Muslime in Deutschland

"Euer Hass kommt nicht aus unserer Religion!"

Terror ist Terror – egal von wem er ausgeht. Das betont Imam Benjamin Idriz im Interview. Außerdem erklärt er, wie sich das Leben für Muslime seit den Anschlägen der vergangenen Wochen verändert hat.

Betender Mann in einer Moschee (Bild: Fotolia.com/elmirex2009) © Fotolia.com/elmirex2009

MK: Was hat sich in Ihrem Leben seit den Anschlägen in Deutschland und zuletzt in der Kirche in Frankreich verändert?

Idriz: Wir waren beziehungsweise sind als Muslime ja doppelt betroffen: Die Mehrzahl der Opfer des Amoklaufs in München waren Muslime, und sind damit erneut – wie leider schon so oft in Deutschland – Opfer von Hass auf vermeintlich „Fremde“ geworden. Wenn andererseits die Täter der Anschläge in Nizza, in Würzburg, in Ansbach sowie auf die Kirche in Frankreich vorgeben und sich womöglich selbst einreden, Muslime zu sein, dann rufe ich ihnen, und denen, die mit ihnen sympathisieren, zu: Euer Hass kommt nicht aus unserer Religion! Eure Gewalt kommt nicht von unserem Propheten! Ihr habt nichts von der Barmherzigkeit Gottes verstanden und nichts von Seinem Koran. Wendet euch dem allbarmherzigen Allah zu, damit er euch auf seine Wege des Glaubens, der Vernunft und der Menschlichkeit zurückführt. Wir müssen uns als Muslime einerseits gegen die wehren, die unsere Religion so grauenhaft missbrauchen, und uns gleichzeitig ununterbrochen vorhalten lassen, dass wir potentiell genauso zerrüttet denken, wie diese Wahnsinnigen. Das ist durch die jüngsten Anschläge noch schlimmer geworden – aber es geht uns schon sehr lange so.

Terror ist Terror

MK: Welche gesellschaftlichen Veränderungen nehmen Sie wahr?

Idriz: Es hat glücklicherweise auch sehr viel Gemeinsamkeit gegeben. Die ganz unterschiedlichen Hintergründe der vergangenen Anschläge zeigen, dass es nicht um tatsächliche oder vermeintliche „Begründungen“ für Terror gehen kann, sondern dass Terror Terror ist, ganz gleich von wem er ausgeht und gegen wen er gerichtet ist. München hat gemeinsam getrauert, am OEZ und in der Frauenkirche, Muslime, Christen, Juden und andere. Von dem Gebet einer muslimischen Frau waren viele ganz besonders bewegt. Das waren wertvolle Zeichen, die bleiben müssen! In der Nacht des Amoklaufs und der Panik in ganz München haben Moscheen und unzählige Bürger ihre Häuser über Nacht für Menschen geöffnet. Dieser gemeinsame Geist der Mitmenschlichkeit soll Münchens Botschaft aus diesen schrecklichen Tagen sein!

MK: Dass es junge Muslime gibt, die sich innerhalb kürzester Zeit radikalisieren, ist nicht anzuzweifeln. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe dafür?

Idriz: Die Gründe können in den Biographien oder Familien der Betroffenen liegen, sie können mit der kranken Situation unserer Welt zu tun haben, die maßlos von Ungerechtigkeit gezeichnet ist, von der Dominanz Reicher über Arme, von Waffenproduktionen und immer mehr Kriegen, von der Verachtung von Mensch und Umwelt, und sie können auch mit fehlendem Verständnis des Islam zu tun haben. Deshalb wäre es so wichtig, dass München ein repräsentatives islamisches Zentrum bekommt, wo für alle sichtbar wird, was Islam ist und was keinesfalls islamisch sein kann.

Imam Benjamin Idriz
Imam Benjamin Idriz (Bild: Kiderle)

Moscheen haben einen Bildungsauftrag

MK: Es gibt Menschen, die machen den Islam dafür verantwortlich, dass insbesondere junge Menschen ihr eigenes Leben und das von anderen auslöschen. Was halten Sie von dieser Einschätzung?

Idriz: Ich könnte sagen: Dasselbe wie Papst Franziskus. Die Geschichte zeigt doch, wie abwegig es ist, die Anhänger der einen oder anderen Religion für mehr oder weniger friedlich zu halten. Wir dürfen keine Grenzen zwischen den Religionen ziehen, zwischen Christen und Muslimen und anderen, sondern zwischen solchen Menschen, die friedlich und respektvoll miteinander leben wollen und denen, die auf Konfrontation aus sind, hetzen und Vorurteile gegen andere schüren, oder sogar Blut vergießen. Die können sich auf keine Religion berufen.

MK: Was können Ihrer Meinung nach Muslime gegen diese Entwicklung tun?

Idriz: Die Moscheen haben einen Bildungsauftrag, dem sie leider noch nicht immer gerecht werden. Muslime sollten gebildete, selbstbewusste und selbstbestimmte Menschen sein. Und Nicht-Muslime genauso. Wir brauchen sehr viel mehr Wahrnehmung, und das heißt vor allem Berichterstattung der Medien, über die ganz normalen Muslime, über das, was in den letzten Wochen doch eindrucksvoll zu erleben war, über das, was ganz normale Muslime über die Gräueltaten denken und sagen. Über den Priestermord waren die Zeitungen berechtigterweise voll. Nicht weniger hätte aber über all die Zeichen der Solidarität von Muslimen mit der Kirche berichtet werden müssen.

(Interview: Susanne Holzapfel)