Von iranischer Miliz zum christlichen Glauben

Flucht aus der Düsternis

Daniel ist aus dem Iran geflohen und im Erzbistum München und Freising Katholik geworden. Im Interview berichtet er von seinen erschütternden Erfahrungen und von seiner Hinwendung zum Christentum.

Die Bibel in persischer Übersetzung ist Daniel eine treue Begleiterin. © Burghardt/SMB

Daniel wurde 1993 in Teheran geboren und gehörte jahrelang den Basidsch an, einer paramilitärischen Polizeieinheit, die zur Unterdrückung von Minderheiten und Oppositionellen eingesetzt wird. Nachdem er die Unmenschlichkeit des Systems nicht mehr mittragen konnte, sich von der im Iran praktizierten Form des Islam distanzierte und den Rückhalt seiner Familie verlor, verließ er 2015 den Iran. Über die Türkei und Griechenland kam er 2016 nach Deutschland, wo er 2018 zum Katholizismus konvertierte. Er lebt in einem Dorf nördlich von München, arbeitet in München und hofft derzeit auf einen positiven Bescheid seines Asylantrags. Im Falle einer Abschiebung droht ihm im Iran wegen „Abfalls vom Glauben“ die Todesstrafe. mk online hat mit Daniel, dessen vollständiger Name aus Sicherheitsgründen nicht veröffentlicht wird, über sein Leben gesprochen.

mk online: Wie hast du deine Kindheit im Iran erlebt?

Daniel: Ich bin in einer großen, sehr gläubigen Familie aufgewachsen. Unsere Lebensqualität war niedrig, wir hatten viele Probleme. Ich bin in einer geschlossenen Gesellschaft groß geworden, in der freies und selbstständiges Denken nicht möglich war. Bereits im Kindergarten werden die Kinder indoktriniert. Uns Kindern wurde immer wieder vermittelt, dass alle Menschen im Grunde schuldig und Sünder sind und dass es nur einen Weg gibt, sich von dieser Schuld zu befreien: Buße, Weinen und Klagen. Es herrschte eine sehr düstere religiöse Atmosphäre.

Schon als Jugendlicher wurdest du Mitglied der Basidsch. Wie muss man sich diese Polizeieinheit vorstellen?

Daniel: Die Basidsch versuchen, junge Menschen für sich zu gewinnen und ihnen durch gemeinsame Aktionen ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu vermitteln. Wer aktiv und engagiert mitarbeitet, bekommt Punkte und hat später viele Vorteile. Man wird für den zweijährigen unbezahlten Militärdienst nicht in ein anderes Bundesland versetzt oder bekommt eine Stelle als Sekretär eines Generals oder wird bei einer Bewerbung bei Behörden bevorzugt behandelt. Und man bekommt bei der Bank der Iranischen Revolutionsgarde leichter einen Kredit.

Welche Aufgaben hattest du dort auszuführen?

Daniel: Wie viele andere wurde ich eingesetzt, um Jugendliche auf der Straße zu kontrollieren, sie nach dem Woher und Wohin zu fragen und Informationen über die Bewohner meines Stadtteils zu sammeln. Zu meinen Aufgaben gehörte auch, ausfindig zu machen, wo es Bordelle gibt oder wo Partys stattfinden. Zudem musste ich alkoholisierte Jugendliche verhaften und sie in Handschellen den Basidsch übergeben. In der Schule wurden wir aufgefordert, andere Familien auszuspionieren und herauszufinden, wie sie leben. Die Basidsch haben Büros in den verschiedenen Stadtteilen. Zuletzt war es meine Aufgabe, diese Büros zu kontrollieren und zu überprüfen, ob sie ihre Arbeit gut machen.

Im Iran werden oft drakonische Strafen verhängt. Hast du bei der Polizei Derartiges miterlebt?

Daniel: Ja, oft! Die Basidsch arbeiten eng mit den Imamen zusammen, die vorgeben, was gutes und rechtes Verhalten im Sinne des Islam ist. Imame sind unantastbar, und was sie sagen, darf nicht infrage gestellt werden. Zu den Praktiken der Basidsch gehört auch, Menschen, die sich etwas haben zuschulden kommen lassen, mit Säure zu bedrohen. Auch wenn die Basidsch selbst keine Todesstrafen vollstrecken, sondern nur Informationen weitergeben durften: Öffentliche Hinrichtungen durch Erhängen habe ich mehrfach miterlebt.

Wie kam dann der Wendepunkt in deinem Leben?

