Fraueninitiativen in der Kirche

Gottesmutter Maria: Vorbild für unterschiedliche Positionen

Im Monat Mai steht sie im Fokus: Die Gottesmutter Maria. Im Umfeld der katholischen Kirche haben sich zwei konträre Fraueninitiativen ihrem Namen verschrieben: Maria 1.0 und Maria 2.0. Hier erklären sie, was ihnen die Gottesmutter jeweils bedeutet.

Die Heilige Maria ist Vorbild für die zwei unterschiedlichen Initiativen Maria 1.0 und Maria 2.0. © Jamrooferpix – stock.adobe.com

Wie würden Sie die Gottesmutter Maria beschreiben, was zeichnet sie aus?

Clara Steinbrecher (Maria 1.0): Die Eigenschaft, die Maria von allen anderen Frauen beziehungsweise allen anderen Menschen unterscheidet, ist, dass sie niemals gesündigt hat und die Fülle der Tugenden besaß. Als Mutter Gottes hatte sie sowohl die vier Kardinaltugenden (Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung) als auch die drei sogenannten göttlichen Tugenden (Glaube, Hoffnung und Liebe) in Fülle.

Welche Bedeutung hat sie heute noch für Kirche und Gesellschaft?

Steinbrecher: So ist Maria allen Menschen in diesen Tugenden, nach denen wir alle Streben sollten, perfektes Vorbild. Wir können von Maria lernen, was es heißt, wirklich auf Gott zu vertrauen, wie wahre Nächstenliebe aussieht und auch wie wir klug und tapfer handeln können. Darum hat Maria besonders als Vorbild – von dem man sich in jeder Lebenslage etwas abschauen kann – Relevanz für die Kirche, aber auch für die Gesellschaft. Vielleicht sogar heute mehr denn je.

Inwiefern versucht sich Ihre Initiative, sich an der Gottesmutter auszurichten, ihrem Vorbild nachzufolgen?

Steinbrecher: Die Initiative Maria 1.0 möchte genau das: sich Maria zum Vorbild nehmen, und zwar für unser tägliches Leben. Besonders in der aktuellen Lage der Welt: es herrscht wieder Krieg in Europa, eine Krankheit bedroht das Leben Vieler und bringt so viele Einschränkungen mit sich. Doch wir können uns an die Mutter Gottes wenden. Lernen, zu vertrauen, wie auch sie Gott vertraut hat. Die Gottesmutter selbst war auf der Flucht und im Exil, sah ihren eigenen Sohn am Kreuz sterben und verlor doch die Hoffnung und das Vertrauen in den Allmächtigen nicht. Sie wurde aber auch nicht passiv, verängstigt und zog sich zurück, sondern sie vertraute und lebte ihr Leben voll Zuversicht auf den Herr. Gerade angesichts so vieler Widrigkeiten doch Hoffnung, Freude und Liebe für den Nächsten zu bewahren, dies lehrt uns Maria. Wollen wir auch in diesen Tagen versuchen, ganz persönlich von Maria zu lernen.

Maria 1.0 und Maria 2.0


Beide Bewegungen wurden von Frauen ins Leben gerufen. Während Maria 2.0 seit 2019 von einer Pfarrei in Münster ausgehend mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen Reformen in der Kirche fordert, spricht sich die kurz darauf gegründete Initiative Maria 1.0 für den Erhalt von Lehre und Tradition aus. "Maria braucht kein Update" heißt es auf der Homepage der Gruppe.

Wie würden Sie die Gottesmutter Maria beschreiben, was zeichnet sie aus?

Schwester Susanne Schneider (Maria 2.0): Für Maria 2.0 spielt Maria – wie man am Namen sehen kann, eine große Rolle. Sie ist uns "Marias", wie wir uns manchmal gegenseitig nennen, eine gute Freundin, Kollegin, Mitstreiterin und auch Vorbild. Doch schon Novalis sieht Maria "in tausend Bildern", und eine einseitig männliche, patriarchale und schließlich klerikale Theologie hat im Verlauf von 2.000 Jahren aus einer jungen jüdischen Frau die Frau des Abendlandes gemacht, die man haben will: demütig, duldsam, passiv, abhängig, asexuell, gefügig, lieb, unantastbar und unselbstständig. Besonderes Interesse hatte die Theologie – anders als die Bibel – an Marias Sexualität, oder besser gesagt an ihrer Nicht-Sexualität – mit der Folge, dass Maria im Verlauf der Zeit sowohl Jungfrau, Braut und Mutter gleichzeitig werden konnte. Es gibt Marienstatuen, die Maria nicht einmal eine Brust zugestehen.

Welche Bedeutung hat sie heute noch für Kirche und Gesellschaft?

Schneider: Das offizielle Marienbild der katholischen Kirche ist einseitig. Deshalb der Name Maria 2.0 – um die verdrängten Eigenschaften, die sich in der Bibel finden, ans Tageslicht zu holen und dadurch dieser großen Frau und ihren hervorragenden Leistungen gerechter zu werden. Maria hat die Anfrage des Engels positiv beantwortet, wurde daraufhin schwanger und gebar Jesus. Im Magnifikat spricht sie, von der Schicksalsgenossin Elisabeth ermutigt und von göttlicher Geistkraft bewegt, einen der spektakulärsten Texte der Christenheit. Sie stillte Jesus, erzog ihn gemeinsam mit Josef in der jüdischen Tradition und kam offensichtlich mit der Situation der "Patchwork-Familie" mit einem "schwer erziehbaren Jesus" (der 12-Jährige im Tempel) gut zurecht. Die Hochzeit zu Kana schildert sie als unerschrockene, aktive, glaubensfeste, mutige Macherin, die nicht nur mit Jesus blutsverwandt, sondern auch geistesverwandt war. Maria ist bei Jesu Kreuzigung nicht geflohen und gehörte dann zum Jünger:innenkreis.

Inwiefern versucht sich Ihre Initiative, sich an der Gottesmutter auszurichten, ihrem Vorbild nachzufolgen?

Schneider: "Unsere" Maria darf leben und Frau sein – wie wir. So staunen wir über den Mut, die Entschlossenheit und Tatkraft dieser Frau, die alle Karten auf Gott setzt.

Der Autor
Klaus Schlaug
Online-Redaktion
k.schlaug@michaelsbund.de