Europameisterschaft 2016

In Frankreich ist Religion Privatsache

Seit über 110 Jahren sind Kirche und Staat in Frankreich strikt getrennt. Religion ist Privatsache. Das hatte auch konkrete Auswirkungen auf die EM.

Die Basilica minor Sacré-Cœur de Montmartre ist eine römisch-katholische Wallfahrtskirche in Paris. (Bild: fotolia_rabbit75) © fotolia_rabbit75

Paris – Im Halbfinale heißt der Gegner von Jogis Jungs: Frankreich. Wir spielen also gegen den Gastgeber. Im Vergleich zu der EM 2006 in Deutschland läuft in Frankreich vieles anders. So wurden zum Beispiel in Deutschland Spielern und Fans spezielle Seelsorger zur Verfügung gestellt. Nicht so in Frankreich, denn dort sind Staat und Kirche strikt getrennt. Dieses Konzept wird Laizismus genannt. Kurz gesagt: Religion ist Frankreich Privatsache. Im öffentlichen Leben soll Religion keine Rolle spielen. Das bedeutet, dass es keinen Religionsunterricht an staatlichen Schulen gibt und Mitarbeiter von Behörden keine sichtbaren religiösen Zeichen wie Kopftuch, Kippa oder Kreuz tragen dürfen.

Im Rahmen der Fußball-EM gab es keinen Eröffnungsgottesdienst. Die Französische Bischofskonferenz schloss jedoch nicht aus, dass einzelne Gemeinden oder Priester besondere Veranstaltungen zur EM anböten. Die Diözese Paris teilte der KNA mit, dass die Gemeinden in der Hauptstadt ermutigt worden seien, die Fußballspiele zusammen anzuschauen.

Theresia Lipp ist Theologiestudentin in München und hat 2015/2016 ein Auslandssemester in Paris absolviert. Geprägt durch die Trennung von Kirche und Staat hat sie die Kirche in Frankreich ganz anders wahrgenommen als in Deutschland. Denn durch ein anderes Kirchensteuersystem unterstützen die Mitglieder ihre konkrete Pfarrei. Durch das Gefühl „Ich finanziere meinen Pfarrer“ entstehe eine ganz andere Verbundenheit, so Lipp gegenüber den Münchner Kirchennachrichten. Durch diese bewusste Entscheidung, Mitglied der Kirche zu werden, habe sie den Eindruck gehabt, dass sich die Franzosen viel mehr in der Gemeinde engagieren würden. Das müssten sie auch, denn Pastoralreferenten oder Gemeindereferenten gebe es dort nicht. Insgesamt hat Theresia Lipp die Kirche in Paris daher als „jung und lebendig“ wahrgenommen.

Mehr Muslime als woanders in Europa

In Frankreich wurde 1905 das Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat erlassen. Kinder sollten frei von religiösen Einflüssen in der laizistischen Volksschule zu "eigenständigen Individuen" erzogen werden. Damals waren nach Angaben des Direktors des "Europäischen Instituts für Religionswissenschaften" in Paris, Philippe Gaudin, 80 Prozent der Franzosen Katholiken. Im Gegensatz zu 1905 ist Frankreich mittlerweile das europäische Land mit dem größten Bevölkerungsanteil von Muslimen (8 Prozent), wie das Europäische Netzwerk gegen Rassismus (ENAR) berichtet.

Auch andere Länder wie zum Beispiel Japan, Uruguay, Indien und Kuba haben das Prinzip des Laizismus in ihre Verfassung aufgenommen.

Das Land, in dem rund zwei Drittel der Bevölkerung katholisch sind, habe zugleich mit die engagiertesten jüdischen und muslimischen Gemeinden Europas. Einer Umfrage von WIN/Gallup International aus dem Jahr 2012 zufolge ist Frankreich aber auch eines der säkularisiertesten Länder der Welt. Nur 37 Prozent der Franzosen bezeichnen sich unabhängig von ihrer Kirchenzugehörigkeit als religiös.

Neues Schulfach „Moral und Laizismus“

2002 wurde in Paris das "Europäische Institut für Religionswissenschaften" gegründet. Dort werden Unterrichtsmaterialien zum Thema Laizismus und Religion entwickelt. Darüber hinaus haben alle Schüler an staatlichen Schulen nun seit Herbst 2015 das Fach "Moral und Laizismus". Dort sollen "Werte der Republik" und Fakten über Religionen vermittelt werden. (KNA/kas)