Meinung
Kindheitserinnerungen

Der schönste Christbaum

Günter Reichelt weiß noch genau, wie es war, als er das erste Mal half den Baum zu schmücken. Dabei durfte er eine besondere Aufgabe übernehmen.

EIn geschmückter Christbaum gehört für viele an Weihnachten zur Tradition dazu. © ????? ????????? - stock.adobe.com

Wenn ich an meine Bubenzeit zurückdenke, erinnere ich mich ganz besonders gerne an den Dezember. War zwar schon der Advent mit Adventskranz und mit „besonders brav und hilfsbereit sein“ als Vorbereitung für den Nikolaus etwas Besonderes, so war’s doch bis zum Heiligabend noch schier eine Ewigkeit. Obwohl der Adventskalender mit seinen glitzernden Engeln und Zwergen und versteckten Guadln die Zeit sichtbar und süß verkürzte, und ich mit neugierigem Schauen immer einige Tage im Voraus war, so brachte doch der Tag, an dem ich mit meinem Vater in die Stadt zum Markt ging, um den Christbaum zu kaufen, die Gewissheit, dass es nun nicht mehr lange dauern könne, bis das Christkind käme.

Suche nach dem perfekten Baum

Es waren die Jahre, in denen noch keine Schneefräsen und Schaufellader die hohen Schneewände an den Straßenrändern bearbeiteten, sondern die Zeit, in der der Stadt-Hias mit seinem Pferdepflug schon am frühen Morgen den Weg gebahnt hatte. Am Markt dann war die Hornauerin, eine ältere stadtbekannte Standlfrau, die neben Äpfeln, Orangen und Nüssen auch Christbäume verkaufte, voll in ihrem Element. Sie hatte nach eigener Auskunft wie jedes Jahr – und ich glaube, auch alle früheren und noch kommenden Christbaumhändler waren und werden so sein – nur die schönsten und frischesten und natürlich auch die billigsten Christbäume weit und breit. Nach langer Suche und Prüfung und dem sachverständigen Rat der Marktfrau und dem anderer Kunden, hatten wir den richtigen Baum in der Größe, der auch gut gewachsen war, eine schöne Spitze hatte und bei dem die Äste auch noch stark genug für die Kerzen waren, gefunden: rundherum ein schönes Stück.

Ein Loch zwischen den Ästen

Wohlweislich hatte Vater auch eine Schnur mitgebracht, und wir banden den schönsten Baum, den es am Markt gab, zusammen und gingen stolz in der Gewissheit nach Hause, von Mutter ein dickes Lob für unseren Kauf zu bekommen. Einige Tage vergingen, Vater holte den Christbaumständer, sägte und bohrte und bald stand der Baum dann im Wohnzimmer an seinem angestammten Platz. Aber wie wir den Baum auch in der Ecke drehten, es kam, wie schon fast in jedem Jahr, ein Loch in der Reihe der Äste zum Vorschein, das auch mit den besten Künsten des Lametta-Aufhängens nicht zu überbrücken war. Doch Vater wusste, wie so oft, auch hier wieder einen Rat. Mit wenigen Handgriffen, einem Bohrer und einem neuen Astl war der Fehler bald behoben.

Backen zur Ablenkung

Bis daher durfte ich dem Vater noch helfen, denn er wiederum half ja dem Christkind; ab jetzt aber galt für mich die Verbannung aus dem interessantesten Zimmer des Jahres. Und so blieb mir nichts anderes übrig, als der Mutter in der Küche, in der es schon himmlisch nach Vanille, Zimt, Orangen und Punsch roch, mit meinen Fragen nach dem „Warum?“ und „Wieso?“ und „Wann?“ auf die Nerven zu gehen. Sie wiederum wusste auf alle Fragen eine Antwort und wenn’s wirklich einmal nicht mehr ging, bekam ich ein Stück Teig, um hier meine Fähigkeiten als Konditor zu erproben.

Mit viel Liebe dekoriert

Die Zeit verging, und von Jahr zu Jahr hoffte ich, doch endlich auch einmal wenigstens beim Aufputzen des Christbaums mit dem Vater dem Christkind helfen zu dürfen. Und diese Zeit war dann die schönste, an die ich mich erinnern kann. Auf einmal glaubte ich auch schon zu den Erwachsenen zu gehören, und doch hatte ich den Glauben ans Christkind nicht ganz aufgegeben. Voll Liebe und Kunstfertigkeit übernahm Vater die Regie bei dieser Arbeit, wobei dem Christbaumspitz seine besondere Sorgfalt galt. Nachdem nun alle Kugeln und Kerzenhalter angebracht waren, durfte ich als besondere Auszeichnung noch eine ganz schöne gläserne Glocke, die „Pummerin“, wie Vater sie in Anlehnung an die große Glocke im Wiener Stephansdom nannte, aufhängen. Zum Anbringen des Lamettas, fein säuberlich in Zeitungspapier vom Vorjahr aufbewahrt, reichten meine Fähigkeiten aber noch nicht aus.

Ankunft des Christkindes

Und so kam Heiligabend. Nach dem Besuch der Kindermette und dem Anhören der Bläser hoch vom Turm der Stadtpfarrkirche gingen wir nach Hause, um aufs Christkind zu warten. Unerträglich war’s fast, wie langsam die Zeit verging. Und so versuchte ich, wenigstens durch die Fenster das Christkind zu sehen, das vielleicht schon beim Nachbarn war. Und – ich sah es auch wirklich! Ganz fest nahm ich die Hand des Vaters, schaute zu ihm hinauf und sagte: „Gell, Vater, jetzt hamma’s Christkindl gsegn.“ – „Ja“, sagte er, „Bua, sei ganz staad, sonst fliagt’s wieda weg.“  (Günter Reichelt, freier Mitarbeiter der Münchner Kirchenzeitung)

Dieser Artikel gehört zum Schwerpunkt Advent & Weihnachten