Ersthelfer bei Zugunglück

Emotionen werden ausgeblendet

Es sind schreckliche Bilder, die das Zugunglück von Bad Aibling dokumentierten. Feuerwehrkommandant Wolfram Höfler war als Ersthelfer nicht nur am Faschingsdienstag vor Ort, sondern auch schon bei einem ähnlichen Szenario vor 40 Jahren. Vieles hat sich seit damals verändert.

© Wolfram Höfler ist seit 45 Jahren bei der Bad Aiblinger Feuerwehr aktiv. (Bild: privat)

Bad Aibling – Vermutlich ist er der einzige Feuerwehrmann, der bei zwei der schwersten Zugunglücke in Bayern als Helfer dabei war. Wolfram Höfler war gerade mal 21 Jahre alt, als am Abend des 8. Juni 1975 auf der eingleisigen Zugstrecke in Warngau zwei Eilzüge ineinander rasen. Damals steht er noch ganz am Anfang seiner Feuerwehrlaufbahn und erlebt ein schreckliches Szenario. Inzwischen ist er der Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr Bad Aibling. Mehr als 40 Jahre nach Warngau muss Wolfram Höfler wieder Leichen aus einem Zug bergen, wieder Entscheidungen treffen, wieder grausame Bilder sehen. Ein Déjà-vu für den Feuerwehrmann. Als Einsatzleiter beim Zugunglück in Bad Aibling am Faschingsdienstag kann er nun vergleichen: Wie war es damals? Wie heute?

Gewisse Distanz wahren

„Als am Morgen der Alarm kam, dachte ich zuerst an einen Menschen, der vom Zug erfasst wurde – oder an einen anderen Unfall. Aber zwei Züge, die ungebremst aufeinandergeprallt sein sollen, das war für mich unvorstellbar. Das kann doch heutzutage eigentlich nicht mehr passieren“, erinnert sich Höfler an den 9. Februar 2016. „Gedanken darüber, wie es zu so einem Unglück kommen kann, dafür ist keine Zeit während des Einsatzes. „Persönliche Regungen werden vollkommen ausgeblendet. Man konzentriert sich auf die Aufgabe, nicht auf die Emotion“, erklärt der 62-Jährige. Diese Distanz habe nichts mit Gefühllosigkeit zu tun, sie sei lediglich Teil des professionellen Vorgehens.

Am Unfallort herrscht überall Chaos: Menschen mit abgetrennten Gliedmaßen liegen neben leichter Verletzten und Toten. Die ersten Handgriffe, die man macht? „Prioritäten-Bändchen“ austeilen. Je nach Verletzungsgrad bekämen die Unfallopfer Farben zugeteilt. „Am schlimmsten sind aber die Geräusche und Gerüche, die man während des Einsatzes wahrnimmt. Diese Eindrücke sind es letztendlich, die einen sehr lange verfolgen“, gibt Höfler zu. „Besonders wichtig für die eigene Psyche ist auch, dass man am Ende des Tages mit sich im Reinen ist und sagen kann, dass man das Möglichste getan hat“, weiß der Kommandant. Bis man das aber erst einmal behaupten kann, liegen unzählige nervenzehrende Stunden vor einem. Ein Wechselbad der Gefühle.

Während des Einsatzes gewinnen Rettungskräfte auch neuen Mut durch kleine „Wunder“. In Bad Aibling sei das ein schwerverletzter 17-Jähriger gewesen, der eingeklemmt den ganzen Einsatz miterleben musste, bis er nach qualvollen Stunden endlich befreit werden konnte. „Wir haben die Hoffnung schon aufgegeben. Unbeschreiblich groß sind dann natürlich die Emotionen, wenn man am nächsten Tag erfährt, dass er auf dem Weg der Besserung ist“, freut sich der 62-Jährige.Fragen, wie Gott so etwas überhaupt zulassen könne, habe man sich in diesem Beruf schon lange abtrainiert, eigentlich schon damals vor 40 Jahren, als Höfler als junger Mann bei dem schweren Zugunglück in Warngau hilft. Die furchtbare Bilanz: 41 Tote und fast 130 Verletzte. Die schrecklichen Bilder für die Einsatzkräfte bleiben gleich, die psychische Belastung war 1975 vermutlich nicht geringer als in Bad Aibling mit elf Toten und 85 Verletzten.

Betreuung ist wichtig

"Eine Sache hat sich verändert: Zugeben, dass es einen mitnimmt? Das gab es damals nicht. Da galt man als Weichei. Am Ende des Tages wurde einem kurz auf die Schulter geklopft, erzählt Wolfram Höfler. Das habe sich allerdings glücklicherweise geändert.

Im Vergleich zu damals würden die Hilfskräfte nach einem so belastenden Einsatz nicht allein gelassen. Sie würden betreut, könnten in Gesprächen die schlimmen Eindrücke verarbeiten und bei Bedarf psychologische Hilfe in Anspruch nehmen. „Denn die schrecklichen Bilder melden sich meist erst später. Der Alltag ist immer noch nicht Alltag und der Einsatz dauert auch jetzt noch an“, weiß Höfler, der den Job nun seit 45 Jahren kennt. Der erfahrene Feuerwehrmann habe aber auch Angst, selbst irgendwann Auffälligkeiten zu entwickeln. Kraft tanke er durch die vielen Gespräche, vor allem auch mit Journalisten – eine Art „Pressetherapie“, wie er es nennt. Und: Die Kollegen achten rücksichtsvoll aufeinander.

Höflers Söhne wollen in seine Fußstapfen treten. Sie sind auch Feuerwehrmänner und waren zusammen mit ihm in Bad Aibling im Einsatz. Auch für die beiden stehe der Einsatz für andere im Vordergrund, erklärt Wolfram Höfler voller Stolz. (Patricia Hofmann)