Christus im Film

Ein Thema und über 120 Filme

An Karfreitag ist das Fernsehprogramm voll von Jesus Filmen. Aber was für ein Bild des Heilands liegt diesen eigentlich zu Grunde?

Mel Gibsons "Die Passion Christi" aus dem Jahr 2003 (Bild: imago) © imago images / United Archives

Jesusfilme haben eine lange Tradition. Der älteste erhaltene ist „La Passion“ der Gebrüder Lumière aus dem Jahr 1897. Seitdem wurden über 120 Jesusfilme gedreht. Die Kernfrage „Wer war Jesus?“ hat offensichtlich nicht nur Theologen, sondern auch viele bekannte Filmemacher wie Pier Paolo Pasolini, Franco Zeffirelli, Martin Scorsese, Mel Gibson und jüngst Cyrus Nowrasteh („Der junge Messias“) beschäftigt. Gerade an den Kar- und Ostertagen laufen in TV-Sendern bis heute immer wieder Evangeliums-Verfilmungen.

Unterschiedlich wie die Filme sind auch die zum Teil heftigen Publikumsreaktionen. So provozierte etwa die Raubkopie einer sehr frühen Fassung von Mel Gibsons „Die Passion Christi“ eine bis heute andauernde Diskussion, ob der Film oder gar das ganze Neue Testament und damit die christliche Religion in ihren Wurzeln antisemitisch sei. Was Paulus im ersten Brief an die Korinther schreibt: „Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit“ (1 Kor 1,23-24), liest sich wie eine Vorwegnahme dieser Debatte.

Kindheit, Wirken und Passion

Unabhängig davon stellt sich die Frage: Was kann ein Jesusfilm sein? Ist er schriftgetreue Glaubensvermittlung (Katechese) in einem zeitgemäßen Medium (Film)? Oder eher Unterhaltungsprogramm, Literaturverfilmung, Historienfilm oder sogar „Die größte Geschichte aller Zeiten“ (George Stevens, 1965)? Wie löst man die bekannten Schwierigkeiten eines solchen Sujets: Wie zeigt man Engel, Wunder, die Auferstehung, Jesus, der Sohn Gottes, ganz Mensch, ganz Gott zugleich?

Jeder Jesusfilm lässt sich formal in drei große inhaltliche Bereiche einteilen: Jesu Kindheit, sein öffentliches Wirken, seine Passion und Auferstehung. Für die theologische Grundaussage sind zwei Kernmomente entscheidend: Jesu letzte Worte am Kreuz und wie der Film endet. Aus „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Matthäus und Markus) spricht ein einsamer und verzweifelter Jesus. Im Lukasevangelium dagegen stirbt Jesus im vollen Vertrauen auf seinen göttlichen Vater: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.“ Und für den Apokalyptiker Johannes vollendet sich die Sendung Jesu mit den Worten „Es ist vollbracht.“

Überraschenderweise hören nicht wenige Filme mit der Kreuzigung Jesu auf: „From the Manger to the Cross“ (1912), „Jesus Christ Superstar“ und „Godspell“ (beide aus dem Jahr 1973) sowie „Die letzte Versuchung Christi“ (1988). Dabei würde das Christentum ohne den Auferstehungsglauben doch gar nicht existieren.

Vierfacher Schriftsinn

Eine Besonderheit, die Mel Gibsons Film „Die Passion Christi“ wohl am markantesten von allen anderen Jesusfilmen unterscheidet, ist die Verwendung der gesprochenen Sprache: Das Publikum hört nur Aramäisch und Latein. Es ist wohl der erste Film, der überall mit Untertiteln ins Kino kam. Gibson hatte ursprünglich sogar auf diese verzichten wollen, da ja die Geschichte hinlänglich bekannt sei. Für ein nicht christlich sozialisiertes Publikum wäre das dann doch etwas schwer zugänglich gewesen. 

Das Verwenden der alten Sprachen gibt dem Film auch eine mystische Dimension. Mit diesem Kunstgriff vermeidet Gibson Probleme, die eine neusprachlich synchronisierte Fassung mit sich brächte: Die Evangelien sind in erster Linie Erzählungen, die natürlich auch Dialoge enthalten. Es sind aber keine Dramen, die sich vor allem durch gesprochene Sprache auszeichnen. Sie stellen eine ganz eigene Textgattung dar. Seit der frühen Kirche wird die Bibel in einem vierfachen Schriftsinn verstanden: Der wörtliche und historische Sinn – Was ist geschehen? Der Glaubenssinn – Was soll ich glauben? Der ethische Sinn – Wie soll ich handeln? Und der eschatologische Sinn – Wonach soll ich streben?

Von Tunesien bis nach New York

Schwierig wird es, wenn die im Film verwendeten Bibeltexte aus bekannten Übersetzungen stammen. Pasolinis „Das 1. Evangelium Matthäus“ (1966) zum Beispiel ist wortwörtlich einer Bibelübersetzung entnommen. Und Pasolini lässt Jesus die Formel „Weh euch, ihr Schriftgelehrten und heuchlerischen Pharisäer“ wieder und wieder ausrufen. Diese rhetorische Figur im Text wirkt als gesprochenes Wort im Film aber wie eine persönliche Drohung. Der „ethische Schriftsinn“ dieser Stelle, die Entlarvung der pharisäischen Doppelmoral geht verloren. Durch den Verfremdungseffekt der unverständlichen Sprachen entgeht dagegen Gibsons Film dieser Gefahr.

Die Atmosphäre eines Films wird besonders vom Schauplatz und der Musik bestimmt. In Jesusfilmen gibt es für beides eine sehr große Spannbreite. Von Orten in Tunesien, die heute noch in der Zeit des Neuen Testaments zu leben scheinen, bis zu modernen Schauplätzen wie New York. Musik wird unterschiedlich eingesetzt. Im Gegensatz zu einem Musical („Jesus Christ Superstar“, 1973) oder einer Rockoper („Godspell“, 1973), in denen Musik das gesungene Wort trägt, bekommt die Musik bei Pasolini und Gibson eine eigene atmosphärische, erzählerische Qualität, die oft einen gesprochenen Text überflüssig macht.

Regisseur und Publikum stellen die gleiche Frage

Das Neue Testament erzählt vier Geschichten über Jesus von Nazareth mit sehr unterschiedlichen Charakterisierungen. Bei Matthäus ist Jesus der große Lehrer. Das Markusevangelium betont am meisten den menschlichen Jesus. Für Lukas ist Jesus vor allem der Prophet und für Johannes der Messias – und natürlich ist Jesus immer mehr als eine dieser Charakterisierungen.

Die Vielschichtigkeit der Jesus-Figur macht die Besetzung der Rolle zu einem besonders heiklen Unterfangen, ist doch der Schauspieler Sympathieträger und Identitätsfigur im Film. Es könnte interessant sein, einmal die Wirkung von langhaarigen, dunkel gelockten Jesus-Darstellern mit jener von kurzhaarigen blonden zu vergleichen. Viel wesentlicher als die äußere Erscheinung ist jedoch die Frage, die sich nicht nur den Regisseuren und Schauspielern stellt, sondern auch uns: Wer war Jesus von Nazareth und hat er irgendeine Relevanz für mein Leben? (Christof Wolf ist Jesuit, Filmproduzent und Referent)

Der Artikel ist zum ersten Mal am 9.4.2020 veröffentlicht worden.

Dieser Artikel gehört zum Schwerpunkt Ostern