Glauben in der Diaspora

Vom Christ sein in Indien

Kaplan Joseph Vijay Kumar Nanduri kommt aus Indien und wurde dort zum Priester geweiht. Im Interview erzählt er vom Christentum in seiner Heimat und von seiner Sicht auf das christliche Leben.

Joseph Vijay Kumar Nanduri segnet Gläubige in seiner Heimat. © Privat

Seit Januar ist Joseph Vijay Kumar Nanduri (40) in den Pfarrverbänden Puchheim und Eichenau-Alling (Dekanat Fürstenfeldbruck) als Kaplan durch das Erzbischöfliche Ordinariat angewiesen. Nach seiner Promotion 2020 an der Universität Innsbruck arbeitete der gebürtige Inder zuvor unter anderem im Pfarrverband Trostberg.  Im Interview spricht er über seine Sicht auf Christsein und christliches Leben.

mk online: Herr Kaplan Nanduri, was zeichnet einen Christen aus Ihrer Sicht aus?

Joseph Vijay Kumar Nanduri: Die Liebe Gottes, zu der wir alle berufen sind, die uns als Christen geschenkt ist und die wir an die anderen Menschen weitergeben sollen. Sonst sehe ich kein anderes Zeichen. Nur mit Liebe können wir in Frieden miteinander leben. Jeder Mensch soll in Liebe angenommen werden. Was passiert, wenn diese Liebe fehlt, können wir derzeit in der Ukraine sehen.

Was unterscheidet Christen von Nicht- oder Andersgläubigen?

Nanduri: Ich denke, dass wir als Christen uns bewusster sind als andere Gläubige, dass wir eine Aufgabe in der Welt haben. Wir sollen uns in den Dienst der Menschen stellen und, wie schon gesagt, die Liebe Gottes und den Frieden zu den Menschen bringen. Das macht schon einen Unterschied zwischen Christen und anderen Gläubigen. Für uns Christen ist das Evangelium das Wort Gottes, das wir ernst nehmen. Für uns steht darin, was wir in unserem Leben umsetzen sollen und dass wir mit allen friedlich zusammenleben sollen.

Wie haben Sie in Indien das Zusammenleben mit Vertretern und Angehörigen von anderen Religionen erlebt?

Nanduri: In meinem Heimatdorf direkt am Meer gibt es viele andere Gläubige, direkt neben meinem Haus wohnen etwa Hindus. In meinem Dorf leben wir alle friedlich zusammen. Konflikte und gewaltsame Auseinandersetzungen, wie sie immer wieder zwischen den einzelnen Religionsgemeinschaften in Indien auftauchen, passieren mehr in den Großstädten, wo vor allem Politiker die Menschen nur für ihre eigenen Interessen benutzen und beeinflussen möchten. Die einfachen Leute aber wie in meinem Dorf leben friedlich zusammen.

Wie viele Menschen leben denn in Ihrem Dorf Padatadika am Golf von Bengalen?

Nanduri (lacht): Wir in Indien rechnen immer nur nach Familien. In meinem Dorf leben etwa 500 Familien und jede Familie hat ungefähr zwei bis drei Kinder.

Welche Probleme haben Christen generell in Indien?

Nanduri: Das drängendste Problem ist sicherlich die Verfolgung durch Menschen anderer Religionsgemeinschaften. Wir als Christen tun den anderen viel Gutes, aber sie interpretieren dies so, dass wir sie durch unseren Dienst konvertieren wollen. Sie verstehen uns einfach falsch und beschimpfen und verfolgen uns daher immer wieder, sie zerstören unsere Kirchen und zerschlagen die Heiligenfiguren. Viel Gewalt und viele Verletzte sind die Folge. Durch Argumente können wir sie leider nicht überzeugen, sie sind in ihrem Denken und ihren Vorurteilen nicht beeinflussbar. Die Menschen in Deutschland sind für andere Religionen offen, respektieren den Glauben der anderen und sind nicht voreingenommen.

Joseph Vijay Kumar Nanduri beschreibt seine Herkunft und seinen Werdegang wie folgt:

„Ich wurde 1981 als fünftes von sechs Kindern in Indien im Dorf Padatadika geboren. Mein Dorf liegt in der Nähe des Meeres in Südindien. Ich stamme aus armen Verhältnissen, meine Eltern waren Tagelöhner im Dorf. Meine Familie musste täglich um das Überleben kämpfen. Mein Vater ist schon vor 20 Jahren gestorben. Ich habe fünf Geschwister; drei Brüder und zwei Schwestern. Alle meine Geschwister können nicht lesen und schreiben, nur ich hatte Glück und durfte eine Ausbildung machen. Ich wollte schon immer gerne lernen, deshalb bin ich sehr dankbar dafür.

