Hilfe für Menschen in Not

Bei der Bahnhofsmission ist immer jemand ansprechbar

Über 400 Menschen besuchen täglich die ökumenische Sozialstelle am Münchner Hauptbahnhof. Für den großen Andrang hat die Leiterin Bettina Spahn eine Erklärung.

Bettina Spahn und ihr Team sind für die Menschen am Münchner Hauptbahnhof da. © SMB/Ertl

Täglich verzeichnen Bettina Spahn (57) und ihr Team (25 Haupt- und 140 Ehrenamtliche im Alter von 18 bis 75 Jahren) in der Bahnhofsmission an Gleis 11 des Münchner Hauptbahnhofes rund 400 bis 500 Klienten-Kontakte.

mk online: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“, heißt es im 25. Kapitel des Matthäusevangeliums. Hat man eine derartige Bibelstelle bei der alltäglichen Arbeit in einer Einrichtung wie der Bahnhofsmission vor Augen?

Bettina Spahn: Nein, vor Augen nicht, dafür ist im Alltag nicht die Zeit und auch nicht der Raum. Bahnhofsmission bedeutet konkrete Arbeit und Hiersein an diesem Ort. Nichtsdestotrotz ist es für mich aber so, dass ich diese Bibelstelle ganz gewiss in meinem Herzen trage.

In der gleichen Passage heißt es kurz vorher: „Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben“ – Werke der Barmherzigkeit, die bei euch an Gleis 11 ganz praktisch wahrgenommen werden …

Spahn: Ja, ich denke, in der Bahnhofsmission erfolgt tatsächlich eine Verortung dieser Werke der Barmherzigkeit, sowohl der konkreten als auch der nicht konkreten. Ich habe im Jahr der Barmherzigkeit 2015/16 hierüber lange meditiert. Man kann dies wirklich über unsere Arbeit legen.

Ist dies den Mitarbeitenden auch so bewusst?

Spahn: Teils, teils. Wir sind ein buntes Team, auch was die gelebte Religiosität und Spiritualität betrifft. Ich glaube aber, dass niemand zufällig hier ist, sondern dass das Wie unserer Arbeit für alle durchaus der Ausdruck einer grundsätzlichen und zutiefst menschlichen Haltung ist.

In der bloßen Geste der Brot- und Teeausgabe steckt aber noch viel mehr als die Befriedigung eines körperlichen Hunger- oder Durstgefühls. Hier geschieht ja mehr: eine Wahrnehmung des Gegenübers auf Augenhöhe, Freundlichkeit, Menschlichkeit … Wie wichtig ist genau diese Komponente für die Menschen, die zu euch kommen?

Spahn: Die ist existenziell wichtig und dies haben wir tatsächlich seit Beginn der Corona-Pandemie mehrfach im Team thematisiert. Wir haben uns dabei gefragt, warum die Menschen zu uns kommen und ausgerechnet dieses Schmalz- oder Margarinebrot haben wollen, auch zu Zeiten, in denen eine Suppenküche geöffnet hat und es somit anderswo auch ein hochwertigeres Angebot gibt, was das Essen betrifft. Und trotzdem kommen sie zu uns. Die Zahlen haben auch nicht abgenommen, als es noch mehr Angebote gab. Es liegt wohl daran, dass wir immer da und ansprechbar sind. Es hat meiner Meinung nach auch etwas mit unserem 24/7/365 zu tun (Anm. der Red.: Die Bahnhofsmission ist täglich 24 Stunden an allen sieben Tagen der Woche und an 365 Tagen im Jahr, also rund um die Uhr, geöffnet). Das gibt Sicherheit und deswegen kommen die Menschen. Und genau bei der Brot- und Teeausgabe gibt es diesen Moment der Hinwendung, bei dem ich den anderen ansehe, ihm in die Augen schaue. Das ist das entscheidende Moment.

Auf welche Weise noch verschenkt ihr in der Bahnhofsmission so etwas wie menschliche Wärme und Zuwendung?

Spahn: Ich habe gemerkt, und auch das haben wir immer wieder im Team gemeinsam besprochen, dass sich dieses gegenseitige Gegenüber immer mehr in einem Miteinander auflöst, auch und gerade in der Corona-Zeit. Wir haben wirklich das Gefühl, dass wir alle gemeinsam in einem Boot sitzen. Es gibt dann nicht mehr dieses Draußen und Drinnen, sondern letztlich ein gemeinsames Unterwegssein in dieser Zeit.

Aber rein finanziell rechnet sich ein derartiges Handeln nicht, im Gegenteil, ihr habt sogar noch Kosten. Inwiefern macht es sich für euch dennoch bezahlt, zum Beispiel auch für die vielen ehrenamtlichen Mitarbeitenden?

Spahn: Es geht sich aus. Und wir erleben hier schon immer wieder, ich sage mal, so kleine Wunder, auch, was die Spendenbereitschaft betrifft. Es kam und kommt immer wieder etwas rein, ohne dass wir Akquise betrieben oder uns groß überlegt hätten, wie wir uns sichtbar machen könnten. Unsere Präsenz war wohl einfach von außen wahrnehmbar. Und es hat immer gereicht, und das ist dann ja auch in Ordnung, mehr braucht es nicht.

Wie würden Sie diesen urchristlichen Auftrag, den Sie in der Bahnhofsmission erfüllen, einem religiös eher „unmusikalischen“ Menschen beschreiben?

Spahn: Wer sich hierfür interessiert, der kommt vorbei und arbeitet bei uns mit. Der tut etwas und spürt dabei auch etwas. Ich sage dies auch zu jedem, der zu uns kommt, egal ob haupt- oder ehrenamtlich: „Am besten hörst du auf dein Bauchgefühl.“ Wenn es sich richtig anfühlt, dann gibt es auch irgendwie kein Zurück mehr. Dann ist man einfach da und dann ist die Bahnhofsmission auch ein Ort, der nicht von Depression geprägt ist und immer nur dunkel und schwierig ist. Dann nämlich stellt sich das Gefühl ein, dass auch die ganz schwierigen Dinge immer irgendwie gehalten sind. (Interview: Florian Ertl, stellv. Chefredakteur der Münchner Kirchenzeitung)