Vatikan

Emeritierter Papst Benedikt XVI. ist tot

Benedikt XVI. war der erste deutsche Papst nach 500 Jahren. Im Alter von 95 Jahren ist er nun verstorben.

Papst Benedikt XVI. © imago

Vatikanstadt – Papst Benedikt XVI. ist gestorben. Er starb am Samstag im Alter von 95 Jahren in seiner Wohnung im Vatikan, wie der Vatikan mitteilte. Die letzten Jahre seines Lebens hat er im Klausurkloster Mater Ecclesiae im Vatikan verbracht.

Der am 16. April 1927 im oberbayerischen Marktl am Inn als Joseph Aloisius Ratzinger geborene emeritierte Pontifex machte sich schon bevor er sein Pontifikat antrat einen großen Namen als Theologe. Später wurde er "Professor Papst" genannt: weil seine Ansprachen vor der UNO, im Berliner Reichstag oder im britischen Parlament anspruchsvoll wie Vorlesungen waren - und weil er aus seiner Liebe zur akademischen Theologie nie einen Hehl gemacht hat. Doch zuletzt, vor allem in der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals im Erzbistum München und Freising, erschien das Image von Joseph Ratzinger beschädigt.

Vom Reformer zum Konservativen

Als junger Professor war Ratzinger 1962 beim zweiten vatikanischen Konzil dabei. Zum Start des Konzils hatte er bereits vier Jahre als Professor an der Hochschule Freising gearbeitet. Nachdem er beim Konzil vor allem als Reformer auftrat, vertrat er in den nächsten Jahren zunehmend traditionellere Positionen. Nur zwei Jahre nach dem Ende des Konzils folgte er seinem damaligen Förderer und später erbittertem Widersacher Hans Küng nach Tübingen.

Als unmittelbar Betroffener der Studentenproteste 1968 folgte er im Jahr darauf einem Ruf nach Regensburg an. Den dortigen Lehrstuhl für Dogmatik besaß er bis zur Weihe zum Erzbischof von München und Freising 1977 und nur einen Monat später verlieh ihm Papst Paul VI. die Kardinalswürden. Auch nach dem Ende seiner akademischen Laufbahn veröffentlichte der Theologe weiter wissenschaftliche Schriften zu Liturgie und insbesondere dem Verhältnis von Glauben, Rationalität und Irrationalität.

Glaube und Vernunft waren für Benedikt XVI.  keine Gegensätze

Insbesondere versuchte er Glaube und Wissenschaft, Heilige Schrift und Moderne zusammen zu bringen und bemühte sich etwa Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie zu versöhnen: Religion und Vernunft müssen sich gegenseitig "reinigen" und "heilen", weil der Glaube sonst fundamentalistisch eng und die Vernunft materialistisch leer wird – das ist ein, vielleicht das Leitmotiv im Denken Benedikts des XVI..

Erzbischof von München und Freising war Joseph Ratzinger  nur kurz, denn schon 1982 holte Papst Johannes Paul II. ihn nach Rom und ernannte ihn zum Präfekten der Glaubenskongregation, der wohl mächtigsten Behörde der katholischen Kirche. Ratzinger füllte diese Macht mit Leichtigkeit: Er stärkte die Positionen des Vatikans zu Schwangerschaftsabbrüchen, Homosexualität und festigte die Rolle des Priesters als zentrales Element der katholischen Kirche. Kritiker warfen ihm vor, sich auch gegen pluralistische und föderalistische Tendenzen in der Weltkirche zu stellen. Der Wissenschaftsmensch Ratzinger ließ es sich nicht nehmen, 1998 die zuvor streng geheimen Archive von Indexkongregation und Inquisition öffnen.

Papst zu werden,war nicht der Plan von Joseph Ratzinger

Schon in seine Zeit in der Glaubenskongregation fielen die ersten Anzeichen des Missbrauchsskandals, der sein gesamtes Pontifikat überschatten sollten. Er setzte sich stark dafür ein, dass 2001 ein eigener Gerichtshof für die Verurteilung von Missbrauchstätern eingerichtet und die rechtlichen Normen verschärft wurden.

