Ausstellung zu Kirche und Sexualität

Blicke und Andeutungen

Das Freisinger Diözesanmuseum zeigt eine Ausstellung mit dem Titel "Verdammte Lust". Was von ihr bleibt, sind jedoch nicht die entblößten Körper.

Bei den Gemälden der Ausstellung kommt es auf die Details an. © SMB - job

Was bleibt haften von dieser kirchlichen Ausstellung, die um die „verdammte Lust“ kreist? Worüber grübelt man auf dem Nachhauseweg, wovon berichtet man Freunden begeistert noch eine Woche später? Sind es die nackten Körper, die es zuhauf zu sehen gibt, die entblößten Brüste, ja im Äußersten sogar die drei, vier erigierten männlichen Glieder, die im Verlauf des Rundgangs durch den zweiten Stock des Freisinger Diözesanmuseums zu entdecken sind?

Eher nein. Wer als Kind unserer Zeit und Medienwelt die aktuelle Sonderausstellung sieht, den vermögen Darstellungen, die nach den Maßstäben früherer Jahrhunderte als explizit, ja pornografisch gelten, nicht allzu sehr zu überraschen, geschweige denn zu schockieren. Und wer von vornherein Anstoß nimmt an den meist nur angedeuteten, nur selten wirklich freizügigen körperlichen Offenlegungen, wird wohl einen Besuch der Ausstellung ohnehin vermeiden.

Gesichtsausdrücke und Blicke

Nein, was vielmehr bleibt, sind die in den Kunstwerken festgehaltenen Gesichtsausdrücke und Blicke. Verlockende Blicke. Vielversprechende Blicke. Ängstliche Blicke. Gierige Blicke. Zärtliche Blicke. Konzentrierte Blicke. Keusche Blicke. Vor allem: vieldeutige Blicke. Zwar wandert das Auge des Betrachters un-willkürlich auch immer auf den Genitalbereich dargestellter nackter Personen, doch stellt sich schnell heraus, dass das in der Regel nicht der wesentliche Teil des Kunstwerks ist. Das vom Künstler oft zur Verdeckung der Schamgegend eingesetzte Blattwerk bleibt letztlich Staffage, eine Art erheiternder Folklore, es wirft keine Fragen auf.

Viel entscheidender sind jeweils die Gesichtspartien. Beispielsweise Evas angespannte, ernste – schuldbewusste? – Miene, als sie Adam den Apfel anbietet. Der unschuldig-fröhliche und zugleich verstörend-laszive Blick eines kindlichen Liebesengels, der direkt in die Augen des Betrachters trifft. Das sensationelle, Andrea Vaccaro (1604 – 1670) zugeschriebene Gemälde, das die zum himmlischen Chorgebet entrückte Maria Magdalena und den Reformpriester Kajetan von Thiene als Patrone für die liturgische Anbetung in einem Bild vereint: sie, in ihrer Nacktheit nur mit den eigenen langen Haaren notdürftig bedeckt, mit sanft flehendem Gestus gegen den Himmel strebend und schauend; er, etwas unterhalb offenbar fest auf dem Boden stehend, sie mit leicht geöffnetem Mund gebannt anstarrend, und als Krönung im höchsten Gewölk ein kleiner Engel, der sie beide von oben im Blick hat, die Hände zum Gebet gefaltet – oder hat er seine Hände angesichts der mit dieser Szene verbundenen Andeutungen entsetzt zusammengeschlagen?  

Darstellungen verlangen nach Deutung

Kein Zweifel: Am faszinierendsten sind unklare Darstellungen wie diese, die nach einer Deutung verlangen. Der Betrachter ist, sobald er sich auf dieses Spiel einlässt, förmlich gezwungen, das Bild oder die Skulptur innerlich zu kommentieren, sich mit mindestens einer Lesart auseinanderzusetzen – und sich dabei womöglich für eine zu entscheiden, die der Künstler gar nicht beabsichtigt hat.

Reizvoll ist es aber auch, kritische Fragen zur Ausstellung zu stellen. Ist es ein regelrechter dramaturgischer Fehler, dass gleich zu Beginn des Einführungstextes im ersten Raum das Stichwort „sexueller Missbrauch“ fällt? Im Mittelpunkt der Schau steht schließlich die Zeit von der Antike bis ins frühe 19. Jahrhundert – nicht das 20. Jahrhundert und auch nicht die Gegenwart. Die Nennung des Skandals gleich zu Beginn wirkt etwas pflichtschuldig und droht, der Ausstellung letztlich doch das Stigma des gegenwärtigen Missbrauchsskandals aufzudrücken – da wäre es vielleicht klüger gewesen, erst zum Schluss einen Bogen in die Gegenwart zu ziehen. Apropos Schluss: Die resümierende Überschrift „Es bleibt schwierig!“ am Ende der Ausstellung wirkt angesichts des Mutes, des Einfallreichtums und der Vieldeutigkeit der gezeigten Kunst merkwürdig uninspiriert. Bestätigt dieses Schlusswort nicht, dass Kirche gar nicht anders kann, als sich mit Sexualität schwerzutun?

Aber wie auch immer man zu diesen oder anderen Fragen steht: Es gibt enorm viel Schönes, Lehrreiches und Verblüffendes zu entdecken. Von jahrhundertealten Darstellungen geschlechtsloser oder gemischtgeschlechtlicher Personen (und auch halbmenschlicher Kreaturen wie Satyrn, Faunen und Engeln) über die erschreckende Szene eines sexuellen Übergriffs, meisterhaft gemalt von einer erst 17-jährigen Künstlerin, bis hin zu einem ganzen Raum voller Bildnisse des heiligen Sebastian, die eine überraschende Dimension von Homoerotik, lustvollem Leiden, ja beinahe Sadomasochismus eröffnen. Und wem am Schluss der Kopf schwirrt vor lauter lustvollen Jünglingen, unbefleckten Madonnen, Amors Liebespfeilen, Geräten zur Selbstkasteiung und unbequemen Rückfragen an den Pflichtzölibat, durchläuft diesen „heiligen Lustparcours“ einfach noch ein zweites Mal. Wie war das noch mal mit dem Sündenfall?

Die Sonderausstellung „Verdammte Lust!“ im Diözesanmuseum auf dem Freisinger Domberg ist noch bis zum 29. Mai täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Weitere Informationen unter www.dimu-freising.de

Der Redakteur
Joachim Burghardt
Münchner Kirchenzeitung
j.burghardt@michaelsbund.de