Interreligiosität

Gott hat viele Namen

„König“, „guter Hirte“ oder „himmlischer Vater“: So wird Gott oft angesprochen. Doch wie nennt er sich selbst? Warum scheuen sich Juden seinen Namen auszusprechen? Und mit welcher Eigenschaft wird der Gottesname im Koran bezeichnet?

Gott lässt sich mit verschiedenen Namen ansprechen. Er selbst nennt sich „Ich bin der Ich-bin-da“. © ant - stock.adobe.com

Der biblische Gott ist der Gott Israels, der sich in der Geschichte dieses Volkes in seinem Namen und damit sich selbst vorgestellt und geoffenbart hat: „Ehjeh ascher ehjeh“ – „Ich werde dasein, als der ich dasein werde“ oder „Ich bin der Ich-bin-da“. Von dieser Selbstvorstellung in Ex 3,14 wird der Name Gottes mit dem sogenannten Tetragramm JHWH hergeleitet. Der biblische Gott ist nicht ein ferner, abstrakter Gott, nicht ein Gott der philosophischen Spekulation, sondern personal und geschichtlich: Er spricht, stellt sich selbst namentlich vor, er äußert sich und entäußert sich damit, er will mit diesem Namen angesprochen werden, will Beziehung zum Menschen, handelt am Menschen.

In diesem Gottesnamen steckt eine Verheißung und Zusage: Es ist der treue Gott, der erwählt und befreit, der seinen Bund schließt und seine Schöpfung vollenden will: „Ich bin der HERR, dein Gott, der dich aus dem Land Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus.“ (Dtn 5,6)

Eben diese Glaubenserfahrung des Volkes Israel drückt sich in zahlreichen Eigenschaften, Beinamen und Metaphern aus, mit denen Gott angesprochen wird: Es ist der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Gott Israels; er ist „Elohim“: eigentlich der Plural des Wortes „Gott“, aber biblisch wird dieses Wort gleichsam zu einem Eigennamen des einen Gottes; er ist „König“, der einen sicheren Lebensraum schafft, „guter Hirte“, der sich fürsorglich um sein Volk kümmert, der „Heilige Israels“.

Jüdisches Verbot den Gottesnamen auszusprechen

Durch den Namen Gottes kennen und erkennen wir Gott. Weil das Aussprechen eines Eigennamens nach biblischem Verständnis auch Macht gibt über den Angesprochenen und damit dem Missbrauch des Gottesnamens etwa für magische Zwecke das Tor geöffnet würde, entstand im Judentum die Scheu, ja, das Verbot, den Gottesnamen JHWH auszusprechen. Nur der Hohepriester durfte am Jom Kippur, am Tag der Versöhnung, im Allerheiligsten des Tempels den Gottesnamen aussprechen, doch der Tempel steht nicht mehr. Und dennoch ist Gott für Jüdinnen und Juden nicht namenlos geworden: Sie umschreiben den Gottesnamen in der Gebetsanrede mit Adonaj (Herr, Herrscher), Ha-Schem (der Name) und so weiter. Auch die neue Einheitsübersetzung gibt den Gottesnamen nicht mehr so ungeniert mit „Jahwe“ wieder wie in der früheren Übersetzung, sondern mit „Herr“ – womit allerdings zum einen der Eigenname des biblischen Gottes verloren geht, zum anderen ein männlicher Rufname dominierend wird.

In Jesus Christus wird der Gott Israels erkannt

Auf der Grundlage der Glaubenserfahrung des Volkes Israel stehen der Glaube, die Botschaft Jesu und damit auch der Kirche: In Jesus Christus wird der Gott Israels erkannt und gegenwärtig erfahren, sodass auch sein Name mit dem Gottesnamen identisch wird: „KyriosJesus“, Jesus ist der Herr (vgl. 1 Kor 12,3), in ihm zeigt sich der „Gott mit uns“, der „Gott für uns“ (Immanuel). Jesus spricht Gott unter anderem mit „himmlischer Vater“ an, einmal auch als „Abba“ (Mk 14,36): Es war die bei Juden zur Zeit Jesu übliche aramäische Anrede sowohl des eigenen Vaters wie auch Gottes. So ist das „Awinu Malkenu“ („Unser Vater, unser König“) eines der wichtigsten Bittgebete in der jüdischen Tradition. Diese vertrauliche Anrede Gottes unterscheidet Jesus also nicht vom Judentum, sondern verbindet ihn zutiefst mit ihm, ebenso wie die „Heiligung des Gottesnamens“, das heißt seine Verherrlichung.

„99 schönsten Namen Gottes“

Auch der Koran, der stark auf die Bibel und die jüdische und christliche Tradition Bezug nimmt, benennt Gott mit einer Vielzahl von Namen und Eigenschaften, die die islamische Tradition zu einer Liste von „99 schönsten Namen Gottes“ zusammengestellt hat, die auch biblisch gut bezeugt sind: der Heilige, der König, der Gerechte und so weiter. Die häufigste Eigenschaft Gottes im Koran aber ist die Barmherzigkeit Gottes. Mit der sogenannten Basmala „Im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers“ beginnt mit einer Ausnahme jede Koransure und sie ist fester Bestandteil des islamischen Ritualgebetes. Häufigste Anrede Gottes im Islam aber ist „Allah“ (aus al-ilah = der Gott/die Gottheit), mit dem auch arabischsprachige Christen Gott ansprechen und benennen.

Die Namen und Eigenschaften Gottes in Bibel und Koran machen deutlich, wie nahe die drei Religionen Judentum, Christentum und Islam sich im Verständnis Gottes und seiner Anrufung im Gebet sind. Der wesentliche Unterschied liegt darin, dass der christliche Glaube Jesus Christus mit göttlichen Attributen bekennt und anruft, weil Gott, der Vater, sich in ihm in einzigartiger Weise geoffenbart und durch seinen Geist erfahrbar gemacht hat. (Andreas Renz, Leiter des Fachbereichs „Dialog der Religionen“ im Erzbischöflichen Ordinariat München)