Nach Auflösung

Ex-Mitglieder der Integrierten Gemeinde für weitere Aufarbeitung

Die Katholischen Integrierte Gemeinde gibt es nicht mehr. Betroffene, die in einem Schreiben an die Münchner Diözesanleitung unter anderem über Missachtung der bischöflichen Fürsorge- und Aufsichtspflicht klagen, dagegen schon.

In einem Schreiben wenden sich Ex-Mitglieder der Integrierten Gemeinde an die Münchner Diözesanleitung. © contrastwerkstatt - stock.adobe.com

München – Nach der kirchenrechtlichen Auflösung der Katholischen Integrierten Gemeinde (KIG) durch den Münchner Kardinal Reinhard Marx fordern ehemalige Mitglieder weitere Schritte der Aufarbeitung. "Hier geht es um die jahrzehntelange Missachtung der bischöflichen Fürsorge- und Aufsichtspflicht sowie um unterlassene Hilfeleistungen", kritisiert das ehemalige Gemeindemitglied Mechthild Leise in einem Schreiben an die Münchner Diözesanleitung, das der Katholischen Nachrichten-Agentur vorliegt.

Verantwortlich dafür seien Marx sowie seine beiden Vorgänger Friedrich Wetter und Joseph Ratzinger. Letzterer hatte die Gruppe 1978 kirchlich anerkannt. "Der brutale Umgang mit den Kindern und Jugendlichen innerhalb der Gemeinde erfüllt mit Sicherheit den Tatbestand der Kindeswohlgefährdung", so Leise.

Mit Segen der Kirche

Die Verantwortlichen der KIG haben solche Vorwürfe stets als "böswillige Verleumdung" zurückgewiesen. Leise schreibt: "Es gibt viele Betroffene, die z.T. über Jahrzehnte in einem Gestrüpp perfider Machtstrukturen und ideologischen Verbiegungen gefangen waren, auch weil sie guten Glaubens waren, dass die Gemeinde mit Segen der Kirche auf einem guten und richtigen Weg war." Dafür müsse die Kirchenleitung Verantwortung übernehmen.

Rund 25 Betroffene haben sich nach Angaben der Rentnerin durch persönliche Aussagen an der Untersuchung der Gemeinschaft beteiligt. Ausdrücklich bedanken sich die Unterzeichner des Briefes bei den Visitatoren. In deren vor einer Woche veröffentlichten Stellungnahme fänden sich die Betroffenen wieder. Zugleich hätten sie aber den Eindruck, dass es nach der formalen Auflösung der KIG jetzt um sie nicht mehr gehe.

Bis heute warteten sie auf ein persönliches Gespräch mit dem Kardinal, sagte Leise. Im Blick auf die erlittenen Verletzungen seien Hilfsangebote notwendig: Anlaufstellen, Therapien, geistliche Begleitung und auch materielle Unterstützung. Außerdem müsse eine unabhängige Aufarbeitungskommission für die KIG mit Beteiligung der Betroffenen errichtet werden. Verständnis für Betroffene zu äußern, die sich von dem Verein enttäuscht fühlten, wie Marx es getan habe, sei ungenügend. Dies mit "negativen Erfahrungen" zu umschreiben, verharmlose die Ergebnisse der Visitation.

Im Namen des Heiligen Geistes

Marx hatte vergangenen Freitag die kirchenrechtliche Auflösung der umstrittenen Gemeinschaft bekannt gemacht. Vorausgegangen war eine kirchliche Untersuchung. Die damit Beauftragten ermittelten mehrere "strukturelle Defizite", darunter überzogene Gehorsamsforderungen und eine "unkontrollierte Machtausübung im Namen des Heiligen Geistes".

Die 1948 von dem Ehepaar Traudl und Herbert Wallbrecher gegründete Gemeinschaft galt zeitweise als einer der vielversprechendsten Aufbrüche in der katholischen Kirche. Sie wollte nach eigener Darstellung "ein Ort für ein aufgeklärtes und unverkürztes Christentum" sein und zog namhafte Theologen an.

Joseph Ratzinger stand als Münchner Erzbischof, Glaubenspräfekt und Papst über Jahrzehnte in engem Kontakt mit der Gruppe. Vor wenigen Wochen ging er öffentlich auf Distanz. Offensichtlich sei er über manches in ihrem Innenleben "nicht informiert oder gar getäuscht" worden, erklärte Benedikt XVI. Leise unterstrich dagegen, es sei bekannt, dass er unter anderem von Ordinariatsmitarbeitern, Theologen und ehemaligen Gemeindemitgliedern über die Missstände informiert worden sei. (kna)