Daniel: In meiner Nachbarschaft wohnte eine Familie mit einem schwerkranken sechsjährigen Mädchen, das dringend eine neue Niere brauchte. Ich habe in der Moschee mit dem Imam gesprochen und ihn gebeten, der Familie mit Geld zu helfen. Der Imam antwortete ausweichend: „Vielleicht morgen.“ Nichts geschah. Dann starb das kleine Mädchen. Der Imam gab der Familie nun zwar etwas Geld für die Trauerfeier, doch auf meine Frage, warum er nicht vorher geholfen habe, antwortete er mir: „Du bist naiv! Vielleicht hat Gott gewollt, dass dieses Kind stirbt. Gott weiß es besser.“ Das war für mich der Punkt, wo ich sagte: Jetzt ist es genug. Ich kann da nicht mehr mitmachen.

Du hast dich auch von der in deiner Heimat praktizierten, allen Lebensbereichen aufgezwungenen Religion, der sogenannten Zwölfer-Schia, distanziert, was in einem Land ohne Religionsfreiheit eine folgenschwere Entscheidung ist. Was hat dich dazu bewogen?

Daniel: Im Iran ist alles reglementiert, man muss alles hinnehmen und glauben, was die Imame sagen. Es gibt keine Meinungs- und Diskussionsfreiheit. Die Imame halten sich selbst für Heilige – was sie sagen, kommt ihrer Meinung nach direkt von Gott. Fragen stellen und eigenständig denken ist nicht erlaubt. Das wäre geradezu Gotteslästerung. Ein solches religiöses System, wo der Mensch seinen Verstand ausschalten muss, konnte ich nicht mehr mittragen. Das hat nichts mehr mit Gott zu tun.

Wie haben deine Familie und deine Freunde reagiert?

Daniel: Alle waren sehr böse auf mich und warfen mir vor, ich sei von schlechten Freunden manipuliert und vom Teufel besessen.

Wie bist du zur Entscheidung gekommen, dein Land zu verlassen?

Daniel: Im Iran war es nicht möglich, ein ruhiges, normales, menschenwürdiges Leben zu führen. Daher habe ich meine Heimat verlassen.

Wie hast du dich an dem Tag, an dem du in ein neues Leben aufgebrochen bist, gefühlt?

Daniel: Sehr ruhig und erleichtert. Endlich konnte ich alle Schwierigkeiten hinter mir lassen in dem Bewusstsein: Jetzt ist alles vorbei. Ich habe an meine Zukunft gedacht und daran, mir ein neues Leben in Freiheit aufzubauen.

Wie ist deine Flucht abgelaufen?

Daniel: Da es im Iran keine Möglichkeit gibt, mit einem Visum nach Deutschland zu kommen, geht es nur mit Schleppern. Meine Flucht habe ich bereits im Iran bezahlt. Wir waren teilweise zu Fuß unterwegs, haben im Freien oder auf der Straße geschlafen, es war kalt, regnerisch und schmutzig, wir waren ohne Geld und ohne Essen. Ich hatte nur einen kleinen Rucksack dabei. Schlepper sind sehr brutal, ein Menschenleben hat für sie keinen Wert. Immer wieder gibt es Organraub: Ein Flüchtling wird zum Beispiel wegen einer Niere für einen reichen Patienten getötet und dann beseitigt. Es gibt keine Papiere, keine schriftlichen Vereinbarungen, keine Dokumente.

Wie hast du Europa erreicht?

Daniel: Wir haben von der Türkei in Plastikbooten Kurs auf Griechenland genommen. Auf jedem der fünf Boote, die für weniger als zehn Personen ausgelegt waren, haben sich 60 Menschen gedrängt. Zwei Boote sind unterwegs untergangen, ich dagegen hatte Glück. Auf der griechischen Insel Lesbos gab es dann endlich Camps, wo wir mit Essen versorgt wurden. Dort machte ich die Erfahrung, dass es auch Menschen gibt, die einem gern helfen. Priester und Nonnen haben sich uneigennützig um die Flüchtlinge gekümmert. Hilfsbereitschaft zu erfahren, ohne dafür bezahlen zu müssen, das war neu für mich.

Schließlich bist du in Deutschland angekommen. Wie waren die ersten Eindrücke?

Daniel: Am ersten Tag hatte ich Kontakt mit der Polizei. Die Polizisten sind sehr freundlich, hilfsbereit und menschlich mit uns umgegangen. Im Iran ist das ganz anders. Dort haben Flüchtlinge keine Hilfe zu erwarten, sondern kommen sofort ins Gefängnis.

