Aufregung um Eritreer an Kirchenmauer in München

Beten statt Pinkeln

Ein Facebook-Bild zeigt, wie Flüchtlinge scheinbar an eine Kirche in München urinieren. Das Foto ist echt, kein Fake. Auf einschlägigen Seiten wird es empört tausende Male geteilt. Doch Hetze bleibt Hetze, denn die Wahrheit sieht ganz anders aus.

Das Foto, mit dem auf Facebook gehetzt wird. Es soll Männer beim Urinieren an St. Gertrud zeigen. Dies entspricht aber nicht der Wahrheit, da die Männer an der Wand beten. (Bild: Facebook) © Facebook

München – Dunkelhäutige Männer (Nordafrikaner, Flüchtlinge, Muslime!?!), die an eine Münchner Kirche pinkeln. Direkt unter dem großen Holzkreuz an der Außenwand. Festgehalten von einem aufmerksamen Fotografen. Bei Facebook wird das Bild tausendfach geteilt, schließlich ist es ein weiterer Beweis für den fortschreitenden Untergang des christlichen Abendlands. „TEILEN das [sic] auch der letzte Gutmensch diese Sauerei mitbekommt“, schreibt ein User. Und: „Stellt Euch vor, was die mit uns machen würden, wenn wir selbiges an einer Moschee tun?“

 

Die Fakten hinter der Geschichte lassen das Foto aber in einem ganz anderen Licht erscheinen, das nichts mit dem Islam und Respektlosigkeiten von Flüchtlingen zu tun hat – im Gegenteil:

 

Ja, das abgebildete Gotteshaus steht in München, es ist Sankt Gertrud. Seit Januar 2009 feiern eritreische Christen ihre Gottesdienste in den Räumen der Pfarrei. Sie gehören der Eritreisch-Orthodoxen Tewahdo Ureal Kirche in München an. Und nach der Tradition der orthodoxen Christen in Eritrea „gehen die Gläubigen oft nicht in die Kirche hinein, sondern beten draußen vor der Kirche. Sie lehnen sich an die Wand des Gotteshauses und beten“, heißt es in einer Stellungnahme der katholischen Pfarrei zu besagtem Bild.

Dass die Gläubigen an der Kirchenmauer beten, ist keine Seltenheit, wie dieses Foto zeigt. (Bild: Eritreisch-Orthodoxe Gemeinde)

200 Besucher bei Gottesdiensten

Dieses Ritual bestätigte eine Verantwortliche der eritreisch-orthodoxen Gemeinde den Münchner Kirchennachrichten. „Es ist ganz normal bei uns, sich an die Wand zu lehnen und zu beten. Nie, nie, nie würde sich jemand trauen, dort zu urinieren“. Fotos, die der Redaktion vorliegen, zeigen, wie Gemeindemitglieder selbst im Regen an der Wand stehen und mit vor dem Körper verschränkten Händen beten.

Mittlerweile würden bis zu 200 Menschen sonntags um 6 Uhr in der Früh am Gottesdienst in der Kirche teilnehmen, so die Frau, die ihren Namen nicht öffentlich machen will. Sie kämen dafür sogar aus Passau oder Ingolstadt angereist. Viele davon seien unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, für die die Gemeinde nach ihrer Ankunft in München der erste Anlaufpunkt gewesen sei und die dort Halt gefunden hätten.

Feier des Patroziniums in St. Matthäus 2016 (Bild: Eritreisch-Orthodoxe Gemeinde)

Zweites Zuhause

Die Beziehungen zur katholischen Pfarrei seien sehr gut, „sie ist unser zweites Zuhause“, sagt die Frau, die selbst seit 36 Jahren in München lebt. Zur Feier des Patroziniums oder der Osternacht musste die eritreisch-orthodoxe Gemeinde zuletzt sogar in die größere Matthäuskirche ausweichen, weil bis zu 500 Menschen daran teilgenommen hätten. Immer wieder feiern beide Gemeinden ökumenische Gottesdienste. Das christliche Abendland wird hier also stärker gelebt als es seinen vorurteilbehafteten „Verteidigern“ im Internet lieb sein dürfte. (ksc)