Der bayerische Papst

Benedikt XVI. und seine Heimatliebe

"Mein Herz spricht bayerisch" - hat der emeritierte Papst von sich selbst gesagt. Sein Biograph Peter Seewald erzählt, wie tief Benedikt XVI. seine Herkunft geprägt hat.

Wurzelboden eines Jahrhunderttheologen: Papst Benedikt kniet bei seinem Bayernbesuch 2006 im Freisinger Dom vor dem Schrein des Bistumsgründers Korbinian. In Freising wurde Joseph Ratzinger zum Priester geweiht und lehrte als Professor. © Gerd Pfeiffer Gerd Pfeiffer

München - Ohne Bayern kann sich Peter Seewald Joseph Alois Ratzinger kaum vorstellen. Zu tief wurzelt der Jahrhunderttheologe und emeritierte Papst im Mutterboden seiner Heimat. Peter Seewald hat die maßgebliche Biografie über Benedikt XVI. geschrieben, ihn über viele Jahre hinweg oft tagelang interviewt. „Das Aufwachsen in dieser bayerischen Form des Katholizismus, das hat ihn geprägt“, erzählt der 67-jährige Autor und Journalist in der neuesten Folge des Podcasts „12 Momente aus 200 Jahren“.

Bayerisch geprägte Theologie

Diese Prägung sei auch in der Theologie Joseph Ratzingers zu spüren, „der sich immer als Anwalt der kleinen Leute“ und ihrer Frömmigkeit verstanden habe. „Er hat immer klar gesehen, dass der Kirche ihre ganzen Instituionen nichts nützen, wenn nicht die Menschen da sind, die sie tragen.“ Diesen einfachen Glauben wollte er „gegen die kalte Religion der Professoren verteidigen, obwohl er ja selbst Professor war“. Zu diesem Glauben gehört nicht nur der Verstand: „Dem bayerischen Stamm ist wohl gerade die Stärke der Emotion mitgegeben“, wie Joseph Ratzinger selbst formuliert hat. Seewald selbst hat immer wieder bemerkt, wie Gefühls- und Verstandestiefe bei Benedikt XVI. in einer typisch altbayerischen Mischung zusammentreffen: „Er kann ganz hoch ausgreifen, aber bei all seiner intellektuellen Klasse gibt es kaum einen Theologen, der so stark Gefühle ausdrückt, da braucht man nur in seine Texte hinein zu schauen.“

Ein emotionaler Papst

Zu dieser Emotionalität zählt auch eine gewisse „Rauflust“, die dem Theologen immer wieder vorgehalten wurde und die Seewald ebenfalls für einen bayerischen Wesenszug hält: „Er hat sich immer getraut gegen den Strom zu schwimmen und unbequem zu sein, wenn er etwas für falsch gehalten hat, da war er tapfer.“ Schon seine Jugendkameraden hätten an ihm geschätzt, dass er trotz der kirchenfeindlichen NS-Diktatur standhaft Priester werden wollte. „Genauso habe er als junger Theologe gegen etablierte Professoren „gegrantelt und diese Widerborstigkeit ist schon etwas typisch bayerisches“. Das hätten die Gläubigen auch geschätzt, als ihn Papst Paul VI. zum Erzbischof von München und Freising ernannt habe. „Tausende haben ihm damals einen Riesenempfang bereitet und zum ersten Mal ist im deutschen Fernsehen eine Bischofsweihe übertragen worden“, hebt Peter Seewald hervor. 

Kardinal Ratzinger war immer dialogfähig

Obwohl dem einst als jungen Wilden geltenden Ratzinger längst das Etikett des Konservativen angeklebt worden war. „Er hat das Erzbistum aber nicht gespalten, was viele befürchteten, und war immer dialogfähig.“ Der Biograph weiß, wovon er spricht: Als ihn der damalige Kurienkardinal Ratzinger zum ersten Interview empfing, war Seewald seit etlichen Jahren aus der Kirche ausgetreten. Dass auf Ratzingers kurze Amtszeit als Erzbischof ein Schatten fällt, weil damals ein pädophiler Priester aus einer anderen Diözese aufgenommen und nicht nur in die Therapie, sondern auch in die Seelsorge geschickt wurde, hält Seewald für „Quatsch“. Natürlich stehe „außer Frage“, dass in den 1970er und 1980er Jahren „große Fehler bei diesem Thema gemacht, Verbrechen nicht gesühnt worden sind und die Kirche den Opfern nicht gerecht geworden ist“.

Benedikt XVI. hat sich nie als Manager gesehen

Dafür sei aber Ratzinger nicht verantwortlich zu machen. Bei der entsprechenden Personalsitzung sei der damalige Erzbischof nach seinen Recherchen gar nicht dabei gewesen, die Entscheidung hätten andere getroffen. „Zudem hat sich Ratzinger immer als Hirte und nicht als Manager gesehen.“ Als Benedikt XVI. 2006 noch einmal seine Heimat bereiste waren diese Vorwürfe noch unbekannt. Und wieder begrüßten ihn die Gläubigen begeistert: „Er war dankbar, die Menschen zu sehen, die ihm so verbunden waren und bei diesem Heimatbesuch da ging halt das Herz auf“, erinnert sich Seewald. Und auch daran, dass der damalige Papst bei seinem Abschiedsauftritt im Freisinger Dom ein Vermächtnis hinterlassen hat. Als er seine vorbereite Rede zur Seite legte und frei vor den eingeladenen Klerikern sprach: Von der Mühe den Glauben in einer glaubenslosen Zeit weiterzutragen und was der Welt fehlte, ohne diese Mühe.  Insbesondere seiner altbayerischen Heimat, die von dieser Glaubenstradition bis heute geformt ist.

Buchtipp

Peter Seewald: Benedikt XVI. Ein Leben

Peter Seewald "gilt als einer der besten Kenner von Papst Benedikt XVI.", stellte die Wochenzeitung Die Zeit fest. Nun legt Peter Seewald die lang erwartete große Biographie des emeritierten Papstes Joseph Ratzinger vor. Er zeichnet den Werdegang des späteren Papstes Benedikt XVI. von dessen Geburt in Marktl am Inn bis zu seinem Rücktritt vom Amt des Papstes nach.

38 € inkl. MwSt.

Hier bestellen

Podcast-Tipp

12 Momente aus 200 Jahren

Im Münchner Dom erinnert heute noch eine Marmortafel mit goldenem Schriftzug an die Neuordnung der bayerischen Bistümer. 1821 wurde sie vollzogen. Nirgendwo führte sie zu so umwälzenden Veränderungen wie im damals neu errichteten Erzbistum München und Freising, die heute noch fortwirken. Ein Podcast über Zollschranken gleich hinter der Münchner Stadtgrenze, der Suche nach einer neuen Kathedrale, starke Katholikinnen und Bauboom in den 1950er Jahren.

> zur Sendung