Sie kniet sich hin, drückt ihre Hand flach auf die Erde und schließt die Augen. „Wenn ich den Schmetterling berühre, den wir für unser Kind bei der Beerdigung hingelegt haben, fühle ich mich ihm ganz nah.“ Einmal in der Woche geht Christiane Bauer* allein oder mit ihrem Mann zum alten St. Mauritz-Friedhof in Münster.
Dort ist „Purzel“, wie die Eltern ihr im Mai 2015 in der neunten Schwangerschaftswoche verlorenes Kind nennen, mit anderen Frühgeborenen gemeinsam beerdigt. „Wir wollten keine Einzelbestattung und fanden den Gedanken schön, dass unser Liebstes nicht allein ist“, sagt die 28-Jährige.
Begräbnis für die Allerkleinsten
Den Namen haben die Eltern ins Familienstammbuch eintragen lassen. „Damit ist es offiziell unser erstes Kind“, betont Christiane Bauer. „Dies ist seit 2013 aufgrund der Änderung des Personenstandsgesetzes nun auch für die Allerkleinsten unter 500 Gramm möglich, die ihren Weg nicht ins Leben geschafft haben“, erklärt Annegret Wolf, katholische Seelsorgerin am Franziskus-Hospital in Münster. Seitdem haben Eltern zudem in vielen Bundesländern das Recht, ihre verstorbenen Kinder bestatten zu lassen – unabhängig vom Gewicht. Die Pastoralreferentin, die dort die drei Mal im Jahr stattfindenden Trauerfeiern für Fehlgeborene zelebriert, begleitet die Mutter an diesem Morgen auf den Friedhof.
„Wenn ich mir vorstelle, dass solche Kinder früher wie Müll entsorgt wurden, bin ich dankbar, dass uns das alles erst heute passiert ist. So entsetzlich es ist, der würdevolle Abschied und der wundervolle Ort trösten uns“, versichert die Mutter. Sie zündet mitgebrachte Kerzen an und knipst trockene Knospen vom Rosenbaum ab, den sie jüngst gepflanzt hatte. „So Purzel, jetzt hast du es wieder schön“, meint sie schließlich.
Schmerz und Loslassen
In ihrem Schmerz fühlt sich die junge Frau von Außenstehenden häufig unverstanden. Verletzend empfindet sie Bemerkungen wie: ,Du wirst bestimmt noch Mutter’ oder ,Das war doch noch ganz klein’. Selbst die niedergelassene Gynäkologin habe, als sie den Tod des Kindes im Mutterleib feststellte, nicht von einem Menschen, sondern von „Zellgewebe“ geredet. „Das konnte ich gar nicht verstehen. Ich hatte das Kind wachsen gesehen: Es hatte Arme, hatte Beine, sein Herzchen hat geschlagen. Das war kein Gewebe.“ Es sei ihr schwer gefallen, ihr Baby loszulassen. „Mir war rational klar, dass es keine Alternative gab. Das Kind war ja tot.“ Dennoch habe sie es nicht verlieren und weiterhin beschützen wollen.
„Viele Menschen sind unsicher“, erläutert Seelsorgerin Wolf. Sie wollten trösten, fänden aber nicht die richtigen Worte. In der Informationsmappe „Trauer um die Kleinsten der Kleinen“, die sie für Betroffene in ihrer Klinik verfasst hat, schreibt sie: „Machen Sie sich darauf gefasst, dass solche Sprüche kommen werden und überlegen Sie, wie Sie sich schützen können.“ Jede Reaktion, ermuntert sie darin, habe ihre Berechtigung, „wenn Sie Ihnen hilft, sich vor Verletzungen zu bewahren“. Die Theologin pflegt eine sensible Wortwahl und spricht nicht von Fehlgeburt, sondern „stiller Geburt“. Die im Mutterleib verstorbenen Kinder bezeichnet sie als „Kinder im Herzen“ oder Stillgeborene, die Lebendgeborenen als „Kinder an der Hand“.