Selbstversuch Einsiedelei

Ein Wald, eine Hütte und ich

Das Gegenteil vom Alltag ausprobieren: Genau das hat unsere Redakteurin Anna Parschan gemacht und ist für drei Tage in eine Einsiedelei. Statt im Radio zu unterhalten, ist sie in die Stille gegangen und stellt sich den Herausforderungen, die so ein Selbstversuch mit sich bringt.

Radio-Redakteurin Anna Parschan an ihrem ersten Tag vor der Einsiedelei. © SMb

„Herzlich Willkommen in der Einsiedelei, deinem Zuhause für die nächsten drei Tage“, sagt Bruder Christian zu mir. Er ist Pater im Kloster Maria Eck und begleitet mich in meiner Zeit als Eremitin. Wir stehen nun in der Einsiedelei, eine Holzhütte mitten in einem großen Wald voller Tannen, auf einer Lichtung, gut 20 Minuten vom Kloster entfernt. Ich stelle erstmal meinen Reisekoffer in die Ecke und zieh meine Jacke aus.

Ganz schön warm, denke ich mir, und mein Blick wandert zum Ofen neben der Eingangstür. Das erklärt auch das Holzknistern und die unvergleichbare Hitze in der Einsiedelei. „Ich zeige dir, wie du den Ofen anschmeißt, das ist ganz einfach“, sagt mir Bruder Christian als er meinen fragenden Blick entdeckt. „Wie lange hält die Wärme an?“, hake ich nach und muss an die Nacht denken. „Die Hütte hält mehrere Stunde warm, das ist kein Problem“, beruhigt mich Bruder Christian und zeigt mir, wo ich meine Kleidung und Nahrungsmittel verstauen kann.

Ohne Gesellschaft, Elektrik und Medien

Die Einsiedelei ist zwar nicht groß, jedoch ist das Notwendige vor Ort: ein Wohnbereich mit Tisch, Bett und Kleiderschrank sowie ein Gebetszimmer. Gleich nach der Ankunft öffne ich meinen Koffer und räume mein Hab und Gut ein. Alles braucht seinen Platz, vor allem, weil das Leben als Einsiedlerin etwas anders abläuft: es gibt kein fließendes Wasser, Kühlschrank oder Elektroherd. Meinen Joghurt und Käse trage ich vor die Hütte. Dort ist eine alte Milchkanne im Boden vergraben, mit der Öffnung nach oben, sodass ich zur Kühlung alles verstauen kann. Der Alltag ist aber nicht nur dahingehend das Gegenteil von meinem Leben, sondern auch in Bezug auf meinen Medienkonsum. Normal bin ich viel unter Menschen und täglich mehrere Stunden auf Social Media unterwegs. Nun bin ich allein und in der Einsiedelei gilt die Regel: keine Medien, also kein Handy, Laptop, Radio oder gar Buch.

Nichtdenken im Fokus

Umso verwunderter bin ich, als Bruder Christian mir erklärt, dass es nicht ums Nachdenken in der Einsiedelei geht. „Aber was soll ich denn dann hier machen?“, frage ich ihn irritiert. „Deinen Kopf von Gedanken befreien, im Hier und Jetzt leben und Situationen nicht bewerten, sondern einfach erleben und annehmen“, antwortet er und ich bin erstmal baff. Das habe ich nicht erwartet. Denn im Vorgespräch haben wir durchaus über tiefgründige Themen gesprochen, die mich aktuell beschäftigen. Dass ich mich damit nun aber nicht befassen und nicht nachdenken soll, verunsichert mich etwas. Und das fordert mich sehr heraus. Denn immer wieder kreisen meine Gedanken um Themen aus der Arbeit oder dem Privatleben. Ich denke an meinen Wäscheberg daheim, an meine Eltern, die ich noch anrufen wollte und den Haufen an Arbeit in der Redaktion. „Stopp, nicht nachdenken, sei einfach im Hier und Jetzt und nimm wahr“, ermahne ich mich immer wieder und konzentriere mich auf das Knistern im Holzofen, das Zwitschern der Vögel draußen oder die kalte Luft auf meinem Abendspaziergang, die durch meine Lungen strömt.

