Bundestagswahl

„Ich würde mich gerne einbringen“

Die Wahl steht vor der Tür und die meisten wissen wahrscheinlich schon, wo sie ihr Kreuz machen. Doch es gibt viele Menschen, die sich sehr für das Gemeinwohl einsetzen, aber nicht wählen dürfen. Was erhoffen sie sich von der Politik?

Julieta Gómez Reboredo lebt in Deutschland, engagiert sich für die Gemeinschaft, kann bei der kommenden Bundestagswahl aber keine Stimme abgeben. © SMB/Kelpe

Julieta Gómez Reboredo (30) aus Argentinien lebt seit knapp drei Jahren in Deutschland und engagiert sich für diejenigen, die Rat und Hilfe suchen. Als Sozial-, Flüchtlings- und Integrationsberaterin bei den Maltesern und gleichzeitig ehrenamtlich aktiv im Münchner Flüchtlingsrat setzt sich die studierte Juristin für das Gemeinwohl ein und nimmt die Menschen an die Hand, deren Stimme hierzulande kaum gehört wird. Doch auch sie hat keine Stimme bei der kommenden Bundestagswahl, da sie einen argentinischen und spanischen Pass hat. Trotzdem hat sie Wünsche an die Politik des Landes, das immer mehr zu ihrem Zuhause wird.

mk online: Wie blicken Sie auf die kommende Bundestagswahl?

Julieta Gómez Reboredo: Ich bin sehr gespannt, da sich die Umfragewerte permanent ändern. Ich verfolge täglich die Nachrichten und bin sehr daran interessiert, was hier in der Politik passiert. Da ich hier lebe, ist es meiner Meinung nach wichtig, darüber Bescheid zu wissen.

Sie setzen sich für die Menschen ein, die in Deutschland ankommen, und leisten einen Beitrag für das gesellschaftliche Gemeinwohl. Was ist das für ein Gefühl, dass man trotz dieses Engagements keine Wahlstimme hat?

Gómez Reboredo: Es ist ein komisches Gefühl, weil ich sehr gerne wählen würde, wenn ich dürfte. Diese Situation erinnert mich sehr an meine Mutter, da sie mit acht Jahren von Spanien nach Argentinien gezogen ist und darf bis heute nicht wählen. Sie ist politisch interessiert und wir haben abends zu Hause immer Polit-Sendungen geschaut. Ich teile gerade ihr Schicksal, als wäre das Leben wie ein Boomerang. Ich würde nicht sagen, dass ich frustriert bin, aber ich würde mich schon gerne einbringen.

Fühlen Sie sich als Person und in Ihrer Arbeit von der Politik verstanden und repräsentiert?

Gómez Reboredo: Repräsentiert fühle ich mich nicht wirklich, da im Bundestag nicht viele Migranten, Geflüchtete oder Menschen mit Migrationshintergrund sitzen. Ich denke, dass ein bisschen mehr Beteiligung gut wäre, da Migrantinnen und Migranten ein Teil der deutschen Gesellschaft ausmachen. Ich konnte vorher nicht verstehen, was es bedeutet, einen Migrationshintergrund zu haben, bis ich hierhergekommen bin. Trotzdem bin ich der Meinung, dass auch viele Menschen, die diese Erfahrungen nicht gemacht haben und hier geboren sind, sich für die Sorgen der Migrantinnen und Migranten einsetzen können. Einen Migrationshintergrund als Politiker zu haben kann in dieser Hinsicht ein Vorteil sein, muss aber keine Bedingung sein, Migrantinnen und Migranten zu repräsentieren.

Haben Sie den Eindruck, dass Ihre Arbeit von der Politik wertgeschätzt wird?

Gómez Reboredo: Es gab vor kurzem von der Migrationsberatung einen Aktionstag, um deutlich zu machen, wie wichtig unsere Arbeit und die Begleitung der Ratsuchenden ist. Ich denke, dass wenn man auf diese Weise darauf aufmerksam machen muss, verdeutlicht das auch, dass wir nicht richtig gesehen werden. Ich würde mir wünschen, dass die Politik diesen Bereich mehr unterstützt.

