Unio mystica

Die Vermählung mit Gott

Mystikerinnen wie Mechthild von Magdeburg und Teresa von Ávila berichten von einem besonderen Bund mit Jesus Christus. Auch Ordensfrauen gehen als geweihte Jungfrauen diese "Ehe" ein.

Auch die Heilige Katharina von Sienna berichtete von einer mystischen Hochzeit. © gemeinfrei/Wikimedia

Sie sind voller Poesie und sinnlicher Bilder und für den modernen Leser oft schwer zu verstehen: die Visionen mittelalterlicher Mystikerinnen. Unter ihnen ragt vor allem Mechthild von Magdeburg (1207–1282) hervor, die ihre spirituelle Gotteserfahrung wie erotische Minnelieder formulierte, die zu ihrer Zeit in Mode waren.

Frauen wie Mechthild und auch Teresa von Ávila (1515–1582) berichten davon, in mystischen Augenblicken eine Einheit mit Gott erfahren zu haben, die auch dann noch bestehen blieb, als das Gefühl der Gottesnähe im Alltag oder in Zeiten der spirituellen Trockenheit verschwand. „Ich muss von allen Dingen weg zu Gott hingehen“, schrieb Mechthild bereits in jungen Jahren.

Mystische Erfahrung des christlichen Eheverständnisses

Diese Form der innigen Beziehung zu Gott wird in der Theologie als „unio mystica“, also zu Deutsch „mystische Einswerdung“, oder auch als „Vermählung mit Gott“ bezeichnet. Im Kern dieser mystischen Vereinigung mit Gott steht dabei eine sehr bekannte (zwischen-)menschliche Erfahrung: die liebende Verbindung zweier Personen unter der Wahrung ihrer jeweiligen Eigenständigkeit und unter der Voraussetzung, dass diese Verbindung untrennbar ist. Das also, was das christliche Eheverständnis aussagt, wird hier auf die Beziehung einer Person zu Gott übertragen.

Mystikerinnen wie Mechthild und Teresa sprechen allerdings nicht mehr von sich als Person und Gott als ihrem Gegenüber, sondern von der Verbindung der eigenen Seele mit der alles übersteigenden Liebe Gottes. Mechthild beschreibt diese „Einung“, wie sie es nennt, mit dynamischen Begriffen, ihr großes und für den heutigen Leser nicht leicht zugängliches Werk trägt den Titel „Im fließenden Licht der Gottheit“.

Darin gebraucht sie Bilder, die von einer mitreißenden Dynamik, einer lebensspendenden Kraft und einem nicht greifbaren und festhaltbaren Wirken Gottes erzählen. Sie erfährt die Einung nicht als Verschmelzen der Seele mit Gott, sondern mehr wie eine Umarmung Gottes mit dem Menschen – die Erfahrung der Einung auch mit dem eigenen Leib gehört dabei ganz selbstverständlich für Mechthild dazu. In der Schilderung dieser mystischen Erlebnisse ist ihre Sprache nicht nur nahe an den Minneliedern ihrer Zeit, sondern weist auch Ähnlichkeiten mit dem Hohelied Salomos im Alten Testament auf.

Auslegung des Hohelieds Salomos

Dort findet sich ebenfalls eine überaus erotische, anschauliche und sehr poetische Ausdrucksweise, die von der Beziehung der Braut Schulamit zu ihrem Bräutigam Salomo berichtet. Der unter dem Titel „Lied der Lieder“ weit über jüdische und christliche Kreise hinaus bekannte Text ist die Erzählung einer Liebesgeschichte. Besonders die Braut ist es hier, die sich voll Sehnsucht nach ihrem Bräutigam verzehrt: „Des Nachts auf meinem Lager suchte ich ihn, den meine Seele liebt. Ich suchte ihn und fand ich nicht.“ (Hld 3,1)

Dass es diese Schrift in die hebräische und damit in die christliche Bibel geschafft hatte, war lange Zeit beinahe ein Skandal. Daher bedienten sich die frühchristlichen Kirchenlehrer vor allem allegorischer, also bildhafter, Auslegungen: Die Braut stehe im Hohelied für die Kirche, die sich nach ihrem Bräutigam Christus sehne. Oder: Die Braut sei Maria, der Bräutigam Christus. Erst Origenes und dann ab dem zwölften Jahrhundert Mystikerinnen wie Mechthild und Teresa deuteten das Hohelied als Vereinigung der Seele mit Gott.

Durchzogen ist das Hohelied von einer starken Brautmystik, die Braut ist hier die vorwiegende Sprecherin, die sich auch nachts und im Dunkeln auf den Weg macht, um ihren Geliebten zu finden. „Ich gehöre meinem Geliebten und mein Geliebter gehört mir“ (Hld 6,3a) – diese Aussage Schulamits prägte durch alle Zeiten die spezielle Erfahrung der Vereinigung mit Gott. Besonders zum Tragen kommt diese Form der Spiritualität noch heute bei den Frauenorden und im Stand der geweihten Jungfrau.

Heirat mit Christus

In einigen benediktinischen Klöstern gibt es bis heute den Brauch, die Ordensfrau ab ihrer ewigen Profess mit dem Titel „Frau“ anzusprechen, als Zeichen ihrer Heirat mit Christus. Im Weihegebet der Jungfrauenweihe heißt es: „Die Jungfräulichkeit um Christi Willen erkennt in dir, o Gott, ihren Ursprung, sie verlangt nach dem Leben, das den Engeln eigen ist, und sehnt sich nach der Vermählung mit Christus.“ Damit wird ein wichtiger Aspekt der „unio mystica“ angesprochen: Anders als die Ehe zweier sich liebender Menschen ist die Vermählung mit Christus ein Bund, der die körperliche Welt überschreitet und erst im Himmel seine Vollendung finden wird.

Trotzdem bleiben bis heute diejenigen Menschen, die diese Erfahrung machen, nicht weltfremd auf den Himmel ausgerichtet, sondern schöpfen daraus die Kraft für manchmal gewaltige Aufgaben. Teresa von Ávila gründete nicht nur zahlreiche Frauenklöster, sondern auch Männerklöster – für ihre Zeit beinahe undenkbar. Und Mechthild von Magdeburg notierte: „Denn die Liebe gebietet mir, und was sie will, das muss geschehen – und worauf Gott seine Hoffnung setzt, das wage ich.“
(Regina Frey, Akademische Rätin am Lehrstuhl für Pastoraltheologie der Ludwig-Maximilians-Universität München und geweihte Jungfrau)