Centa Segerer

Die Mystikerin aus Untergiesing

Ihre Geschichte war lange Zeit kaum bekannt: Am Körper der vor 70 Jahren verstorbenen Centa Segerer sollen sich die Wundmale Christi gezeigt haben. Regelmäßig soll sie Visionen von der Passion Christi und extreme Körperzustände erlebt haben, bei denen Blut aus ihren Wundmalen trat.

Centa Segerer (1906-1953) © Segerer-Freundeskreis

Manchmal holt Gerhard Gruber das Sterbebild von Centa Segerer aus der Schublade und schaut es lange an. Der 94-jährige Prälat und frühere Generalvikar dürfte einer der Letzten sein, die die 1953 verstorbene Münchnerin noch gekannt haben. Auch damals war nur einem kleinen Kreis bekannt, dass sie die Stigmata getragen hatte, sich also die Wundmale Christi an ihr zeigten.

Seit 1936 erlebt sie nahezu an jedem Donnerstag Visionen von der Passion Christi und extreme Körperzustände, bei denen Blut aus ihren Wundmalen tritt. Das dauert dann bis zum Freitagnachmittag. Einmal sieht Gruber, wie Centa Segerer völlig erschöpft in ihrem Bett liegt „und unter schweren Schmerzen stöhnt, das habe ich noch im Kopf“. Das ganze Geschehen an solchen Tagen hat er nicht miterlebt. „Neugierig war ich schon, aber ich war viel zu ehrfürchtig, weil es ja ein Geschehen von Gott her war.“ Ihm und seiner Familie war Segerer, die auch im Ruf einer Seherin stand, „vor allem eine große Trösterin, der ich bis heute dankbar bin“. In vielen Gesprächen habe sie seiner Mutter, seinem Bruder Elmar und ihm Mut zugesprochen und „uns immer vorausgesagt, dass der Vater wieder aus dem Krieg zurückkehren wird, den er von Anfang bis Ende mitmachen musste“. Zuvor hatte der Vater immer wieder an den Protokollen mitgeschrieben, die ein kleiner Zirkel über Segerers Visionen anfertigte.

Besuch nach Bombenangriffen

Die Grubers waren mit ihr durch Verwandte im Münchner Stadtteil Giesing in enge Berührung gekommen. Der Schüler Gerhard besuchte sie 1943 und 1944 häufig, als er nach den schweren Bombenangriffen losradelte, um zu schauen, ob seiner Großmutter und eben auch Centa Segerer nichts passiert war: „Wir haben uns oft über meine Schule und die Zeitereignisse unterhalten.“ Das Wohnhaus der Segerers in der Arminiusstraße steht ihm noch deutlich vor Augen: „Gegenüber war eine Flakstellung und sie hat manchmal die Rufe des Kommandanten nachgeahmt.“ 

Centa, die als junge Erwachsene gerne tanzt, Geige spielt und fröhlich ist, konnte witzig sein. Andererseits leidet sie schon als 15-Jährige an ernsten Herzproblemen. Wegen dieser Herzschwäche muss sie eine schwere Operation ohne Narkose über sich ergehen lassen. Beruflich kommt sie nicht recht voran, bleibt kränkelnd und hilft vor allem im Haushalt der Familie mit. Die Eltern haben eine kleine Schusterei und zwölf Kinder. Bei einem Erholungsaufenthalt in Bad Tölz wird sie auf dem dortigen Kalvarienberg zum ersten Mal von einer Vision ergriffen. Fortan beschließt sie, möglichst viele Leiden auf sich zu nehmen, als Opfer, um sie anderen zu ersparen. Nach einigen Jahren treten schließlich die Wundmale auf. Auch soll sie keine Nahrung mehr zu sich genommen haben außer der Eucharistie. Das ist allerdings nicht gründlich dokumentiert.