Warum ist Ihre Arbeit so wichtig für unsere Gesellschaft?

Gómez Reboredo: Wir leisten einen wichtigen Beitrag, da viele Menschen, die hier ankommen, ohne diese Beratung nicht zurechtkommen würden. In dieser Gesellschaft müssen wir auf Deutsch kommunizieren und damit das gelingt, müssen wir den Menschen dabei helfen. Es ist manchmal nicht so einfach zu verstehen, was die Behörden von ihnen verlangt, auch für Deutsche. Wir müssen mit ihnen nicht nur Formulare ausfüllen, sondern sie ermutigen, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und das Leben in Deutschland selbst in die Hand zu nehmen.

Sie unterstützen Menschen, die zum Großteil auch nicht wählen dürfen. Wann denken Sie, sollte man hier das Wahlrecht bekommen?

Gómez Reboredo: Ich habe mir über diese Frage sehr viele Gedanken gemacht. Ich bin zu keiner richtigen Antwort gekommen. Gestern habe ich zum Beispiel mit meinen Eltern telefoniert und sie meinten, dass ich nicht mehr in Argentinien zu wählen brauche, da ich ja gar nicht mehr dort lebe und politisch nicht mehr auf dem Laufenden sei. Und dann kam bei mir sofort der Impuls: Aber ich komme doch aus Argentinien! Wieso sollte ich nicht wählen dürfen? Doch dann wurde mir klar, dass der argentinische Alltag mittlerweile sehr weit weg von mir ist und ich die unmittelbaren Probleme dort vielleicht gar nicht mehr so wahrnehme. Ich habe mich gefragt: Ab wann sollte ich dann in Deutschland wählen dürfen, also in dem Land, wo ich jetzt lebe? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Ich plane hierzubleiben und vielleicht werde ich mich später einbürgern lassen, damit ich auch wählen darf.  Aber dann sehe ich auch Menschen, die schon länger hier leben als ich und immer noch nicht wählen dürfen und frage mich, ab wann der richtige Zeitpunkt wäre. Die Menschen, die ich berate, sind ein Teil dieser Gesellschaft und unmittelbar von den politischen Entscheidungen des Bundestags betroffen. Wenn es zum Beispiel um Familienpolitik, Bildung, Arbeit oder Corona-Maßnahmen geht, betrifft es uns alle. Ich denke, dass man dann eine politische Stimme haben sollte.

Was für Wünsche und Forderungen haben Sie an die Politik in Hinblick auf die Bundestagswahl?

Gómez Reboredo: Ich denke, dass das Thema Klimawandel sehr wichtig ist. Die Politik muss schnell reagieren, da ansonsten die Folgen nicht mehr abwendbar sind. Es geht nicht nur um die Erderwärmung, sondern auch um neue Fluchtbewegungen. Aufgrund des Klimawandels werden noch mehr Menschen gezwungen sein, ihre Heimat zu verlassen. Das ist nicht nur die Aufgabe eines einzelnen Landes, sondern eine globale Herausforderung. Ich denke, dass Länder des globalen Südens, die nicht die Mittel haben, solche Änderungen schnell umzusetzen, von mächtigen Ländern wie Deutschland dabei unterstützt werden sollten. Auch bei der Pandemiebekämpfung wünsche ich mir eine globale Perspektive, denn auch Corona ist ein weltweites Problem. Es ist natürlich super, dass wir hier vielleicht schon bald die dritte Impfung bekommen werden, aber Menschen aus dem globalen Süden und auch in meinem Heimatland, warten immer noch auf ihre Erst- oder Zweitimpfung. Für mich ist die globale Gerechtigkeit ein sehr wichtiges Thema und Anliegen. Ich würde mir wünschen, dass die Politik dem mehr Aufmerksamkeit schenken würde und handelt. (Das Interview führte Eileen Kelpe, Volontärin beim Michaelsbund)