Möglichkeiten in Krisen

Durch Corona Dankbarkeit lernen

So schlimm die Zeiten auch sind, sie geben uns auch die Chance Neues zu entdecken und zu erkennen, was uns wirklich wichtig ist.

In vielen Ländern applaudieren die Menschen Pflegern und Ärzten vom offenen Fenster. © Antonio - stock.adobe.com

München – Der Familienbesuch etwa, das Treffen mit Freunden, der Cappuccino auf der Terrasse des Ausflugscafés, der Einkaufsbummel, die Kurzreise übers Wochenende – man könnte diese Liste umfassend erweitern. Was bleibt uns dann eigentlich noch?

Ist es wirklich so, dass diese Dinge den Wert unseres Lebens ausmachen? In der Tat, unser Alltag wurde in den vergangenen Wochen ziemlich umgekrempelt. Aber die derzeitige Situation kann uns auch die Augen öffnen für Dinge, die untergegangen sind in der hektischen Zeit vor Corona. Ein Lächeln im Vorbeigehen, ein Passant, der mir mit einer charmanten Geste auf dem Bürgersteig den Vortritt lässt, damit wir nicht zu eng aneinander vorbeigehen. Die Besitzerin unseres Gemüseladens, die mich fragt, ob sie die Einkäufe nicht am Abend vorbeibringen soll, damit ich noch ein wenig spazieren gehen kann. Viele Beispiele dieser Art gibt es nun. Früher glaubten wir, für solche Gesten der Achtsamkeit keine Zeit zu haben. Heute merken wir, wie wichtig Hilfsbereitschaft und Solidarität für ein erfülltes Leben sind. Und wie gut sie uns tun.

Gemeinsame Probleme

Meine 91-jährige Freundin kann ich derzeit nicht besuchen, aber ich habe ihr Blumen vor die Wohnungstür gestellt, und wir konnten ein wenig plaudern: Sie stand an ihrem Fenster im ersten Stock und ich unten auf der Wiese vor ihrem Haus. „Weißt du, ich verlasse zwar meine eigenen vier Wände zur Zeit nicht, aber ich freue mich, dass sich jetzt in meinen Balkonkästen die ersten Blumen zeigen, und beobachte jeden Tag, wie sie wachsen. Ich habe den Krieg erlebt, im Vergleich dazu ist unser jetziges Problem wirklich klein. Das werden wir schon schaffen“, sagte sie mir. So manches relativiert sich eben, wenn man auf eine lange Lebenserfahrung zurückblicken kann.

An vielen Abenden telefoniere ich nun mit Freunden auf der ganzen Welt. So viel Zeit für Ferngespräche hatte ich lange nicht. Wo man sonst eine Whats-App-Nachricht schickte, kann man nun ausgiebig plaudern. Und man stellt fest, dass wir trotz unterschiedlicher kultureller Umfelder in dieser Situation doch viele gemeinsame Probleme haben. Das Verständnis füreinander wächst, ebenso wie das Achten aufeinander und auch auf unsere Umwelt. Diese Zeiten bringen uns weltweit enger zusammen.

Ein Zeichen der Freude

Notsituationen regen die Kreativität an. So ist es auch jetzt. Es gibt beispielsweise keine öffentlichen Gottesdienste, aber Fernsehübertragungen von Messen. Öffentliche Chorgebete in den Klöstern sind nicht gestattet, aber wir können uns per Livestream im Internet zuschalten und so am Gebet teilnehmen. Das gleichzeitige Läuten der Glocken aller christlichen Kirchen am Vorabend von Palmsonntag zeigte uns, dass wir auch ohne körperliche Anwesenheit miteinander verbunden sind. Es war für alle ein Zeichen der Freude und Hoffnung.

Die Pflegeberufe hatten in unserer Gesellschaft keinen großen Stellenwert. Heute wissen wir, wie wichtig diese Mitarbeiter für unsere ganze Gesellschaft sind. Persönlich können wir diesen Menschen unsere Wertschätzung nicht überbringen, aber der Applaus, der sich durch ganz Deutschland zog, war ein berührendes Zeichen des Dankes.

Raum für Ideen

Viele Berufstätige arbeiten nun im Home-Office. Anstatt sich zu Meetings zusammenzusetzen, organisiert man nun Videokonferenzen. Und man stellt fest: Es funktioniert. So manche dieser aus der Not geborenen Schritte zeigen uns sicherlich auch, dass man viele Abläufe effektiver und sinnvoller gestalten kann.

Die Entschleunigung öffnet uns die Augen für Vieles: Plötzlich können sich Ideen entwickeln, die uns sonst nicht in den Sinn gekommen wären. Wir können Dinge wahrnehmen, an denen wir normalerweise achtlos vorbeigelaufen wären. Wir können uns auf uns selbst besinnen und bisher verborgene Ressourcen in uns entdecken, die von der Alltagshektik überlagert waren. Es können sich Interessen herausschälen, die uns möglicherweise auf ganz neue Wege führen und sich als Lebenselixier erweisen.

Was uns trägt und bereichert, kann man für Geld nicht kaufen: Freundschaft, Respekt, Achtsamkeit und Mitgefühl. Diese Werte lenken unseren Blick auf das, wofür wir dankbar sein dürfen. (Petra Altmann)

Dieser Artikel gehört zum Schwerpunkt Corona - Pandemie