Von der Kunst des Erzählens

Das Markus-Evangelium auf DVD

Der Bildhauer und Theologe Franz Hämmerle hat das Markus-Evangelium eingesprochen. Kombiniert mit Bildern aus dem Heiligen Land wird das Zuhören ein eindrückliches Erlebnis.

Franz Hämmerle (stehend) bei Aufnahmen im Groundlift Media Studio mit dessen Leiter Daniel Betz. © Wunderlich

Die Geschichte steht im vierten Kapitel des Markus-Evangeliums: Jesus und seine Jünger werden im Boot vom Sturmwind überrascht und voller Furcht wecken die Männer ihren schlafenden Meister. Dieser „herrschte den Wind an und sagte: Schweig, verstumme. Und der Wind legte sich und es entstand eine große Meeresstille“. So übersetzt der Bildhauer und Theologe Franz Hämmerle diese Passage. Und er fügt den Worten ein Bild hinzu: ein verwittertes Holzboot, vor dem sich still das Wasser des Sees Genezareth ausbreitet. Wort und Bild werden eins – und darum geht es Hämmerle: um die Stille und das Sich-Versenken in einen uralten Text.

Den Geschichten von Jesus lauschen

„Markus Evangelium“ heißt die DVD, die Hämmerle veröffentlicht hat. Gut zwei Stunden dauert es, das gesamte Evangelium zu hören, unterbrochen von Musikstücken, die Veronika Miller-Wabra auf der Harfe spielt. Begleitet wird der Ton durch Fotografien – darunter viele Aufnahmen aus dem Heiligen Land. Unterwegs in der Natur, aber auch auf den Straßen von Jerusalem wandern somit die Augen, während die Ohren lauschen auf die Geschichten, wie Jesus seine Jünger sammelt, ihnen Gleichnisse erzählt und schließlich den Weg der Passion beschreitet – bis hin zum leeren Grab, das die drei Frauen entdecken. Mit ihrem „Zittern und Entsetzen“ endet Kapitel 16,8 – denn die angehängte Zusammenfassung von der Erscheinung des Auferstandenen bei den Jüngern und der Himmelfahrt ist nach der theologischen Forschung nicht sicher Teil des Markusevangeliums. An diesem Punkt, so Hämmerle, beginnt die Verkündigung – und in dieser Tradition sieht er sich selbst.

Die DVD „Markus Evangelium“ kann für 14,80 Euro direkt auf der Homepage von Franz Hämmerle bestellt werden.

Die Kunst des Erzählens ist fester Bestandteil der orientalischen Kultur – von den Geschichtenerzählern im Kaffeehaus bis zur Rezitation der Tora im Judentum. In Europa hat sich diese Kultur am besten in Irland erhalten. Doch Hämmerle hatte das Glück, Erzählstunden in seiner Schulzeit in St. Ottilien zu erleben – einzelne Geschichten kann er bis heute wiedergeben.

Mit 72 Jahren blickt er in Windach am Ammersee auf ein Leben zurück, in dem Theologie und Kunst sich immer gegenseitig befruchtet haben. Als Diplom-Theologe und als Meisterschüler an der Münchner Akademie hat er sein Wissen zeitweise als Lehrer weitergegeben und zugleich viele Aufträge für kirchliche Kunstwerke erhalten. Für die Kirche St. Stefan in Gräfelfing schuf er einen Kreuzweg aus Bronzereliefs. Darin macht er sichtbar: Als Judas seinen Meister mit einem Kuss verrät, überlagern sich die Schwerter der Soldaten zu einem Kreuz – ein deutlicher Verweis auf den Weg nach Golgatha. Eigene Werke wie dieses fügt Hämmerle nun in der DVD seinem erzählten Text bei.

Das gesamte Evangelium auswendig lernen

Diesen Text, das ist sein Ziel, will er auswendig erzählend vortragen. Denn der Inhalt des Markus-Evangeliums sei zunächst eine mündliche Erzählung in aramäischer Sprache gewesen. Diese habe der zweisprachige Markus dann ins Griechische übertragen. Eine Übersetzung nah am griechischen Original bietet das „Münchener Neue Testament“, das 1988 vom „Collegium Biblicum München“ um Professor Otto Kuss veröffentlicht wurde, zu dessen Schülern Hämmerle gehört. Für das Projekt, das gesamte Evangelium auswendig zu lernen, geht Hämmerle allerdings noch einen Schritt weiter. Er arbeitet die Struktur des mündlichen Erzählens deutlich heraus, verbindet vieles durch ein eingefügtes „und“, wie es bei mündlichen Berichten üblich ist. Und er sucht und findet eindrückliche Formulierungen. So nennt er die Dämonen, die Jesus austreibt, „Abergeister“ – eine Wortschöpfung des Theologen Fridolin Stier. In der Streitrede mit den Pharisäern (Mk 7,8) übersetzt er die Worte Jesu: „Fahren lasst ihr Gottes Gebot. Die Tradition der Menschen haltet ihr fest.“ Und bei der Frage, ob ein Reicher in das Reich Gottes gelangt (Mk 10,25), verwandelt er den Vergleich mit dem Kamel kurzerhand zu einem „Kamelseil“, das nicht durch das Nadelöhr passt.

Zuhören wirkt wie Exerzitien

Wer sich Zeit nimmt für diese DVD, der erlebt ein Zusammenspiel von Naturfotografie aus Israel, Skulpturen und Reliefs des Bildhauers Franz Hämmerle und seine eindrückliche, deutliche Sprache, in der er das gesamte Evangelium des Markus vorträgt. Gerade in diesen Zeiten der Corona-Pandemie, so Hämmerle, „suchen die Menschen etwas, was wirklich nährt – besser als ein Buch über Wellness“. Im Freundeskreis bekam er auf seinen erzählten Markus-Text gute Rückmeldungen, und das Erlebnis des Zuhörens wurde mit der Wirkung von Exerzitien verglichen. Das Besondere sei eben, dass nicht die üblichen „Häppchen“ geboten würden wie nach der Leseordnung für die Sonntagsmessen, sondern das Ganze: „Erzählen hat den Auftrag, zum Glauben zu führen.“ (Annette Krauß, freie Autorin)