Folgen der Pandemie

„Ich habe auch Angst“

Nur wer wirklich muss, geht zurzeit in eine Klinik. Eine Patientin und eine Seelsorgerin erzählen, wie sich der Krankenhaus-Alltag in Corona Zeiten anfühlt.

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Dachau - So eine Situation hat Martina Schlüter von der HELIOS Klinik noch nicht erlebt: seit 26 Jahren ist sie als Klinikseelsorgerin tätig. Jeden Tag hat sie mit Menschen zu tun, die Angst vor einer Operation haben, nicht wissen, wie sie mit der Diagnose umgehen sollen oder was aus ihrer Familie wird. In Zeiten der Corona-Pandemie kommt nun noch die Isolation und die Angst vor der Ansteckung hinzu. Denn in den meisten Krankenhäusern sind Besuche von Angehörigen derzeit nicht gestattet, um die Patienten zu schützen. Ein paar wenige sind sogar froh darüber, keinen unliebsamen Besuch empfangen zu müssen, wie Frau Schlüter erzählt. Andere verschieben Operationen, die nicht dringend notwendig sind, oder überbrücken die Zeit im Krankenhaus mit den sozialen Medien.

In den Seelsorgegesprächen geht es um existenzielle Fragen

Aber gerade für alte, demente oder behinderte Menschen ist die Bedrohung durch das Coronavirus eine zusätzliche Belastung. Sie verstehen nicht, warum sie keinen Besuch bekommen dürfen, und vermissen ihre Liebsten besonders. Die Klinikseelsorger versuchen, für die Patienten da zu sein. Doch auch ihre Arbeit wird erschwert, denn sie müssen eine FFP2-Maske tragen und mindestens eineinhalb Meter Abstand zu den Patienten einhalten. „Viele ergreifen gleich meine Hand, wenn ich mich zu ihnen setze. Das geht jetzt nicht mehr“, sagt Martina Schlüter. Sie hat inzwischen andere Wege gefunden, um Nähe herzustellen. „Ich versuche eben, mich den Patienten ganz zuzuwenden, indem ich signalisiere, dass ich mit ihren Themen mitgehe.“ Und trotzdem will sie sich nicht aufdrängen, sondern versteht ihre Arbeit als Angebot. Inzwischen kommt sie nur noch, wenn sie vom Pflegepersonal oder den Patienten gerufen wird. Manchmal dauert ein Gespräch nur fünf Minuten, meistens jedoch länger. Dabei muss nicht zwangsläufig gebetet werden, aber es geht meist um existenzielle Fragen, die die Menschen beschäftigen. Das ist es, was Frau Schlüter an ihrer Arbeit liebt.

Wie bei der Massenabfertigung

Barbara, die ihren richtigen Namen nicht nennen möchte, hat den Klinikalltag aus Patientensicht erlebt. Sie war gestürzt und musste operiert werden. Dafür war ein Coronatest zwingend erforderlich. Sie wurde noch am Tag der OP nach Hause entlassen und fühlte sich manchmal wie bei der Massenabfertigung, denn die Nachsorge wurde an den Hausarzt übergeben. Trotzdem hat auch sie Menschlichkeit in dieser Krisenzeit erlebt. Vom Narkosearzt, der ihr versichert, bei ihr zu sein, bis hin zum Operateur, der versucht, ihr die Angst zu nehmen.

Während Barbara schnell aus der Klinik entlassen wurde, ist Frau Schlüter ständig mit der Angst vor dem Virus konfrontiert. Trotz aller Schutzmaßnahmen setzt sie sich einem erheblichen Risiko aus. „Ja, ich habe Angst“, gibt sie zu. Um dann gleich wieder zu erzählen, wie viel Freude ihr der Beruf macht. Der Kritik, die Kirche sei in Zeiten der Corona-Krise nicht bei den Menschen gewesen, kann sie nichts abgewinnen. Schließlich sind sie und ihr Seelsorgeteam jeden Tag für die Menschen da. Sie hätte sich gewünscht, dass die Positionen der Kirche mehr Gehör in den Medien finden. Denn wie wichtig Seelsorge für die Menschen ist, erlebt sie Tag für Tag in ihrer Arbeit. (Maximilian Lemli)