Coronazeit im Altenheim

Einsatz und Hingabe

Keine Besuche, keine Gemeinschaftsveranstaltungen - Altenheimseelsorger Wolfgang Oberröder weiß trotzdem von Hoffnungszeichen aus seiner Arbeit zu berichten.

Die Corona-Pandemie bringt viele Einschnitte in das Leben und die Tagesabläufe der Alten- und Pflegeheime. © IMAGO/Hans Lucas

Ich hatte das Glück, in meinen Studienzeiten noch den großen Karl Rahner als theologischen Lehrer erleben zu dürfen. Ich erinnere mich besonders an seine Aussage über die Last und Sorge eines jeden Menschen, die besonders auch Last und Sorge innerhalb der geistlichen Betreuung sein müssen. Was den vielen Glaubenden Kraft und Trost ist, muss gerade auch in der kirchlichen Verkündigung Kraft und Trost sein.

Kann es nicht sein, dass genau diese Gedanken von Karl Rahner in das Konzils-Dokument über die Kirche in der Welt von heute Einzug gehalten haben: Freude und Hoffnung der Menschen sind Freude und Hoffnung der Kirche, Trauer und Angst der Menschen sind auch Trauer und Angst der Kirche. Genau an diesem Punkt setze ich meine Tätigkeit an: Ich versuche, Zuversicht zu stärken und Ängste tragen zu helfen.

Bis zum Überdruss höre ich immer wieder Klagen über die angeblich so miserablen Lebensumstände der Menschen in unseren Altenheimen. Kein Leben im Alter ist schön und angenehm. Doch behaupte ich, dass Menschen, die im Alter ihr Dasein noch für sich selbst bestreiten müssen, in vielen Fällen wesentlich einsamer sind als solche, die einen Platz in einem Alten- und Pflegeheim gefunden haben.

Kontakte ermöglichen

Natürlich und bedauerlicherweise brachte die noch anhaltende Corona-Pandemie viele Einschnitte auch in das Leben und die Tagesabläufe unserer Einrichtungen für alte Menschen. Viele Kontakte nach außen sind nicht mehr möglich. Darum sehe ich meine Aufgabe als Seelsorger im Altenheim, Kontakte nach innen zu schaffen. Naturgemäß ziehen sich viele alt gewordene Menschen auf ihr Eigenleben zurück, drohen dadurch zu vereinsamen. Kontakte sind abgebrochen und nicht mehr aufrechtzuerhalten, liebe Mitmenschen bereits verstorben. Gemeinschaftsveranstaltungen im Haus sind derzeit nicht möglich. Dennoch können Gespräche von Tür zu Tür stattfinden: Seelsorge der offenen Tür. Sprechen Sie doch miteinander, im gebotenen Abstand eben! Beispielsweise ermutige ich auch zu Telefongesprächen und ergreife gar nicht selten den Hörer, um einen Telefonkontakt zu ermöglichen.

Technische Flexibilität

Ich beginne damit, dass unsere täglichen Gottesdienste per Hauskanal in das private Fernsehgerät und auch über akustische Verstärker übertragen werden. Wer das nicht möchte, muss nicht einschalten. Deshalb sind Kreativität und auch technische Flexibilität gefragt, den Menschen eine möglichst große Nähe zum Leben zu vermitteln. Hausmitteilungen über Hauszeitschriften sind vielerorts bereits verbreitet und werden gerne gelesen.

Bei uns im Münchner Kreszentia-Stift hatten Mitarbeitende die Idee, elektronische Grußbotschaften einzusprechen und den Bewohnerinnen und Bewohnern zugänglich zu machen. Schnell wollten sich auch aus der Bewohnerschaft gar nicht wenige Damen und Herren an dieser Aktion beteiligen. Von Zimmer zu Zimmer, von Station zu Station, auch über weite Strecken hin zu Angehörigen waren in Bild und Ton Grüße möglich geworden. Über Skype vermittelten wir den Seniorinnen und Senioren, die es wünschten, sichtbare und hörbare Kontakte zu ihren Angehörigen bis nach Übersee.

Gottesdienste geben Mut

Innerhalb unserer Gottesdienste versuche ich, solche Botschaften zu vermitteln, von denen unsere Medien nicht sprechen. Wenn alle Worte der Welt nutzlos geworden sind, sollen die Worte Gottes als Worte zum Leben neuen Mut geben – auch und gerade in der Corona-Pandemie. Wenn aus allen Richtungen von Krise die Rede ist, kann ich mittels des Wortes Gottes aufzeigen, dass es niemals krisenfreie Zeiten gegeben hat. Gleichzeitig betone ich aber auch den Mut und die Glaubensbereitschaft unserer Vorfahren, mit solchen Krisenzeiten umzugehen. Die Bibel verschweigt kein einziges menschliches Leid. Gleichzeitig aber gibt das Wort Gottes immer neuen Mut zu neuer Hoffnung.

Genau eine solche aufbauende Seelsorge ist in diesen Zeiten gefragt. Nachdem in unseren Kirchen derzeit nicht gesungen werden darf, sind wir dazu übergegangen, vermehrt Texte und Lieder aus dem „Gotteslob“ zu sprechen. Dabei entdecken wir bislang noch vergrabene Schätze. Gerade auch Kirchenlieder, an die wir uns bisher nicht getraut hatten, sprechen wir derzeit betend und staunen – auch bei bekannten Liedern – über Inhalte, die uns beim Singen gar nicht so bewusst geworden waren.

Ermutigung zum altersgemäßen Leben

Das Brot des Alters ist hart, sagte schon der hochbetagte große Michelangelo. Es werden Tage kommen, von denen du sagst, ich mag sie nicht, vermittelt uns die Weisheit der Bibel. Alles hat seine Zeit, ruft uns das alttestamentliche Buch Kohelet zu. Darauf aufbauend, hilft es nichts, Altersbeschwerden beschönigen zu wollen. Wohl aber hilft es, sie in einen Gesamtzusammenhang des Lebens zu bringen. Wie ich die Arbeit im Alten- und Pflegeheim erlebe, staune ich immer wieder über die Hingabe und Einsatzbereitschaft der Pflegenden. Nicht alle in der Bewohnerschaft sehen das so. Deshalb ist es mir eine wichtige Aufgabe, unsere Mitarbeitenden für ihre schweren Dienste immer wieder zu ermutigen. Unseren Bewohnerinnen und Bewohnern vermittle ich gerne: Das Mögliche tun wir. Das Unmögliche erklären wir.
(Wolfgang Oberröder war über 20 Jahre Professor für Gemeindepastoral an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Jetzt wirkt er als geistlicher Autor und Seelsorger im Münchner Kreszentia-Stift.)

Dieser Artikel gehört zum Schwerpunkt Corona - Pandemie