Liebe und Priestertum

"Der Zölibat ist ein Abenteuer"

Seit 20 Jahren hat Pfarrer Rainer Maria Schießler eine Frau an seiner Seite. Die Liebe zu ihr und der Zölibat passen für ihn trotzdem zusammen.

Pfarrer Rainer Maria Schießler (Bild: Sankt Michaelsbund) © Sankt Michaelsbund

Bonn/München – Der Zölibat und die Liebe zu einer Frau passen nach Meinung des katholischen Priesters und Bestsellerautors Rainer Maria Schießler (55) durchaus zusammen. "Liebe zwischen zwei Menschen gibt es auch ohne das, woran alle jetzt denken", sagte der Münchner Pfarrer in einem Interview der in Bonn erscheinenden "Zeit"-Beilage "Christ und Welt". Darin spricht er über Gunda, die seit 20 Jahren die Frau an seiner Se

"Der Geschlechtsakt ist definitiv ausgeschlossen, Zärtlichkeit dagegen ist wichtig", fügte der 55-Jährige hinzu. Kein Mensch könne ohne Zärtlichkeit leben. "Warum sollte ich als zölibatär Lebender für Gunda nicht genau dieselbe Art von Liebe empfinden, wie andere Menschen dies auch tun?", so Schießler weiter. Er bezeichnet Gunda als seine Seelenverwandte. "Die Gunda und ich stehen füreinander ein. Das trifft es am besten."

"Mehr vom Leben"

Schießler warb für eine größere Vielfalt an Lebensformen. "Wir leben in einer vollkommen sexualisierten Gesellschaft", sagte er. "Da fehlt es am Vorstellungsvermögen für eine andere Lebensform." Die meisten Menschen könnten sich nicht vorstellen, dass man "mehr vom Leben hat, wenn man eben nicht alles vom anderen haben kann".

Der Pfarrer verteidigte die freiwillige Ehelosigkeit für katholische Priester, sprach sich aber gegen den Pflichtzölibat aus. "Eigentlich ist der Mensch für so eine Lebensweise nicht geschaffen, trotzdem gibt es Menschen, die so leben - und zwar freiwillig", sagte er. Für ihn sei der Zölibat ein Abenteuer. Wegen des Pflichtzölibats allerdings schreckten viele Männer vor dem Priestersein zurück. "Die Folge ist, dass wir sehr guten Priesternachwuchs verlieren. Ein echtes Drama."

Zölibat


"Zölibat" bezeichnet die aus religiösen Gründen gewählte Ehelosigkeit. Der aus dem Lateinischen stammende Begriff umschreibt die Verpflichtung der katholischen Priester zur Ehelosigkeit und einem Leben in Keuschheit. Begründet wird der Zölibat mit dem Hinweis darauf, dass sich ein geweihter Geistlicher radikal dem Dienst an Gott und den Menschen verpflichtet. Daneben gibt es praktische und theologische Begründungen.

Aus der Bibel lässt sich der Zölibat nicht direkt ableiten, auch wenn an mehreren Stellen des Neuen Testaments das ehelose Leben in der Nachfolge Christi angesprochen wird. Erste rechtliche Bestimmungen reichen ins vierte Jahrhundert zurück. 1139 wurde die Zölibatsverpflichtung zum Kirchengesetz, als das Zweite Laterankonzil Priesterehen für nichtig erklärte. Die römische Kirche hat seitdem grundsätzlich daran festgehalten, auch wenn es noch Jahrhunderte dauerte, bis sich die Zölibatsdisziplin in der Kirche des Westens durchsetzte.(KNA)

Verheiratete Priester wären nach Meinung Schießlers eine Chance für die Kirche. "Sie stehen mitten im Leben, haben vielleicht auch Kinder, verstehen so manches Problem bei der Seelsorge aus eigener Anschauung und Lebenserfahrung besser und reagieren offener - menschlicher."

Einsamkeit als Berufsrisiko

Als größtes Berufsrisiko der Priester bezeichnete der 55-Jährige die Einsamkeit. "Die meisten meiner Zunft, denke ich, leben sozial eher isoliert", erläuterte er. Die meisten Priester hätten keinen quasifamiliären Anschluss mehr. "Deshalb besteht die Gefahr, irgendwann wunderlich zu werden."

Schießler ist Pfarrer in der Münchner Pfarrgemeinde St. Maximilian. Daneben moderiert er auch eine eigene Talkshow für den Bayerischen Rundfunk und hat einen eigenen Podcast. "Schießlers Woche" wird vom katholischen Medienhaus Sankt Michaelsbund produziert. (KNA/smb)

Der Artikel wurde am 7.10.2020 aktualisiert.

Podcast-Tipp

Schießlers Woche

Pfarrer Rainer Maria Schießler aus München wartet nicht darauf, dass die Menschen zu ihm kommen. Er geht dorthin, wo die Menschen eh schon sind. Er nennt die Dinge beim Namen, auch wenn ihm das schon so manches Mal Ärger eingebracht hat. Aber er will immer nur das eine: seiner Kirche - und damit den Menschen - dienen. Auch in seinem Podcast nimmt er kein Blatt vor den Mund. Er spricht über alles: Grundsätzliches, Spirituelles, aber auch kirchenpolitische Fragen.

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