Meinung
Nachsynodales Schreiben zur Amazonas-Synode

Großartige Zumutung

Das langersehnte Papstschreiben zur Amazonas-Synode ist veröffentlicht. Wer klare Ansagen erwartet hat, wird enttäuscht sein. Alois Bierl sieht trotzdem in dem Dokument eine großartige Zumutung.

Papst Franziskus sieht in der Tradition der Kirche die Wurzel eines wachsenden Baumes. © Vera Kuttelvaserova - stock.adobe.com

Wer eindeutige Anweisungen erwartet hat, der muss enttäuscht sein. Egal welcher innerkirchlichen Richtung er oder sie sich zuordnet. Das nachsynodale Schreiben Querida Amazonia, das geliebte Amazonien, dekretiert nicht, dass viri probati, lebenserprobte Ehemänner zum Priester geweiht werden sollen. Insofern hält der Papst am Zölibat fest. Er macht auch nicht den Weg frei für das Frauendiakonat. Genauso wenig schließt Franziskus das aber ein für alle Mal aus, er verriegelt das kirchliche Haus nicht, sondern lässt die Fenster offen, damit sich die Gläubigen hinauslehnen können. Und sie werden auch nicht hinausgeworfen, wenn sie das tun.

Wer die 50 Seiten dieses Schreibens liest, gewinnt den Eindruck, dass der Papst vor allem eines vermeiden vermöchte: Schneisen durch den bunten Garten kirchlicher Meinungsvielfalt und Meinungsbildung zu schlagen. Bei solchen Schneisen werden Wurzeln gekappt, immer bleibt jemand auf der Strecke und die Diversität leidet. Das weiß der Heilige Vater aus der Ökologie, die in seinem Schreiben eine wichtige Rolle spielt. Der Papst will niemandem einen Gefallen tun und darum ist Querida Amazonia eine großartige Zumutung.

Eine Lösung gibt es nicht

Diese Zumutung ist anstrengend. Franziskus traut seiner Kirche Vielfalt zu, ohne dass sie auseinanderfällt. Er traut den Christen einen sehr konkreten Einsatz gegen Natur- und Menschenzerstörung zu, der ganz klar im Evangelium grundgelegt ist. Dabei verlangt er den Katholiken ab, dass ein Konsens in wichtigen innerkirchlichen Fragen vielleicht nicht zu finden ist oder dass er wenigstens noch eine lange Entwicklung durchlaufen muss. Er präsentiert keine Lösung, macht aber deutlich, dass es Zwischenlösungen geben kann, die je nach Kultur, Kontinent und Problemlage unterschiedlich ausfallen können.

Glauben verkünden

Das Schreiben beißt sich also ganz bewusst nicht an Einzelfragen wie Zölibat oder Frauenordination fest. Denn Franziskus hat viel mehr im Auge: den Auftrag der Christen den Glauben zu verkünden und den Geist wehen zu lassen. Da gibt der Text durchaus praktische Hinweise: etwa Strukturen zu schaffen, in denen Laien und gerade auch Frauen in den Amazonasgebieten, vor Ort entscheiden können was in der Gemeindeleitung, in der Katechese oder der Caritas jetzt geschehen muss.

Dabei sollte ihnen die kirchliche Hierarchie nicht zu viele Vorschriften machen, ein ungesunder Klerikalismus neue Wege nicht blockieren. In der guten alten katholischen Soziallehre nennt sich das Subsidiarität. Der Papst formuliert es in der ihm eigenen Weise umfassender und poetischer: Tradition der Kirche ist keine statische Ablagerung oder ein Museumsstück, sondern die Wurzel eines wachsenden Baumes. Franziskus will an ihm weder alte tragende Äste noch die neuen Zweige abschneiden, die diesem Baum sein unverwechselbares Leben geben.

Der Papst hat in seinem Schreiben "Querida Amazonia" ("Geliebtes Amazonien") seine Schlussfolgerungen aus der Amazonas-Synode vorgelegt, die vom 6. bis 27. Oktober im Vatikan tagte. Bei dem Bischofstreffen ging es unter anderem um ökologische und soziale Folgen des Raubbaus in der ressourcenreichen Region, die Stärkung der indigenen Bevölkerung und um neue Wege in der Seelsorge. Im Wortlaut können Sie hier das Papstschreiben nachlesen.

Der Autor
Alois Bierl
Chefreporter Sankt Michaelsbund
a.bierl@michaelsbund.de

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Alois Bierl sieht in dem nachsynodalen Schreiben von Papst Franziskus eine "großartige Zumutung".