Eigentlich hätte Ratzinger 2002 mit seinem 75. Geburtstag seinen Rücktritt als Präfekt einreichen müssen, doch Papst Johannes Paul II. wollte von seinem Gesuch nichts wissen. Bereits davor hatte  Ratzinger versucht sich zurückzuziehen, um zu schreiben. Doch für den Papst aus Polen war er bis zu dessen Tod unverzichtbar. Am 20. April 2005 titelte die Bild Zeitung schließlich die sprichwörtlich gewordene Schlagzeile „Wir sind Papst“. Einen Tag zuvor hatte die Kardinalskonklave den ersten Deutschen seit fast 500 Jahren zum Pontifex gewählt.

Verhältnis zu Protestanten war schwierig, anders das zu den orthodoxen Kirchen

Besonders die Verbindung zu den orthodoxen Kirchen war Benedikt XVI. ein Anliegen. Er verzichtete zum Beispiel auf den Titel „Patriarch des Abendlandes“ und entfernte diesen auch mit dem „Annuario Pontificio“ 2006 aus dem päpstlichen Titular. Auch bemühte er sich in Briefwechseln mit den Patriarchen von Moskau und Konstantinopel um „Zusammenarbeit gegen die säkularisierte Welt.“

Das Verhältnis zum Protestantismus war schwieriger. So betonte der Pontifex mehrfach die Einzigartigkeit der römisch-katholischen Kirche. Die orthodoxen Kirchen seien Teilkirchen, während die Protestanten lediglich kirchliche Gemeinschaften bildeten und sich nicht auf die apostolische Nachfolge berufen könnten.

Regensburger Papstzitat und die Reise in die Türkei

Ähnlich ambivalent war zumindest die öffentliche Wahrnehmung von Benedikts Verhältnis zum Islam: Das sogenannte „Papstzitat von Regensburg“ (2006) löste  heftige Debatten aus. Dort zitierte er aus dem Disput eines byzantinischen Kaisers mit einem Muslim: "Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten." Sein Türkeibesuch 2010 wurde hingegen ausgesprochen wohlwollend aufgenommen.

Ähnlich verhielt sich die öffentliche Wahrnehmung zu Benedikts Dialog mit dem Judentum. Auf der einen Seite steht exemplarisch ein Besuch in einer Kölner Synagoge. Der damalige Zentralratsvorsitzende der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, würdigte die Rede des Papstes danach als hoffnungsvolles Zeichen der Verständigung zwischen Juden und Christen. Sein Besuch in dem ehemaligen Konzentrationslager Ausschwitz rief gemischte Reaktionen hervor: Lob und der Vorwurf der Vernebelung der Geschichte wechselten sich ab. Eindeutiger waren die Reaktionen auf die Wiederaufnahme der Pius-Brüder in die katholische Kirche. Auch innerkirchlich hochumstritten gab es viel Kritik die Exkommunizierung des Holocaust-Leugners Vagantenbischof Richard Williamson rückgängig zu machen.

Benedikt XVI.: Kirchenkrise beruht weitgehend auf Zerfall der Liturgie

Mit Antijudaismus-Vorwürfen sah er sich auch bei einem der Herzstücke seines Pontifikats konfontriert: Dem Wesen und der Gestalt der Liturgie. Bereits als Kardinal hatte er Kritik an verschiedenen Umsetzungen der Liturgie nach dem 2. Vatikanischen Konzil geäußert und erklärt, dass die Kirchenkrise, die wir heute erleben, weitgehend auf dem Zerfall der Liturgie beruhe. Seine Wiederaufnahme der außerordentlichen Form des römischen Ritus nach dem Messbuch im Motu proprio Summorum Pontificium 2007 und die damit verbundene Karfreitagsfürbitte für Juden sorgten für Kritik. In der Fürbitte wird dafür gebetet, dass  Juden „Jesus Christus als den Heiland“ anerkennen sollen.

