Notfall-Seelsorge

Einfach da sein

Beim Amoklauf im Münchner Olympia-Einkaufszentrum haben die Einsatzkräfte ihr Möglichstes getan, um zu helfen. Unter ihnen auch der Leiter der Notfall-Seelsorge im Erzbistum München und Freising, Diakon Hermann Saur. Seine Arbeit ist auch zwei Wochen danach noch nicht beendet. Im Gegenteil.

Notfall-Seeelorger am OEZ im Einsatz. (Bild: Kiderle) © Kiderle

München – Als nach dem Anschlag im Münchner OEZ Betroffene vor Entsetzen nicht mehr klar denken können, weil ihnen die schrecklichen Ereignisse den Boden unter den Füßen wegziehen, sind Diakon Saur und an die 20 Kollegen da und leisten „Erste Hilfe für die Seele“, wie er sagt. Besonders anspruchsvoll ist das auch, weil sie Menschen in ganz unterschiedlichen Situationen antreffen: da sind die Zeugen des Anschlags, aber auch die Angehörigen eines Todesopfers. Und da sind in der folgenden Nacht und am Samstag die Passanten, die am Abend eine Massenpanik am Karlsplatz erlebt hatten.

In solchen Ausnahmesituationen läuft im Gehirn der Betroffenen sozusagen ein Notprogramm ab, meint der Notfallseelsorger: sie sind hilflos, wissen im Moment nicht mehr, wie es weitergehen kann, sind unfähig, Entscheidungen zu treffen. Hermann Saur und seine Kollegen begleiten viele Menschen in den Stunden nach dem Attentat, damit sie aus dem Notprogramm wieder herausfinden. „Ganz banal gesagt, heißt die Aufgabe vielleicht, jemanden so zu begleiten, dass er den Schritt vom Trauma zur Trauer schafft.“

Diakon Hermann Saur war nach dem Amoklauf am 22. Juli in München als Notfall-Seelsorger im Einsatz.

"Ich bin jetzt für dich da!"

Die Botschaft, die er Betroffenen dabei vermittelt, ist so simpel wie wirkungsvoll: „Ich bin jetzt für Dich da!“ Damit sollen sie wieder fähig werden, Entscheidungen zu treffen: ob sie das tote Kind noch einmal sehen wollen, ob sie Verwandte benachrichtigen, die sich um sie kümmern können. Damit will Saur den Menschen nicht suggerieren „Jetzt ist alles gut!“. Aber er hilft ihnen bei diesen ersten Schritten, sich mit dem Unfassbaren auseinanderzusetzen.

Ein Missverständnis hält sich dabei hartnäckig: die Notfall-Seelsorger können in diesen Momenten nicht trösten. Zu schlimm sind, wie beim Anschlag im OEZ, die Geschehnisse, es gibt keinen Trost. Aber der Notfall-Seelsorger hilft, das Geschehene als Tatsache anzunehmen, es zu verarbeiten. Dabei schaut er schon gleich zu Beginn, wie die Betroffenen gestellt sind, ob es ein soziales Netzwerk gibt, das sie hält: Verwandte, Freunde, Kollegen. Und von Anfang an verweist der Diakon auf Beratungsstellen.

Langfristige Hilfe nötig

Damit ist die Arbeit der Notfall-Seelsorger noch lange nicht zu Ende: Denn der Bedarf, Hilfe zu bekommen, entsteht oft erst später: Tage nach den Ereignissen stellen Betroffene fest, dass sie doch nicht gut mit der Situation umgehen können, dass die Bilder sie nicht loslassen. Zum Beispiel dann, wenn Menschen Blumen am Ort des Amoklaufs niederlegen, und von den Geschehnissen wieder eingeholt werden. Oder Mitarbeiter im OEZ, die auf dem Weg in die Arbeit jeden Tag an der Stelle vorbeikommen, wo tote junge Menschen lagen. Saur und seine Kollegen versuchen dann, die Hilfesuchenden zu stabilisieren und bei Bedarf auch mit den entsprechenden Fachstellen in Kontakt zu bringen. Sein erklärtes Ziel: die Betroffenen sollen eines Tages sagen können: Es war ein Albtraum – aber er ist vorbei. (ww)