition wahrscheinlich ähnlich wie Ihnen beim Lesen des ersten Absatzes des Artikels – Inquisition ist einer der Inbegriffe für die Schattenseite(n) der abendländischen Geschichte und die „dunkle“ Epoche des Mittelalters. Allerdings erfolgt die Etablierung der Inquisition als Einrichtung erst im 13. Jahrhundert, einem Zeitpunkt also, an dem das Mittelalter bereits etwa sieben bis acht Jahrhunderte angedauert hat und sich schon wieder seinem Ende, das circa nach zwei weiteren Jahrhunderten eingeläutet wird, zuneigt.

Inquistition gegen Irrlehren

Hinzu kommt die Tatsache, dass die Hochzeit der Inquisition nicht das Mittelalter, sondern die Neuzeit bis zur Zäsur der Französischen Revolution 1789 ist. Das primäre Ziel der Inquisition mit ihrem universellen Geltungsanspruch ist die Bekämpfung von Häresie(n), also von Irrlehren, von Lehren, die vom rechten (katholischen) Glauben abweichen, wobei sie allerdings nicht mit einem Monopol in diesem Bereich ausgestattet ist.

Gleichzeitig stellt sie keine allgegenwärtige, immer und überall aktive Einrichtung dar, sondern agiert mit starker regionaler und zeitlicher Differenzierung in unterschiedlichen Konjunkturen; ihre Durchschlagskraft ist dabei von der vorhandenen Machtkonstellation, das heißt dem vorhandenen Einfluss von weltlicher Herrschaft, Ortsbischöfen und verschiedenen Bevölkerungsgruppen vor Ort, abhängig.

Auch bestehen durchaus Ähnlichkeiten zwischen der Inquisition und dem Vorgehen anderer weltlicher und kirchlicher Gerichte der jeweiligen Zeit, wofür die aufgrund der noch nicht vorhandenen Trennung von Kirche und Staat enge Verklammerung von religiöser und politischer Sphäre ein Faktor ist. Vielmehr befindet sich die Inquisition mit ihren Verfahrensnormen und ihrer Praxis auf der Höhe ihrer jeweiligen Zeit und wirkt an mancher Stelle auch als Motor für Reformen im Bereich der Justiz.

Die Rolle des Inquisitors

Gekennzeichnet ist das Verfahren der Inquisition von zwei Hauptelementen, die beide schon angeklungen sind: die Person des Inquisitors und das inquisitorische Verfahren. Ersterer muss zum Zeitpunkt seiner Ernennung mindestens 40 Jahre alt und ein Geistlicher, im Laufe der Zeit zumeist ein Mitglied des Dominikaner- oder Franziskanerordens, sein. Darüber hinaus muss er über entsprechende juristische und theologische Kenntnisse sowie seelsorgliche Erfahrung und eine päpstliche oder bischöfliche Beauftragung verfügen. Ihm zur Seite gestellt wird ein Personalstab, bestehend aus Notaren, Schreibern et cetera.

Bei der Durchführung der Untersuchungen im Vorfeld und während des Inquisitionsprozesses ist der Inquisitor mit Handbüchern ausgestattet, in denen einerseits als professionelles Know-how Spezialwissen über Merkmale und Gegenstrategien einzelner häretischer Bewegungen gesammelt ist, andererseits ein standardisierter Fragenkatalog inklusive Fangfragen zur Offenbarung von Widersprüchen in den Antworten der einzelnen Befragten zur Verfügung steht.

Der Inquisitionsprozess

Das Verfahren selbst läuft als geordneter Prozess ab, bei dem nach Eintreffen der Inquisitoren vor Ort die gesamte Bevölkerung zum Erscheinen und Bekenntnis etwaiger Delikte aufgefordert ist. Im Lauf des weiteren Vorgehens werden die Geständigen zum Abschwören von weiteren Häresien ebenso verpflichtet wie zur Denunziation etwaiger weiterer Häretiker, die Nicht-Geständigen bei vorhandenen Verdachtsmomenten und/oder Indizien namentlich zu weiteren Verhören vorgeladen.

Während des Inquisitionsprozesses besteht für jeden Beklagten die Möglichkeit zur Verteidigung, wobei der Verteidiger Zugang zur Anklageschrift besitzt, wie das Recht zur Benennung von Entlastungszeugen. Bei fehlendem Geständnis und schweren Indizien ist nach Zustimmung des Ortsbischofs auch der Einsatz von Folter, die Bestandteil des weltlichen Kriminalprozesses ist, erlaubt.

Alle Ergebnisse der Befragungen werden in Anwesenheit des Inquisitors und zweier Zeugen schließlich niedergeschrieben und notariell beglaubigt. Diejenigen Befragten, die schuldig gesprochen wurden, sahen sich nun ihrer Strafe gegenüber: Am weitesten verbreitet waren neben Bußwallfahrten und öffentlichem Tragen von Bußgewändern Gefängnisstrafen, die durch die Möglichkeit der individuellen Strafzumessung mit feiner Dosierung von Länge und Härte der Haft ein flexibles Strafinstrument darstellen, die Konfiskation der Güter und des Vermögens sowie Galeerendienst. Nur circa 5 Prozent der Verurteilten wurden zur weiteren Bestrafung an die weltliche Gerichtsbarkeit überstellt, also zum Tode verurteilt.

