Pfarrer Jakob Paula lebt als Einsiedler

Die richtige Erde gefunden

Nur ganz selten im Leben kommt es vor, dass man jemanden trifft, der alles verändert. Auslöser muss nicht die große Liebe sein - bei Gemeindepfarrer Jakob Paula aus München war es ein Mönch. Dessen Foto brachte ihn dazu, alles hinter sich zu lassen - Job, Wohnung - und als Einsiedler zu leben.

Pfarrer Jakob Paula zieht im Garten vor seiner Wohnung sein eigenes Gemüse (Bild: Sankt Michaelsbund/Hammermaier) © Sankt Michaelsbund/Hammermaier

Dachau – „Schauen Sie, so ein schöner Käfer. So einen hab ich noch gar nie gesehen“, sagt Pfarrer Jakob Paula, während er das grüngolden schimmernde Tier mit einem Blatt Papier durch die halb geöffnete Terrassentür hinaushebt. Seit er als Einsiedler lebe, sei er viel aufmerksamer für kleine Dinge geworden, erläutert der ehemalige Gemeindepfarrer. Der 55-Jährige hat zuletzt die Pfarrei „Frieden Christi“ im Münchner Olympiadorf geleitet und wohnt seit November in Dachau – direkt neben der KZ-Gedenkstätte und dem Karmelitinnen-Kloster, dessen Hausgeistlicher er ist.

Den Gedanken, als Einsiedler zu leben, hatte er schon als Heranwachsender. Auf diese Idee gebracht hatte ihn ein Foto des 1977 heiliggesprochenen libanesischen Mönchs Charbel Makhlouf in einer Zeitung. Das Porträt des in sich versunkenen Mannes mit gesenktem Blick, ergrautem Bart und Kapuze drückt für Jakob Paula einen tiefen inneren Frieden aus und hängt heute über seinem Schreibtisch, daneben Engel- und Heiligendarstellungen sowie ein Farbdruck von Paul Klees „Einsiedelei“.

Jakob Paulas Einsiedelei umfasst fünf Räume – ein Arbeits- und ein Schlafzimmer, ein Bad, eine kleine Küche mit einem Holzschemel aus dem Karmel als einziger Sitzgelegenheit sowie ein Gesprächszimmer für Gäste – und ist dem Pfarrer eigentlich viel zu groß. Schließlich hat er in seiner Lebensregel gelobt, seinen materiellen Besitz „auf das Nötigste zu beschränken“.

Und das tut er auch. Mehr als die Hälfte seines ohnehin um 50 Prozent reduzierten Gehalts spendet er. Seine Nahrungsmittel baut er entweder im eigenen Garten an – zurzeit wachsen dort etwa Kartoffeln, Karotten und Kohlrabi heran – oder er bekommt sie von Besuchern geschenkt. Damit nichts verdirbt, fastet Jakob Paula sogar weniger, als er eigentlich möchte.

Nicht nur in puncto Armut hat er sich den benachbarten Karmelitinnen angepasst. Auch sein Tagesablauf gleicht dem ihren: Um 5 Uhr steht Pfarrer Paula auf. Um 6 Uhr betet er mit den Schwestern die Laudes, um 7 Uhr feiert er mit ihnen Eucharistie. Für den Hausgeistlichen ist es der „Anfang des Himmels“, dass ihn die Glocken sechsmal am Tag in die Kapelle rufen, hatte er doch in den vergangenen 21 Jahren in Gemeinden ohne Geläut gewirkt. Auch durch die Gebetsgemeinschaft mit den Ordensfrauen fühlt er sich getragen.

Überhaupt empfindet er eine viel größere Nähe zu anderen Menschen, seit er einsam lebt. Er führt das darauf zurück, dass statt funktionaler Gespräche nun wirkliche Begegnungen stattfinden. Und darauf, dass er sich umso stärker mit allen verbunden weiß, je besser er sich selbst kennenlernt. Jakob Paula vergleicht die Menschen mit Bäu- men: Im Äußeren unterschieden sie sich, im Inneren aber seien sie einander sehr ähnlich – in ihren Sehnsüchten nach dem Guten wie auch in der Schwäche und Anfälligkeit für das Böse, an das er durch die Nachbarschaft zum ehemaligen KZ unweigerlich immer wieder erinnert wird. Die Sehnsucht, die Jakob Paula zum Einsiedler werden hat lassen, ist, „Gottes Willen klarer zu erkennen und mit größerer Bereitschaft zu erfüllen“.

Vermisst er in der selbst gewählten Abgeschiedenheit etwas? Jakob Paula wartet, wie so oft, einen Moment, bevor er antwortet. Er überlegt. Gelegentlich Kino- und Ausstellungsbesuche, meint er dann, oder manchmal eines der 640 Bücher, die er vor seinem Umzug nach Dachau weggegeben habe, aber eigentlich könne er nichts nennen, was ihm wirklich fehle.

Nicht von ungefähr beginne man ein Eremitendasein üblicherweise in fortgeschrittenem Alter, wenn man angereichert sei mit Erfahrungen, Ereignissen und Erlebnissen. So hat es auch der heilige Nikolaus von Flüe gehalten. Dessen Wirkungsort hat Jakob Paula mehrmals bei Pfarrei- Wallfahrten aufgesucht und dabei seine eigene Sehnsucht nach dieser Lebensform gespürt: „Wenn ich dort war, wusste ich immer – das ist mein Leben.“

Als sein Vater, der eine solche Berufung nicht hätte verstehen können, vor vier Jahren verstarb, verfasste Jakob Paula deshalb einen Brief an Kardinal Reinhard Marx, in dem er seinen Wunsch darlegte. Als ihm Anfang 2015 ein Pfarrei-Wechsel nahegelegt wurde, schickte er das Schreiben ab – und wurde umgehend zum Gespräch eingeladen. Statt der erwarteten Absage aufgrund des Priestermangels zeigte der Kardinal viel Verständnis für Paulas Anliegen und genehmigte es letztlich – zunächst für drei Jahre. Aber um die Zukunft macht sich Jakob Paula nicht so große Sorgen und auch die Vergangenheit ist für ihn in der Barmherzigkeit Gottes gut aufgehoben. Er versucht, ganz in der Gegenwart zu leben.

Der Hobby-Gärtner zieht folgenden Vergleich: „Man muss sehen, dass man für eine Pflanze die richtige Erde findet.“ Setze man sie zuerst in eine ungeeignete, entwickle sie jedoch Kräfte, die sonst nicht zum Vorschein gekommen wären. So ist Pfarrer Paula dankbar für seine Zeit in Pfarreien, die ihn herausgefordert, aber auch reifen habe lassen. Doch nun ist sich der Priester sicher: „Jetzt habe ich die Erde gefunden, die mir entspricht.“ In einer Gesellschaft, die auf Leistung und Erfolg ausgerichtet sei, möchte er in dieser Erde wie eine Blume sein, die die Vorübergehenden erkennen lasse: „Gott ist gut und das Leben ist schön.“

Behutsam hebt Jakob Paula den kleinen grünen Käfer noch einmal auf. Er war auf den Rücken gefallen. (Karin Hammermaier)

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Pfarrer Paulas neues Leben als Einsiedler

Ein Betrag des Münchner Kirchenradios