Interkulturalität

Einladung fremde Kultur im eigenen Land zu erleben

Die Sekretärin der Syrisch-Arabischen Katholischen Gemeinde lebt Interkulturalität in besonderer Weise. Sie engagiert sich in einer deutschen und einer muttersprachlichen Gemeinde.

Maryam ist Sekretärin der Syrisch-Arabischen Katholischen Gemeinde in München. © SMB

Maryam hat gut hergefunden, erzählt sie bei der Begrüßung in den Räumen der MK-Redaktion, mitten in der Münchner Innenstadt. Das ist nicht verwunderlich, schließlich lebt die 26-Jährige schon seit zwölf Jahren in München und kommt viel in der Landeshauptstadt herum. So richtig geborgen fühlt sie sich hier aber nicht immer: „Manchmal finde ich München schon ein bisschen groß“, gibt sie zu. Als wir uns am Tisch gegenübersitzen, stellen wir schmunzelnd fest, dass es sich beinahe seltsam anfühlt, andere Menschen in persona zu treffen, nach Monaten der virtuellen Kommunikation. Maryam ist froh darüber, sich endlich wieder analog austauschen zu können. Sie liebe es, sagt sie, neue Menschen kennen- und andere Perspektiven verstehen zu lernen, und das geht natürlich am besten im direkten Kontakt.

Sprache und Glaube

Diese Neugierde am Fremden strahlt die angehende Gymnasiallehrerin mit dem offenen Lächeln auf den ersten Blick aus. Gleich auf den zweiten Blick fällt das zarte Silberkreuz auf, das sie um den Hals trägt und das für sie mehr ist als nur ein modisches Schmuckstück. In Spanisch, Französisch und katholischer Religionslehre wird sie ihre Schüler nach ihrem Universitätsstudium unterrichten; Sprache und Glaube, der Kontakt zum Nächsten und zu Gott, das sind die ganz zentralen Lebensthemen der gebürtigen Irakerin.

„Ich finde, jede Sprache ist ein Schlüssel zu einer neuen Tür. Je mehr Sprachen man spricht, desto weiter wird der Horizont“, ist Maryam überzeugt. Ihre Muttersprache ist Arabisch. Auch nachdem sie mit vier Jahren mit ihrer Familie von Bagdad nach Bayreuth kam, wurde zuhause weiter Arabisch gesprochen. Dafür ist sie heute sehr dankbar, denn so kann sie sich problemlos mit ihren Verwandten auf der ganzen Welt unterhalten. „Es war schön, bilingual aufzuwachsen. In der Familie konnten wir außerdem weiter unsere Kultur ausleben.“

Die Familie gehört der unierten syrisch-katholischen Kirche an, deren Gottesdienste traditionell auf Aramäisch, der Sprache Jesu, zelebriert werden. Obwohl es solche Messen in Bayreuth nicht gab, war es den Eltern ein Anliegen, ihre religiösen Wurzeln an Maryam und ihre beiden jüngeren Geschwister weiterzugeben: „Wir haben viele Gebete gelernt, auch wenn wir sie nie in den deutschen Kirchen sprechen konnten. Dennoch haben wir unseren Kern beibehalten.“

Gut für die Integration

An die Kinder- und Jugendjahre in Bayreuth denkt Maryam gern zurück, ihre Augen leuchten, wenn sie davon erzählt. Dabei war es nicht immer einfach für die irakische Familie, in der fränkischen Kleinstadt Fuß zu fassen. Menschen, Sprache, Kultur – am Anfang war alles ungewohnt, fremd und schwer zugänglich. „Damals gab es kaum Iraker in Bayreuth“, erinnert sie die Studentin. „Es war auch nicht einfach, Anschluss zu finden“. Da es keine muttersprachliche Gemeinde gab, besuchte sie mit ihren Eltern schon bald eine deutsche katholische Gemeinde. „Wir haben ministriert, waren aktiv in der Pfarrjugend, auf Zeltlagern, eigentlich immer unterwegs. Das war gut für die Integration.“ Zuhause die Sprache und Traditionen der alten Heimat, in der Kirchengemeinde der rege Austausch mit Deutschen: Die Jahre in Bayreuth prägen Maryam bis heute. 