Buch über Segerer verfasst

Erforscht hat das alles Alois Bäuml. Der pensionierte Biologie- und Chemielehrer war in seiner Münchner Pfarrei auf die fast völlig vergessene Centa Segerer aufmerksam geworden und hat ein Buch über sie geschrieben. Immer wieder hat ihn die Frage beschäftigt, warum Segerers Geschichte so verborgen geblieben und nicht an die Öffentlichkeit gedrungen ist. „Für die NS-Zeit ist es mir schnell klar geworden: Man musste befürchten, dass die Behörden sie in eine Anstalt einweisen und dort umbringen.“ Gruber bestätigt das ausdrücklich: „In ihrer Nachbarschaft wohnte ein Nazi-Bonze, schon als Bub habe ich die Angst mitbekommen, dass das Regime schlimme Dinge mit ihr anstellen könnte.“

Alle Begegnungen mit Ratsuchenden, Verzweifelten und insbesondere Priestern blieben streng privat. Überliefert ist, dass Segerer Soldaten an der Front erschienen ist. Deren Verwandte hatten die Passionsmystikerin darum gebeten, die Männer zu schützen oder ihnen wenigstens Trost zu spenden. Vieles ist auf den rund 1.100 Seiten der Gesprächsprotokolle zu finden, die Bäuml im Archiv des Erzbistums München und Freising gesichtet hat, ebenso die Briefe, die Segerer erreichten.

Auch als der Krieg vorbei war, blieb sie nur einem kleinen Kreis bekannt, der immer wieder Bedrängten oder Verzweifelten eine Begegnung mit der stigmentragenden Frau vermittelte. „Die nach dem Tod von Centa Segerer noch in der Wohnung verbleibenden Schwestern wollten nicht, dass die Mitschriften in fremde Hände gelangen“, vermutet Bäuml, „weil es darin auch immer wieder um familieninterne Dinge ging.“ Die Schwestern verschlossen sich aber nicht dem Wunsch, die Schriften der Kirche zu übergeben und sie nach ihrem Tod seriös sichten zu lassen.

Gläubige aus Chile und Kanada erbaten ihr Gebet

Und völlig vergessen war Segerer nie. Durch einen Priester, der sie besucht hatte und als Missionar aktiv wurde, erbaten sogar Gläubige aus Chile und Kanada ihr Gebet und ihre Fürsprache. Selbst nach ihrem Tod am 15. Mai 1953. Zuvor hatte sie der in Rom studierende Gerhard Gruber noch besucht, wenn er im Heimaturlaub war. Es war ihm trotz der vielen anderen Verpflichtungen wichtig, die gesundheitlich schwer angeschlagene Mystikerin zu treffen. Es vertiefte seinen Eindruck „von einem direkt mit Gott verbundenen Menschen, der andere bestärken konnte, ihren eigenen Glaubensweg zu gehen“. Für den Geistlichen „war es ein Glück, dieses Zeugnis für Christus miterleben zu dürfen“. Darum nimmt er immer wieder das Sterbebild der Centa Segerer in die Hand. Früher hat er ab und zu ihr Grab auf dem Münchner Ostfriedhof besucht, das lässt sein hohes Alter nun nicht mehr zu. Vor ein paar Jahren wäre es fast eingeebnet worden, doch ein Freundeskreis hat die Pflege übernommen und versucht, die Mystikerin aus Untergiesing bekannter zu machen. Zur Freude von Gruber: „Ich denke, dass sie eine Fürsprecherin bei Gott ist, und würde mir wünschen, dass die Verbindung mit ihr in der Ewigkeit gesucht wird.“

Alois Bäumls Biografie ist unter dem Titel „Centa Segerer – Der Wille Gottes bedeutet mir alles“ im Miriam-Verlag erschienen und kostet zehn Euro. Eine erweiterte Ausgabe soll noch heuer erscheinen, ebenso ein Band mit Texten von Centa Segerer.

Der Autor
Alois Bierl
Chefreporter Sankt Michaelsbund
a.bierl@michaelsbund.de