Rom/Assisi – Der Anblick des Jungen wirkt verstörend: Ist er wirklich tot, schläft er vielleicht nur? Mit Jeans, Nike-Sneakern und Sweatshirt bekleidet liegt Carlo Acutis inmitten von Assisis Kirche Santa Maria Maggiore in einem Hochsarg. Vor der gläsernen Front drängen sich Gläubige mit Schutzmasken. Viele zücken ihr Handy, um Fotos zu machen. Einige sprechen andächtig ein kurzes Gebet.
Trotz steigender Corona-Infektionszahlen vergeht in Italien derzeit kein Tag ohne Schlagzeilen über den "Cyber-Apostel der Eucharistie". Seit Papst Franziskus im Februar ein durch ihn bewirktes Wunder anerkannte, verstärkt sich der religiöse Kult zusehends, nimmt bisweilen skurrile Züge an. Aber wer ist der Teenager überhaupt, der am Samstag in dem umbrischen Wallfahrtsort seliggesprochen wird?
Frommes Computer-Genie
Verehrer aus aller Welt hielten den Computernarren schon von klein auf für ein frommes Genie. Geboren wurde Carlo 1991 in London, wo seine Eltern aus beruflichen Gründen für kurze Zeit lebten. Er wuchs in deren Heimat nahe Mailand auf und beeindruckte früh durch eine tiefe Religiosität. So besuchte er täglich die Messe, betete regelmäßig den Rosenkranz. Von der Erstkommunion an entwickelte das Kind eine ausgeprägte Liebe zur Eucharistie, die es seine "Autobahn in den Himmel" nannte. Ihr häufiger Empfang helfe ihm dabei, "Jesus ähnlicher zu werden".
Auffällig war obendrein die Begabung für Informatik: Als Zehnjähriger schrieb Carlo Algorithmen, gestaltete Websites und Layouts für Online-Zeitungen. Als Elfjähriger begann er in versessener Detailarbeit, ein Online-Verzeichnis weltweiter eucharistischer Wunder zu erstellen. Eine daraus entwickelte Ausstellung umfasst 146 Schautafeln. Sie wurde nach seinem Tod in zahlreiche Sprachen übersetzt, in vielen Ländern gezeigt sowie als Buch veröffentlicht.
Als Carlo schließlich - viel zu jung - erfuhr, dass er unheilbar an Leukämie erkrankt war, widmete er sein restliches Leben und Leiden öffentlichkeitswirksam dem Papst und der Kirche. Es ist dieses tragische Ende, das ihn in den Augen vieler Gläubiger zu einem Heiligen machte. Er starb am 12. Oktober 2006 und wurde seinem Wunsch entsprechend in Assisi beigesetzt.
Heiligkeit im digitalen Zeitalter
Dort ist sein Leichnam seit dem 1. Oktober öffentlich aufgebahrt. Das Herz kann in einem Reliquiar in der Franziskus-Basilika bewundert werden. Für Aufsehen sorgten kürzlich Gerüchte im Internet, die nahelegten, bei der Graböffnung vor einigen Monaten sei Acutis' Körper unversehrt aufgefunden worden. Ein solcher Umstand wird traditionell als Hinweis auf die Heiligkeit eines Verstorbenen gedeutet.