Vor zwölf Jahren zog die fünfköpfige Familie nach München. Auch hier brachte Maryam sich in verschiedene Kirchengemeinden ein, machte sogar einen Gruppenleiterkurs. Bis heute ist sie im Pfarrverband Vier Heilige Trudering-Riem aktiv. Immer wieder ist sie Lektorin und unterstützt die Jugendarbeit, heuer wirkte sie beispielsweise bei der Erstkommunionsvorbereitung in St. Florian mit.

„Ich brauche diese beiden Ebenen“

Als vor seit einigen Jahren die Syrisch-Arabische Katholische Gemeinde in München gegründet wurde, freute sich die junge Christin sehr: Endlich gab es auch außerhalb der Familie einen Raum für die Gebete und Traditionen ihrer Kindheit. Gläubige verschiedener Herkunftsländer wie aus dem Libanon, Palästina, Syrien, mehrheitlich aber Iraker besuchen die aramäischen Gottesdienste, die in der Pfarrkirche St. Rupert im Westend auf der Schwanthalerhöhe stattfinden.

Es ist wenig überraschend, dass sich die engagierte junge Frau auch bald in der muttersprachlichen Gemeinde miteinbringt, etwa in der Jugendarbeit oder im Chor. Seit Neuestem aber unterstützt sie die Gemeinde nicht mehr nur ehrenamtlich: Im Rahmen eines Minijobs arbeitet sie freitags nun einige Stunden als Sekretärin der Gemeinde. „Ich fühle mich sehr wohl in dem neuen Job“, schwärmt sie. Hier ist vor allem eines gefragt: Kontaktfreude – und davon hat Maryam jede Menge: „Ich pflege natürlich Kontakt mit den Gemeindemitgliedern, knüpfe aber auch Kontakte mit deutschen Gemeinden. Das macht großen Spaß.“

Interkulturelle Woche


Das Ziel der Interkulturellen Woche ist es, einen wichtigen Beitrag zur Verwirklichung einer offenen und solidarischen Gesellschaft ohne Ausgrenzung, Diskriminierung und Hass zu leisten. Das Motto lautet in diesem Jahr #offengeht. Damit soll sich der Blick auf unsere kulturell vielfältige Gesellschaft richten, vor allem auf Migranten. Angeboten werden Vorträge und Diskussionsrunden sowie Gottesdienste und andere religiöse Begegnungsveranstaltungen, um im direkten Austausch Ängste und Vorurteile gegenüber einer in jeder Hinsicht bunten Gesellschaft abzubauen. „Auch die bei uns lebenden Flüchtlinge leiden unter den Folgen der Pandemie“, äußert sich Bischof Georg Bätzing als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz in einem Aufruf zur Teilnahme an der Interkulturellen Woche. „Deutsch zu lernen, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und auch die gesellschaftliche Teilhabe ist erschwert. Diesen Fragen widmen wir uns in der diesjährigen Interkulturellen Woche.“ Wer sich in dieser Woche engagiere bei Veranstaltungen – egal ob als Durchführender oder als Teilnehmer – der mache sich stark für ein gutes Zusammenleben in Vielfalt, bestärkt der Bischof. (me/pm)

Trotz des neugewonnenen Glaubensraumes war es für Maryam selbstverständlich, auch weiterhin ihre deutsche Pfarrei zu besuchen. „Ich brauche diese beiden Ebenen“, erklärt sie. „Wenn ich mich nur in einer der beiden Gemeinden engagieren würde, würde mir etwas fehlen. Ich brauche diese Abwechslung.“ In ihrer Arbeit in der noch recht jungen Syrisch-Arabischen Katholischen Gemeinde profitiert die Lehramtsstudentin von ihrer langjährigen Gemeindeerfahrung: „Wir haben in den deutschen Gemeinden Arbeitsstrukturen mitbekommen, die wir in die muttersprachliche Gemeinde miteinbringen können.“

