International gefragter Musiker aus München

Film- und Kirchenkomponist Enjott Schneider wird heute 70 Jahre

Auch wer seinen Namen nicht kennt, hat ziemlich sicher schon einmal etwas von ihm gehört. Enjott Schneider schreibt Musik für Katholikentagen genauso wie fürs Kino.

Enjott Schneider in seinem Münchner Studio. © Bierl/SMB

München - Laut seinem Terminkalender ist Enjott Schneider zurzeit gar nicht zuhause, sondern in China, in Russland oder im Amazonasgebiet. Aber die Flugzeuge bleiben wegen der Coronakrise am Boden und der international gefragte Münchner Komponist daheim. Dafür durchreist er in seinem Haus im Stadtteil Au andere, unendliche Weiten, die des Klangs. Im ersten Stock steht eine Reihe von Mischpulten und Bildschirmen und ein elektrisches Klavier. An einer Wand sind feinsäuberlich rot eingebundene Partituren großer Kollegen gestapelt. Eine Wagneroper liegt ganz obenauf. In der Welt der Töne ist Enjott Schneider immer unterwegs. Auch wer seinen Namen nicht kennt, hat ziemlich sicher schon einmal etwas von ihm gehört, entweder am Fernseher oder im Kino. Enjott Schreiber hat die Musik zu den TV-Serien Marienhof und Polizeiruf 110, zu Doku-Reihen von Guido Knopp und zu zahlreichen Filmen von Joseph Vilsmaier geschrieben, etwa zu „Herbstmilch“ oder „Rama dama“.

Vertraut mit Bibel und Religion

Dabei kommt der gebürtige Südbadener von der Kirchenmusik, der er bis heute treu geblieben ist. Schneider hat für die Katholikentage in Mainz und Regensburg komponiert, ein Oratorium über das Leben des Heiligen Augustinus und Messen geschrieben. Eines seiner jüngsten Werke ist eine Vertonung des Psalm 88, „Aus abgrundtiefer Finsternis“. Das Stück ist im vergangenen November in der Münchner Jesuitenkirche Sankt Michael uraufgeführt worden, die es anlässlich der Kriegszerstörung vor 75 Jahren in Auftrag gegeben hatte. Bibel und Religion sind für Enjott Schneider vertrautes Gelände. Er ist in einem evangelischen Elternhaus groß geworden und hat in der Kirche in Hinterzarten im Schwarzwald die Orgel geschlagen und Kirchenchöre geleitet. „Ich bin aus der Amtskirche aber ziemlich rausgewachsen“, sagt er ganz ohne Schärfe. Das Katholische jedoch zieht ihn „merkwürdigerweise“ an. Schneider ist aber viel zu beredt, um dafür nicht doch schnell eine Erklärung zu finden.  „Was mich bei der evangelischen Kirche in Distanz gebracht hat, das ist die Dominanz des Rationalen, die findet mir zu sehr im Kopf statt.“ Nüchterne theologische Erklärungen, die der Religion ihren Zauber nehmen, sind seine Sache nicht. Er vertraut auf Rituale, die über das bloße Wort hinausgehen und das unsagbare Geheimnis Gottes seiner Meinung nach besser ausdrücken. „Da ist in der katholischen Kirche mehr vorhanden, sie ist stärker an eine ursprüngliche Religiosität zurückgebunden.“ Und dass teilweise immer noch das Latein in der Messe gepflegt wird, „das viel faszinierender ist als deutsch“, gefällt ihm außerdem. Sein musikalischer und gläubiger Blick geht aber viel weiter. Die Klangwelt sibirischer Schamanen fesselt ihn genauso wie die buddhistischer Mönche oder der australischen Aborigenes. „Es gibt keine Religion, keine Rituale, in denen nicht Musik eine entscheidende Rolle spielt.“ Sie sei eben die Kunst, die ins Transzendente, in den Kosmos hineinführt. „Am Anfang war das Wort, das heißt im ursprünglichen Text ja eigentlich auch im Anfang war der Klang, die Schwingung“, erklärt Schneider, der seit Jahrzehnten immer auch in die Sprachwissenschaft hineinschaut.

Kosmos ist Klang

Mit Tönen lassen sich „Stimmungen, das Kosmische, das, was hinter den Dingen steht erzählen“. Darum hat es ihn auch immer gereizt, für Film und Fernsehen zu schreiben: „Der Kameramann zeigt eine Bergwand, das sagt gar nix; der Komponist zeigt, was hinter der Bergwand ist und macht Tore in eine andere Welt auf.“ Er lotet die Tiefen aus, die sich mit dem Bild aber auch mit Worten verbinden können. Und da ist Schneider auch wieder bei der Kirchenmusik. „Ein über 1500 Jahre alter Text wie das Kyrie sagt uns heute ja nicht mehr viel und kommt uns formelhaft vor.“ Die Musik deute die Botschaft liturgischer Worte aber immer wieder neu aus. „Der Text ist die Vorderseite, die alle zu kennen glauben, und meine Aufgabe ist es, die Rückseite zu zeigen, die immer mit einem Geheimnis verbunden ist.“ Das hat Enjott Schneider auch seinen Studenten an der Münchner Musikhochschule immer klar zu machen versucht, wo er seit 1979 lehrte und die erste Professur für Filmmusik in Deutschland bekleidete. „Jeder Komponist muss viele technische und handwerkliche Dinge beherrschen, aber er muss genauso etwas über die Psyche des Menschen wissen und er muss etwas vom Geistigen spüren, wie wir mit dem Jenseits, mit Gott oder wie immer man es nennen will, verbunden sind.“ Diesem Dreiklang aus Handwerk, Seele und Geist hat Enjott Schneider in seinem 70jährigen Musikerleben immer nachgehorcht.

Keine Schubladen für gute Musik

Dabei hat er sich um die Unterscheidung von ernster und unterhaltender Musik wenig gekümmert. Gut ist sie für ihn dann, wenn sie einem Menschen ins Herz spricht.  So wie er es selbst als jugendlicher Norbert Jürgen, bei einer „Freischütz“-Aufführung erlebt hat. Für die Mitschüler war er damals immer schon der N.J., also Enjott, und so steht es heute sogar in seinem Pass. Vor ein paar Jahren hat er vor einem Konzert in der Augsburger Synagoge von einem Rabbi erfahren, dass es dieses Wort im Hebräischen tatsächlich gibt: „Er hat mir gesagt, es bedeutet der Gezeichnete oder der Ausgezeichnete“. Seitdem ist er mit diesem Namen noch zufriedener. Und „der Ausgezeichnete“ stimmt ganz gewiss. Schneider hat eine ganze Menge Ehrungen erhalten. Zuletzt im Herbst den Ehrenpreis des Deutschen Filmmusikpreises. Ausruhen wird er sich auch mit 70 auf diesen Lorbeeren nicht. Gerade arbeitet er mit dem Altorientalisten Stefan Maul zusammen, „der Keilschrifttexte liest wie andere Leute die Zeitung“. Der Wissenschaftler übersetzt ihm 9000 Jahre alte Götter- und Sintfluttexte, zu denen Schneider ein Oratorium komponiert und wieder dem Geheimnis hinter den Worten und der Welt nachspürt.

Der Autor
Alois Bierl
Chefreporter Sankt Michaelsbund
a.bierl@michaelsbund.de

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Beitrag über Enjott Schneider im Münchner Kirchenradio

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