Wie kamst du hier mit dem Christentum in Berührung?

Daniel: Ich lebte drei Monate in einem Camp in Eichstätt. Dort gab es Nonnen, die Schokolade, Spielzeug, Stifte und Hefte an die Kinder verteilten, ohne nach der Herkunft oder der Religionszugehörigkeit zu fragen. Ich selber bekam von einer Nonne ein kleines persisch-deutsches Wörterbuch geschenkt. Diese unvoreingenommene und selbstlose Hilfsbereitschaft war neu für mich und hat mich sehr beeindruckt.

Wie hast du Anschluss an die katholische Kirche gefunden?

Daniel: Der Helferkreis hier in meiner Pfarrei hat mich einmal zu einem Konzert in der katholischen Pfarrkirche eingeladen. Die Atmosphäre dieses Konzerts und dieses Raumes hat mich sehr angesprochen. Und dass in einer Kirche Musik gemacht und applaudiert werden durfte, war für mich sehr beeindruckend. So etwas wäre im Iran in einer Moschee nicht möglich. Im Iran wurden mir Katholiken als ängstliche, verschlossene, kalte und unnahbare Menschen beschrieben, ihre Kirchen seien dunkel und voller Gestank. Hier konnte ich feststellen, dass das Gegenteil wahr ist.

Was hat dich am katholischen Glauben fasziniert?

Daniel: Beeindruckt hat mich die Gleichberechtigung von Mann und Frau; dann auch, dass man jederzeit über seinen Glauben sprechen kann und Fragen stellen darf. Mir gefällt, dass es eine einheitliche Glaubenslehre gibt und eine Person, die diese Einheit der Kirche repräsentiert: den Papst.

Du bist im Februar 2018 getauft und gefirmt worden. Erzähl uns von diesem Tag!

Daniel: Es war ein feierlicher Sonntagsgottesdienst in unserer Pfarrkirche. Viele Menschen waren gekommen, um mitzufeiern. Ich fühlte mich als Teil einer großen Familie. Nach dem Gottesdienst gab es dann noch eine kleine weltliche Feier in einem Restaurant mit unserem Pfarrer, unserer Pastoralreferentin, meinem Tauf- und Firmpaten und dem Helferkreis. Ich habe viele Geschenke bekommen, darunter eine deutsch-persische Ausgabe des Neuen Testaments, in der ich gerne lese.

Du bist seit gut zwei Jahren Christ. Wie praktizierst du deinen Glauben?

Daniel: Ich lese die Bibel und sonstige christliche Literatur, teilweise auch auf Persisch. Ich möchte mein Leben nach der christlichen Lehre ausrichten. Wichtig ist für mich dabei auch die Besinnung auf die Fehler, die ich in der Vergangenheit gemacht habe, und das Bemühen, sie nicht zu wiederholen und meinem Leben eine neue Richtung zu geben. Ich besuche regelmäßig die Gottesdienste in unserer Pfarrkirche und habe auch einen guten Kontakt zum Pfarrer unserer Gemeinde und seinen Mitarbeitern.

Welche Pläne hast du für die Zukunft?

Daniel: Das hängt von den Papieren ab und von der Entscheidung der Asylbehörde. Auf jeden Fall möchte ich nun erst einmal eine eigene Wohnung finden, dann den Führerschein und eventuell eine Ausbildung als Koch machen. Mein Traum ist, einmal ein eigenes persisches Restaurant zu eröffnen.

Träumst du davon, später einmal in deine Heimat zurückzukehren?

Daniel: Selbst wenn sich die politische Lage im Iran zum Positiven hin verändern sollte, wäre eine Rückkehr problematisch, weil ich von meiner Familie als Christ nicht akzeptiert werde. Ich habe Heimweh, aber eine Rückkehr in den Iran ist unter den derzeitigen Umständen für mich nicht vorstellbar.

Wie würdest du deine innere Reise hin zum Christentum zusammenfassend beschreiben?

Daniel: Ich war vom Leben enttäuscht und glaubte an keinen Gott. Ich fühlte mich leer und minderwertig. Aber es war Gottes Wille für mich, hierherzukommen und die Kirche kennenzulernen. Ich fühle mich jetzt ruhig und leicht und genieße Gottes Gnade. Ich glaube, dass ich im Tod und am Tag des Gerichts gerettet werde.

Der Redakteur
Joachim Burghardt
Münchner Kirchenzeitung
j.burghardt@michaelsbund.de