Kritik am Umgang mit Missbrauchsskandal

Als der Boston Globe 2002 die systematische Vertuschung und das Ausmaß des Missbrauchs von Priestern in Boston aufdeckte, wurde eine Welle losgetreten, die die katholische Kirche auf der ganzen Welt mitriss. Und mit ihr auch ihr Oberhaupt. Benedikt XVI. mühte sich den Skandal einzugrenzen, aber die schiere Zahl der Verbrechen und ihr ungeheurer Charakter entfesselten eine unkontrollierbare Dynamik. Wiederholt suchte der Pontifex den Dialog mit Opfern auf der ganzen Welt, jedoch hielt er  an den klerikalen Strukturen fest, die den Missbrauch ermöglichten oder zumindest begünstigten. Immer wieder gab es zudem Vorwürfe, dass er bereits als Präfekt der Glaubenskongregation mehr gewusst hätte, als er zugab. Dabei hatte er sich schon damals bemüht, harte Hand gegenüber den Tätern walten zu lassen. Allerdings schlug diese Hand – wie etwa gegen Marcial Maciel, Gründer der Legionäre Christi – nur hinter verschlossenen Türen zu, so der Vorwurf.

Rücktritt vom Papstamt

Inwieweit der Missbrauchsskandal, der die katholische Kirche in ihren Grundmauern erzittern ließ und bis heute lässt, eine Rolle spielte, bei dem, was Papst Benedikt am 11. Februar 2013 bekannt gab, lässt sich nicht abschließend feststellen. Offiziell war es das Alter, das den damals 85-Jährigen zum ersten freiwilligen Rücktritt eines Pontifex seit 1294 bewog: Papst Benedikt XVI. könne nicht mehr in angemessener Weise den Petrus-Dienst ausüben. Benedikt verzichtete mit seinem Rücktritt nicht auf die Insignien oder die Gewänder des Papstes, was auch Theologen und Kirchenkreise immer wieder kritisierten. Sein Nachfolger Papst Franziskus äußerte sich dahingehend aber nie negativ.

Der Rückzug Benedikts bedeutete aber nicht den Rückzug aus katholischen Debatten. Mehrfach meldete sich der „Papa Emeritus“ aus dem Ruhestand zu Wort: Die Essays „Gnade und Berufung ohne Reue“ und „Die Kirche und der Skandal des sexuellen Missbrauchs“ lösten heftige Kontroversen aus. Kritiker warfen ihm vor sich in die Belange seines Nachfolgers zu stark einzumischen und somit eine Art „Gegenpapst“ darzustellen.

Münchner Missbrauchsgutachten attestiert Benedikt XVI. Fehler

Wie sehr Benedikt XVI. die Auseinandersetzungen um das Münchner Missbrauchsgutachten Anfang 2022 mitgenommen haben, ist schwer zu sagen. Einerseits hieß es, der Emeritus sei mit sich im Reinen. Andererseits wird es einem "Mitarbeiter der Wahrheit", so sein Bischofsspruch, kaum egal gewesen sein, dass man ihm für seine Amtszeit als Erzbischof "Lüge" und Fehler im Umgang mit sexuellem Missbrauch unterstellte.

Benedikts ausführliche Korrektur und persönliche Stellungnahme zogen in weiten Teilen der Öffentlichkeit  den Vorwurf der Ich-Bezogenheit statt Empathie mit den Opfern nach sich. Auch wenn ihm viele Unterstützer beisprangen, die sein Lebenswerk in Frage gestellt sahen: Seine Kritiker konnte "Professor Papst" nicht mehr überzeugen.

Papst Benedikt XVI. hinterlässt als streitbarer Papst und Theologe von höchstem Rang der katholischen Kirche ein wirkmächtiges Erbe mit Licht und Schatten. Ob als Reformer beim zweiten vatikanischen Konzil, als wertkonservativer Bewahrer von Traditionen als Präfekt der Glaubenskongregation, als wohl neben Hans Küng bedeutendster katholischer Theologe in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und vor allem eben als Papst, der immer ein sehr deutliches, scharf konturiertes Bild seiner Kirche vor Augen hatte. (smb)