Hexenjagd: Einstellung zur Magie ändert sich

Wendet man sich dem zweiten eingangs angesprochenen Thema zu, dem Bereich der Hexerei und Hexenverfolgungen, so ist dieses einerseits ein neuzeitliches Phänomen, andererseits eine Tatsache, die nicht genuin christlich motiviert ist; vielmehr gibt es bis ins 21. Jahrhundert hinein Berichte über Hexenverfolgungen aus verschiedenen Teilen der Welt und unter verschiedenen religiösen Voraussetzungen.

Im Hintergrund der Entwicklung der Verfolgung von zumeist weiblichen Hexen steht eine Veränderung bezüglich der Vorstellungen von Magie, Zauberei und Hexerei: Während diese in Antike und Mittelalter als ein Berührungspunkt hin zur Religion, trotz kirchlicher Ablehnung als obskur, verdächtig und teuflisch, selbstverständlicher Bestandteil des alltäglichen Lebens mit konkretem Nutzen zur Lebensbewältigung galt, ändert sich dieses Verständnis – im deutschsprachigen Raum stark beeinflusst durch den „Hexenhammer“ des Dominikaners Heinrich Kramer von 1486 – unumstößlich. Die Hexerei wird zu einem Deliktfeld erklärt und es entstehen vielerlei Handbücher, die Hexerei als bisher nie dagewesenes Verbrechen charakterisieren und deren Bekämpfung als einen Akt höchster Dringlichkeit ausmachen.

Vier Elemente der Hexerei

Zur Identifikation von vermeintlichen Delinquentinnen und Delinquenten werden vier Elemente der Hexerei benannt: (1) der Teufelspakt, das heißt die Abwendung von Gott zugunsten eines Paktes mit dem Teufel, (2) die Teufelsbuhlschaft, das heißt der sexuelle Verkehr mit dem Teufel zur Besiegelung des Paktes, (3) der Schadenzauber, das heißt der von Pakt und Buhlschaft mit dem Teufel ermöglichte Zauber gegen Mensch und Tier, Ernte und materielle Güter anhand von im Hexenkessel hergestellten Salben und Pulvern, und schließlich (4) der Zauberflug zum Hexensabbat, bei dem sich die Hexen in Tiere verwandeln, zusammen mit den Buhlteufeln und Dämonen zu einem Festplatz fliegen und dort orgiastisch tanzen und feiern sowie freizügig sexuell miteinander verkehren.

Stimmen für und gegen die Hexenprozesse

Dass Hexerei als Deliktfeld in Kirche und Theologie auch nach der Etablierung dieser Elemente nicht einheitlich beurteilt wurde, zeigen die unterschiedlichen Stellungnahmen hierzu; einerseits sehen Persönlichkeiten wie der französische Staatstheoretiker Jean Bodin und der Trierer Weihbischof und Hexenjäger Peter Binsfeld im 16. Jahrhundert Hexerei als eine gegen die staatliche Ordnung gerichtetes Verbrechen, eine Häresie und einen Vaterlandsverrat, die strikt verfolgt und geahndet werden müssen, andererseits existieren ebenso prominente Gegenstimmen wie beispielsweise der protestantische Arzt Johann Weyer oder der Jesuit Friedrich von Spee, die die Hexenprozesse als Blutbad an Unschuldigen, als gerichtlich nicht weiter zu verfolgende Wahnidee und als Ausdruck eines verzerrten Gottesbildes sehen und daher deren Einstellung fordern.

Die aus dieser Vorstellung der Hexerei resultierenden Hexenprozesse werden dabei nicht vor kirchlichen, sondern vor weltlichen Gerichten auf Grundlage des allgemeinen staatlichen Prozessrechts und dessen Ergänzungen durch die Hexenprozessordnung von 1628 gehalten. Je nach Prozessführung ist die beziehungsweise der Angeklagte nach Beginn des Verfahrens fast chancenlos, unter anderem auch, weil im weltlichen Bereich nur in wenigen großen Territorien ein wirklich funktionierendes Justizsystem vorhanden ist.

Deutschland als Spitzenreiter bei Hexenverfolgung

Insgesamt fallen den Hexenverfolgungen und -prozessen in ganz Europa circa 50.000 Menschen zum Opfer, davon allein im heutigen Deutschland 25.000, wobei die Grundlage der Verdächtigung, die Prozessführung zumeist mit Anwendung der Folter sowie die daraus gewonnenen Geständnisse einer juristischen Überprüfung in den allermeisten Fällen nicht standhalten können.

Nach der Lektüre dieser Zeilen hoffe ich einerseits, dass Sie ein anfänglich vertiefteres und der historischen Wirklichkeit eher entsprechendes Verständnis gewonnen haben, das Sie dazu befähigt, mit den in den verschiedensten Medien thematisierten Aspekten kritisch umzugehen. Andererseits würde es mich freuen, Ihr Interesse an einer weiteren Beschäftigung mit der Inquisition und den Hexenprozessen geweckt zu haben. (Dr. Regina Meyer, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Mittlere und Neue Kirchengeschichte an der Katholischen Universität Eichstätt- Ingolstadt.)