Theologie des Leibes

Erotisch und fromm

1979 veröffentlicht Papst Johannes Paul II 133 Katechesen in denen er Liebe und Sexualität theologisch betrachtet. Welche praktische Bedeutung das noch heute hat, beschreibt Clara Schipp, Referentin für Berufungspastoral in der Erzdiözese Wien.

Welche Bedeutung hat die "Theologie des Leibes" heute? © Petrik - stock.adobe.com

Theologie des Leibes – kann das überhaupt einen Einfluss auf meine Beziehung, auf mein Liebesleben haben? Ich möchte Ihnen gern ein paar Denkanstöße geben, wie man die Theologie des Leibes übersetzen kann. Und ähnlich wie es der heiliggesprochene Papst Johannes Paul II. in seinen Überlegungen macht, möchte auch ich mit der Erfahrung als Ausgangspunkt beginnen, die einige, Frauen wie Männer, machen.

1. Konsumgut

Sexualität ist in gewisser Weise zu einem Konsumgut geworden, um nicht zu sagen: verkommen. Immer und überall verfügbar, gegen Geld oder ohne, mit jemandem oder ohne. Diese Liste lässt sich endlos lange fortführen. In Zeiten von Online-Dating-Plattformen wie Tinder & Co unterscheidet eine ausgelebte Sexualität nicht mehr viel von der Schokolade, die ich esse, weil ich gerade Lust darauf habe.

2. Gefühlsexplosionen

Liebe wird allgemein als Gefühl definiert. In Filmen und Serien werden uns diese Hochzeiten des Gefühlslebens äußerst plastisch dargestellt. Nicht wenige machen aber die Erfahrung, dass es diese Gefühlsexplosionen zwar gibt, sie aber weder von Dauer sind noch sich als tragende Basis einer langfristigen Beziehung erweisen. Nicht umsonst trennen sich viele mit dem Satz „Ich habe keine Gefühle mehr für dich“.

3. Sehnsucht

Es lässt sich eine große Diskrepanz zwischen dem, was ich eigentlich will, und wie ich tatsächlich lebe, feststellen. Einem „Womanizer“ (Frauenhelden) mit ständig wechselnden Partnerinnen nimmt man nun einmal nicht wirklich ab, dass er eigentlich nur auf die eine perfekte Frau wartet, die er dann heiraten, mit ihr Kinder haben und auf ewig treu sein will. Und doch gibt es diese Sehnsucht nach einer liebevollen, erfüllten, treuen und lebenslangen Partnerschaft.

4. Einheit

Gott hat ohnehin nichts mit meiner Beziehung und schon gar nichts mit meinem Sexleben zu tun. Gott, vor allem aus katholischer Perspektive, wäre doch nur eine Spaßbremse im Bett. Eine der zentralen Thesen in der Theologie des Leibes von der Einheit von Leib & Seele meint, dass der Körper das Medium der Seele ist. Er drückt die tiefsten Regungen der Seele aus. Ob wir jemandem beispielsweise zur Begrüßung nur die Hand geben oder ihn umarmen, drückt aus, wie nahe wir dieser Person stehen; in coronafreien Zeiten versteht sich. Folgt man der Logik dieser Sprache, ist die Sexualität die intimste, die wertvollste Sprache, in der Menschen kommunizieren können.

Sex ist in diesem Sinn nicht einfach nur Triebbefriedigung, sondern die Selbstgabe an den Partner und andersherum, gegenseitiges Sich-Schenken der ganzen Person, nicht nur des Körpers. Die Theologie des Leibes offenbart also vor allem, wie die Liebe eigentlich gedacht ist, welchen grandiosen Wert und Inhalt sie in Gottes Schöpfung innehat. Nun ist das Paradies schon lange Geschichte und wir stehen jetzt vor der Herausforderung, diesen nicht immer so paradiesisch anmutenden Scherbenhaufen zu einem funktionstüchtigen Stück Porzellan zusammenzukitten.

5. Geschenk

Sexualität steigt in ungeahnte Wertdimensionen auf, wenn man sich klarmacht, dass der Partner Geschenk ist und man selbst ebenso. Gerade bei Frauen scheitert es häufig schon an der Selbstannahme, vor allem was einen überkritischen Blick auf den eigenen Körper betrifft. Sex, der nur auf Nehmen, nur auf die eigene Triebbefriedigung aus ist, bleibt letztlich egozentrisch. Paare, die ihre seelische Beziehung nicht in der Tiefe wie ihre körperliche Beziehung pflegen, benutzen nur den Körper des anderen und genießen nicht das, was Sexualität über den bloßen Trieb erheben kann.

6. Aufmerksamkeiten

Unsere romantischen Vorstellungen stoßen nicht allzu selten an die harten Banden des Alltags, in dem man häufig die Arbeitskollegen mehr sieht als den Partner, oder die eigenen Kinder einen Großteil der Aufmerksamkeit und Nerven einnehmen. Wie sehr freut man sich in dieser Situation schon über kleine Aufmerksamkeiten. Just do it. Liebe lebt nicht von Erwartung an den Partner, sondern von der Hingabe an ihn, sie erlebt und genießt den Moment, der zur wunderbaren Erinnerung werden kann, wenn wir ihn bewusst gestalten. Und Erwartung wartet dann eben doch nur. Auf das Beschenken folgt in der Regel das Beschenktwerden, aber es ist eine andere Kultur, als mürrisch auf Zuwendung zu warten.

7. Haltung

Liebe ist viel mehr als Gefühl. Gefühle (vor allem positive) sind etwas Wunderbares und offenbaren viel, zum Beispiel von der Person, in die wir uns verliebt haben, aber sie sind nicht konstant. Gereifte Liebe ist vielmehr eine Haltung, die sich in konkreten Entscheidungen und Taten ausdrückt. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Der Mensch ist mehr als eine Hormon-Autobahn.

8. Schöpfung

Gott ist unser Schöpfer, der uns als liebesfähige Menschen erschaffen hat, um seine Antwort zu erwidern. Insofern ist schon einmal grundgelegt, dass Gott noch vor jeder Liebe zu einem bestimmten Menschen auf unsere Liebes-Antwort hofft. Umso schöner ist, wenn man sie im Staunen vor einer anderen Person und seinem Schöpfungswerk geben kann. So wie Adam sich über die Erschaffung Evas freute, dürfen auch wir uns in dem Wissen erfreuen und genießen, dass es aus vollstem Herzen so gewollt und gedacht ist.
(Clara Schipp ist Referentin für Berufungspastoral in der Erzdiözese Wien, arbeitet als Religionslehrerin an einem Wiener Gymnasium und promoviert beim Moraltheologen Professor Jochen Sautermeister.)

Dieser Artikel gehört zum Schwerpunkt Kirche und Sexualität