Vielfalt der Kirche ausschöpfen

Dass der Glaube etwas Individuelles ist, der sich von Kultur zu Kultur, von Mensch zu Mensch unterscheidet, liegt für die 26-Jährige auf der Hand: „Zum Glauben braucht es dieses individuelle Finden, den eigenen Weg zu Jesus, den man selbst aus sich heraus geht“, meint sie. Auch hierbei sei der zwischenmenschliche und interkulturelle Austausch hilfreich: „So lernt man nicht nur andere kennen, sondern auch sich selbst. Man merkt, was einem gefällt und was nicht. So bildet man sich selbst und seinen Glauben“, erläutert sie. 

Für Maryam war und ist der Glaube immer schon das entscheidende Motiv für all ihr Tun, auch und gerade in schwierigen Lebensphasen: „Der Glaube fängt im Herzen an. Wenn man Gott als Mittelpunkt seines Lebens hat, wird nicht alles einfach. Aber durch diesen zentralen Glauben im Inneren hat man eine Kraft, Krisen zu meistern.“ Bei all den unterschiedlichen Begegnungen verliere die junge Frau ihr Zentrum in Jesus nie aus dem Blick: „Ich weiß, wer ich bin, und ich weiß, in wem ich bin: in Jesus. So geht man durch die Welt, lernt ganz viele Menschen und Dinge kennen, aber weiß, wer man selbst ist.“ Da ist sie wieder, die für Maryam so charakteristische Verbindung von Verwurzelung und Offenheit, Tradition und Neugier.

Die Studentin ist davon überzeugt, dass genau dieser Perspektivenreichtum der Kirche der Zukunft guttun würde. „Ich würde mir wünschen, dass man die Vielfalt der Kirche, auch der unierten Kirchen, mehr ausschöpfen würde. Darin steckt so viel Potenzial, ganz besonders in den Jugendlichen.“ Schön fände sie es, wenn deutsche Pfarreien verstärkt auch muttersprachliche Gemeinden in Gottesdienste miteinbinden würden. Sie würde sich außerdem freuen, wenn auch deutsche Katholiken hin und wieder einmal einen muttersprachlichen Gottesdienst besuchen würden, um „im eigenen Land eine fremde Kultur“ zu entdecken.

Interkulturelle Brücke

Oder aber: Einfach mal gemeinsam essen! Maryam kann sich eine solche interkulturelle Begegnung schon lebhaft vorstellen: „Wir könnten uns treffen, egal in welcher Gemeinde, jeder bringt etwas mit. Man spricht über das Essen, über Jesus, lernt sich kennen. Ein Treffen, bei dem man über alles reden kann, bei dem man Charaktereigenschaften anderer Kulturen kennenlernt.“ Womöglich gelingt es der jungen Sekretärin ja bald, ein solches Treffen zu initiieren. Das nächste Projekt ist aber erst mal der interkulturelle Gottesdienst am Samstag in der Herz-Jesu-Kirche in München-Neuhausen, den sie mit ihrer muttersprachlichen Gemeinde mitgestalten darf. Vielleicht wird ja auch hier bereits die ein oder andere interkulturelle Brücke gebaut werden – an Maryam soll es ganz bestimmt nicht scheitern. Denn: „Wir sind doch alle Christen, und es ist schade, wenn man den Anderen nicht kennt.“ 

Interkulturelle Woche im Erzbistum

Auch im Erzbistum München und Freising wird die Interkulturelle Woche mit vielen Veranstaltungen begangen. Neben Präsenz- wie auch Onlineveranstaltungen sind auch mehrere interkulturelle Gottesdienste geplant. Eine Übersicht zu allen Münchner Veranstaltungen gibt es auf der Website von Willkommen in München