Fußball-EM in Frankreich

Gegner mit Konfliktstoff

Nordirland ist unser dritter und letzter Vorrundengegner. Aber was hat Religion mit Fussball zun tun? Vermutlich nirgendwo anders soviel, wie in Irland. Unsere Kollegin Steffi Schmid geht der Sache auf den Grund.

Fußball: In Nordirland schon immer ein Thema mit Konfliktpotenzial (Bild: Fotolia) © Fotolia

„Verlasst euch drauf, in Eurem Abi kommt das Thema Nordirland dran“ – an diese Worte meiner schrulligen, sehr britischen und konservativen Englisch-Lehrerin erinnere ich mich auch noch nach 22 Jahren. Jetzt ist der Nordirlandkonflikt seit mittlerweile 18 Jahren beendet, zumindest auf dem Papier. Und manch einer fragt sich vielleicht, was hat das noch mit unserem Fußball EM-Gegner im Jahre 2016 zu tun? Vermutlich mehr als man denkt.

In der deutschen Nationalelf wird nicht über Religion diskutiert. Da gibt es Katholiken, Protestanten und Muslime, Jerome Boateng zeigt seinen christlichen Glauben in Form von drei Tattoos auf der Haut, Mesut Özil pilgerte kurz vor der EM nach Mekka. Privatsache? Beim Fussball zählen alleine Tore und Erfolge? In Deutschland vielleicht…

Nordirland allgemein

In Nordirland war das lange Zeit völlig anders. Von 1969 bis 1998, fast 30 Jahre lang, dauerte der Nordirlandkonflikt. Die mehrheitlich protestantische unionistisch-loyalistische Seite will die Bindungen an Großbritannien aufrechterhalten, die mehrheitlich katholische nationalistisch-republikanische Seite setzt auf den Abbau der britischen Dominanz und die Einheit der Insel. In Nordirland ist "katholisch" oder "evangelisch" keine Privatsache, die Begriffe dienen als Unterscheidungsmerkmal zweier gesellschaftlicher Gruppen, die nicht nur eine andere Religion haben, sondern sich auch in ihrer sozialen, politischen und wirtschaftlichen Ausrichtung unterscheiden und somit an den unterschiedlichen Fronten gegeneinander kämpften und vielleicht immer noch kämpfen.

Etwa 41 Prozent der Nordiren bezeichnen sich selbst als römisch-katholisch und die Zahl wächst stetig. Etwa ebenso viele Menschen sind Protestanten, gehören der Presbyterian Church in Ireland (19,1%), der Church of Ireland (13,7%) und der Methodist Church in Ireland (3%) an.

Nordirland ist auch 18 Jahre nach Abschluss des Belfast-Abkommens eine gespaltene Gesellschaft geblieben. Die Mauern in der Stadt gibt es nach wie vor, auch wenn sie oft beschönigend "Peace Walls" genannt werden, in den Köpfen existieren sie erst recht. Das Schulwesen bleibt konfessionell streng geteilt. Nur 6,8% aller Kinder besuchen eine integrierte Schule. Allein die Zentren der größeren Städte bilden mit ihren Angeboten von Konsum und Unterhaltung neutrale Zonen.

Fußball in Nordirland

Aber zurück zum Fußball: Dass die Nordiren überhaupt eine eigene Fußball-Liga und eine Nationalmannschaft haben, ist gar nicht so selbstverständlich. Im Rugby ist die irische Insel vereint, es gibt eine gemeinsame Liga und ein gemeinsames Nationalteam. Und der katholische Golf-Profi Rory McIlroy geht bei den Olympischen Spielen in Rio für Irland an den Start.

Im Fußball ist das nach wie vor anders. In Nordirland konnte man drei Jahrzehnte lang nicht einfach so Fußball spielen, oder zumindest nicht jeder mit jedem. Man lebte in einem katholischen oder protestantischen Viertel, je nachdem welcher Konfession man angehörte und genau da durfte man Fußball spielen. Immer wieder kam es zu Ausschreitungen, beim Linfield F.C. durften bis zum Jahr 1991 keine Katholiken spielen, nur durch den Druck der FIFA wurde das Verbot aufgehoben.

"Wir haben nicht genug Spieler, um ganz oben zu spielen", sagte Trainer Michael O´Neill zu Beginn der Quali, Ungarn und Griechenland wurden dann aber besiegt. Jetzt spielt die "Green an White Army" das erste mal bei einer EM und hat als Außenseiter zwar gegen Polen verloren, aber die Ukraine mit 2:0 besiegt.

Bisher hatte die nordirische Fußball-Nationalmannschaft vor allem protestantische Fans. "Ob man die Republik Irland oder Nordirland im Fußball unterstützt, hat weniger damit zu tun, woher man kommt, sondern mehr damit, zu welcher Gemeinschaft man gehört", schreibt der Dubliner Konfliktforscher Brendan Ciarán Browne. Das kann sich aber in Zukunft ändern. Katholiken haben heute in Nordirland oft bessere Zukunftsperspektiven: Junge Katholiken sind heute häufig besser ausgebildet als Protestanten. Katholische Schulen gelten als besser.

Angesichts der nach wie vor konfliktbeladenen Situation muss man dann vielleicht hoffen, dass im Stade de France in Saint Denis, einem nördlichen Vorort von Paris, heute abend wirklich nur Fußball gespielt wird unter dem Schutz des lieben Gottes – der macht nämlich sowieso keinen Unterschied zwischen den Konfessionen, da bin ich mir sicher. Stefanie Schmid