In der Achtsamkeit ankommen

Schon nach ungefähr 24 Stunden verändert sich etwas an mir. Kommt mir ein Gedanke, lass ich ihn gleich wieder gehen. Dass das funktioniert, hatte ich nicht erwartet. Ich verfalle in einen Modus, in dem ich weder über den Sinn des Lebens grüble noch über alltägliche Fragen. Ich bin weder in der Vergangenheit, noch in der Zukunft, ich bin in der Gegenwart. Dabei merke ich auch, dass die Stille nicht Langweile oder Einsamkeit bedeutet, sondern bei sich ankommen. Der Kopf ist frei von Überlegungen, Sorgen und Emotionen. Es ist ein meditativer Zustand. Und das entscheidende ist diese Stille, die ich irgendwann auch als eine Art von Geräusch wahrnehme. Auch mein Zeitgefühlt verändert sich. Mein Handy habe ich abgegeben, eine Armbanduhr habe ich nicht, also lebe ich intuitiv: schlafe, wie es mein Körper braucht, koche, wenn der Magen knurrt und tue das, was mir in den Sinn kommt. Ich gehe viel spazieren, genieße die Sonne und lass mich einfach treiben. Bis auf eine Stunde am Tag, da soll ich Holz hacken.

Einmal am Tag kommt dann auch noch Bruder Christian auf ein Gespräch vorbei, meist abends. Bei einer Tasse Tee sitzen wir in der Hütte neben dem knisternden Feuer und er fragt, wie es mir geht. Während seine Augen interessiert in meine blicken, antworte ich: „Ich dachte die Stille ist mein Feind, daweil ist sie mein Freund. Ich bin schon fast traurig, dass ich mir Stille sonst kaum gönne. Warum mache ich das nicht?“ Und dann bricht meine Stimme für einen Moment weg. Mir wird bewusst, wie viel „Müll“ und Sinnloses ich mir im Alltag reinziehe, am Handy oder im TV, und dass meine vermeintlich gute Unterhaltung mir eigentlich gar nicht so gut tut. Dass ich mit mir selbst so unachtsam umgehe, wird mir in diesem Moment bewusst. Und das berührt mich.

Durch neue Ohren hören

Bruder Christian freut sich, dass ich mich so auf die Situation einlasse und gibt mir noch weitere Wahrnehmungsübungen an die Hand. Ich soll mir immer wieder bewusst Zeit nehmen, um mich auf meine Sinne zu konzentrieren. „Gehe in den Wald und höre für zwei Minuten einfach mal nur auf die Geräusche. Zum Beispiel wie die Vöglein zwitschern. Wenn dann eine Motorsäge ertönt, ärgere dich nicht. Sondern nimm dann eben dieses Geräusch an“, erklärt mir der Pater. Und ich merke beim Umsetzten der Sinnesübungen schnell, dass ich ein audiovisueller Mensch bin. Dass mich das Hören und Sehen stark in den Bann zieht. Das Fühlen, Riechen oder Schmecken ist eher zweitrangig. Mit der Zeit verändert die Stille in der Einsiedelei auch meine Geräuschempfindlichkeit. Als mir eine kleine Plastiktüte voller Kekse in der Hütte versehentlich runterfällt, muss ich mir fast die Ohren zuhalten. Das Rascheln und Knistern der Plastiktüte kommt mir so laut vor, dass es im Trommelfeld schon schmerzt.

Überraschung am Ende

Dass ich all das in einer Einsiedelei über mich lerne, habe ich nicht erwartet. Diese drei Tage waren lehrreicher als manch drei Jahren in meinem Leben. Die größte Überraschung ist für mich, dass ich zu keinem Zeitpunkt meinen Medienkonsum, vor allem das Smartphone, vermisst habe und mich die Stille in ihren Bann gezogen hat. So sehr, dass ich als Quasselstrippe und absoluter Medienjunkie auf einmal lieber im Wald bin als am Münchner Stachus. Denn als ich von der Einsiedelei zurückkam, aus dem Auto stieg, habe ich die Innenstadt auf einmal durch andere Augen gesehen. Oder vielmehr durch andere Ohren wahrgenommen – alles laut und zu viel. Es roch nach Abgase und Bratenfett und ich dachte mir: Ich will zurück in den Wald, in die Hütte und allein in der Stille sein (Anna Parschan, Radio-Redakteurin beim Münchner Kirchenradio).