In meinem Dorf gab es damals eine kleine Grundschule. Zu dieser Zeit ist ein Priester aus Kerala in mein Dorf gekommen und begann, in diesem Dorf eine kleine Kirche zu bauen. Er nahm mich mit, mit sechs Jahren kam ich ins Internat und bin dort auch in die Schule gegangen. Nach der siebten Klasse kam ich ins Knaben-Priesterseminar der Region. Sieben Jahre lang studierte ich Philosophie und Theologie an der Uni in Pune in Indien. Nach dieser Ausbildung wurde ich am 16. November 2008 zum Priester geweiht und habe zwei Jahre lang in Indien als Pfarrvikar gearbeitet. Im Oktober 2012 kam ich nach Innsbruck in Tirol. Einige Monate habe ich Deutsch gelernt und nach der Deutschprüfung habe ich an der theologischen Fakultät in Innsbruck das Doktorat begonnen. Ich studierte Bibelwissenschaft mit dem Schwerpunkt Neues Testament. Ich lebte damals im internationalen theologischen Kolleg Canisianum.“

Was unterscheidet nach Ihrer Beobachtung Christen in Deutschland von Christen in Indien, vor allem auch beim Gottesdienst?

Nanduri: Bei uns in Indien nimmt die Predigt einen sehr großen Raum ein. Man benötigt viel Zeit dafür, der normale Gottesdienst am Sonntag dauert zwei oder auch drei Stunden, die Predigt ist bei uns länger als in Deutschland die gesamte Eucharistiefeier. Die Menschen in Indien denken einfach, wenn der Priester wenig oder nur kurz predigt, weiß er nicht, worüber er predigen soll. Aber wenn man oft „Halleluja“ sagt und die ganze Zeit über lobt und preist, und auf diese Weise ein oder zwei Stunden predigt, dann sind sie zufrieden und denken, ja, das ist ein guter Priester. Je länger seine Predigt ist, desto mehr wird der Priester bei uns geliebt.

Ein weiterer Unterschied ist die Musik. Die ist bei uns sehr spontan, die Jugendlichen kommen gern, sie sind allenfalls ein wenig vorbereitet, und dennoch singen sie dann gemeinsam beim Gottesdienst. In Deutschland ist alles immer gut organisiert und vorher abgesprochen. Bei uns in Indien ist nicht alles so formell. Was ich toll finde: In Indien kommen Kinder, die Jugendlichen, mittlere und ältere Leute alle gemeinsam zu einem einzigen Gottesdienst, wir trennen nicht, so wie in Deutschland, nach Gruppen. Das kennen wir in Indien nicht.

Jesus-Nachfolge heute – wie geht das?

Nanduri: Jesus-Nachfolge ist nichts Großartiges oder Spektakuläres, was äußerlich sichtbar ist, sie geschieht ganz leise und im Stillen, wo die Menschen einander lieben und im Frieden miteinander leben, wo ich mich wie Jesus in den Dienst der Menschen stelle. Das Kreuz, das auch für die Christus-Nachfolge steht und das wir in Solidarität mit den Menschen tragen müssen, ist heute leider vielen völlig fremd. Aber jeder Mensch hat sein eigenes Kreuz zu tragen, auch wenn es ganz unterschiedliche Formen haben kann. Wenn man zum Beispiel an Krebs oder einer anderen schweren Krankheit leidet, dann fällt es aus unserer heutigen modernen Sicht oft sehr schwer, darin auch einen Segen Gottes zu sehen.

Aber wenn man selbst im Leid und in der Not Gottes Segen erkennen kann, dann kann man selbst in solchen schweren Situationen noch glücklich leben. Viele sehen das Kreuz aber nicht als Segen, doch irgendwann im Nachhinein erkennt man dann vielleicht den tieferen Sinn, den Segen Gottes. Jede Krankheit, die wir erleiden müssen und jedes Leid, das wir ertragen müssen, sagt uns etwas Besonderes.

Was ist für Sie persönlich das Schönste am Christsein?

Nanduri: Dass Gott mich aus und in Liebe geschaffen hat und dass auch ich daher dazu berufen bin, in Liebe mit den Menschen umzugehen. Das muss ich nicht mit lauten Worten sagen, sondern nur mit meinen Taten. Damit ich den anderen verändern kann, muss ich bei mir beginnen.

Was bedeutet Ihnen ihr Namenspatron Joseph?

Nanduri: Ach, ich selbst bin eigentlich ein Mensch, der nur wenig spricht, und habe daher eine besondere Beziehung zum heiligen Joseph. Viele meiner Kollegen sagen immer: „Warum sprichst du denn nicht oder nur so wenig? Warum bist du immer so leise?“ Wahrscheinlich habe ich diese Persönlichkeit irgendwie vom heiligen Joseph bekommen.

Dann haben Sie es in Ihrer Heimat Indien aber schwer, wenn man dort so lange predigen muss ...

Nanduri: Nein, nein, dafür bekomme ich dann Kraft vom heiligen Joseph. Vielleicht aber wollte er ja auch daher einen anderen Weg für mich und schickte mich deshalb nach Europa. (Interview: Florian Ertl, stellv. MK-Chefredakteur)