Telefonseelsorge wird 60

Bei Anruf Hilfe

Etwa zwei Millionen Menschen haben 2014 bei der Telefonseelsorge angerufen. Einsamkeit, Depressionen und Beziehungskrisen sind Dauerthemen. Doch in den vergangenen Jahren sind neue Probleme dazu gekommen.

Knapp zwei Millionen Menschen haben 2014 bei der Telefonseelsorge angerufen - oft in Notsituationen. (Bild: imago) © imago

Bonn – "Sorgen kann man teilen", sagt Annelie Bracke. Seit mehr als 20 Jahren engagiert sich die Kölnerin bei der katholischen Telefonseelsorge, derzeit als Leiterin. "Sorgen kann man teilen", so lautet auch das derzeitige Motto der von beiden Kirchen betriebenen bundesweiten Telefonseelsorge, die im kommenden Jahr ihr 60-jähriges Bestehen feiert. Das Jubiläumsjahr beginnt am Montag mit einem Aktionstag, bei dem mehrere Bischöfe und Mitglieder von Kirchenleitungen einige der 105 Einrichtungen bundesweit besuchen.

Im Jahr 2014 gab es rund 1,9 Millionen Anrufe. Geduld, Einfühlungsvermögen und Zuhören sind gefragt: "Mittlerweile höre ich mehr die Aussagen zwischen den Zeilen, die Zwischentöne", berichtet Bracke über ihren großen Erfahrungsschatz. "Manchmal, in der ersten Sekunde, ohne dass der Anrufer etwas gesagt hat, spüre ich schon, wenn es um eine Lebenskrise geht. Dann bin ich hellwach, egal wie müde ich vorher war. Besonders, wenn mich Anrufe von Menschen erreichen, die sich das Leben nehmen möchten."

Immer ist jemand erreichbar

Einsamkeit, schwere Krankheiten, Beziehungskrisen und Depressionen sind Dauerthemen. In den zurückliegenden Jahren nehmen laut Bracke insbesondere Probleme am Arbeitsplatz, Mobbing, Burnout oder Armut als Anrufgründe zu. Wer einfühlsam zuhören und Unterstützung geben wolle, müsse selber "stabil und belastbar" sein, so Bracke. Mehr als 8.500 Ehrenamtliche garantieren zusammen mit rund 180 Hauptamtlichen, dass die Telefone rund um die Uhr besetzt sind.

Die Verantwortlichen legen großen Wert auf eine solide Ausbildung und Begleitung der Berater. Es geht vor allem darum, eigene Gefühle besser wahrzunehmen, um angemessen auf andere reagieren zu können. Erst im zweiten Schritt geht es um Techniken der Gesprächsführung. Die Ausbildung umfasst 120 Zeitstunden innerhalb eines Jahres. Im Schnitt sind die Helfer dann 15 Stunden pro Monat im Einsatz, manchmal auch im Nachtdienst.

Neue Ehrenamtliche gewinnen

Das Jubiläumsjahr wollen die Verantwortlichen auch nutzen, um weitere Ehrenamtliche zu gewinnen. "Bislang haben wir eine ausreichende Zahl an Mitarbeitern gefunden", sagt Bracke. "Trotzdem brauchen wir, um den Iststand halten zu können, in jeder unserer Einrichtungen einen Ausbildungskurs von zehn neuen Teilnehmern pro Jahr." Sie legt Wert darauf, dass die anspruchsvolle Tätigkeit für die Helfer auch persönlichen Gewinn bringt. "Im Schnitt engagieren sich die Berater neun Jahre bei uns", hat sie errechnet. "Sehr viele bleiben auch länger."

Es war die Sorge um lebensmüde Menschen, die zur Gründung der ersten Telefonseelsorgeeinrichtung führte. Die Idee, Menschen durch das Telefon in akuten Notsituationen zu helfen, holte der evangelische Pfarrer, Arzt und Psychotherapeut Klaus Thomas aus England nach Deutschland. In London hatte 1953 ein Pfarrer namens West eine Kleinanzeige geschaltet und an die Leser appelliert: "Bevor Sie sich das Leben nehmen, rufen Sie mich an!"

Heute wird auch per Chat beraten

1956 richtete Thomas in Berlin die "Ärztliche Lebensmüdenbetreuung" ein und warb um das Leben von Menschen, die sich selbst aufgegeben hatten. Bereits in den 1980er Jahren waren die Seelsorger am Telefon auch in ländlichen Gebieten Westdeutschlands nahezu flächendeckend zu erreichen. Seit 1997 konnten Anrufe gebührenfrei geführt werden, weil die Telekom die Kosten übernimmt.
Heute ergänzen Beratungen per Internet und im Chat das Angebot der Telefonseelsorge. Bezahlt wird das Angebot vor Ort weitgehend aus Kirchensteuern – und ist vielfach in Trägerschaft beider Kirchen. "Hier funktioniert die Ökumene schon seit Jahrzehnten sehr gut", freut sich Bracke.
Für sie ist "unsere Tätigkeit eine zutiefst christliche. Das Religiöse beginnt für mich nicht da, wo man über Gott spricht, sondern, wo man da ist für den Anderen. Mit meiner Gesprächsbereitschaft signalisiere ich, dass der andere wichtig ist und geliebt wird." (kna)