Kardinal Müller über „Iuvenescit Ecclesia“

Aufeinander zugehen

Die Lokalkirchen sollten für neue Gemeinschaften offen sein, fordert Kardinal Gerhard Müller mit Blick auf das Schreiben „Iuvenescit Ecclesia“ der Glaubenskongregation. Das Zugehen aufeinander in der gemeinsamen Liebe zum Herrn und zu seiner Kirche sei ein Gebot der Stunde, so der Präfekt der Behörde.

Kardinal Gerhard Müller bei der Vorstellung des Schreibens „Iuvenescit Ecclesia“. (Bild: imago/ZUMA Press) © imago/ZUMA Press

mkn: Herr Kardinal, die Glaubenskongregation hat am 14. Juni ein neues Schreiben mit dem Titel „Iuvenescit Ecclesia“ veröffentlicht. Warum dieser Titel?

MÜLLER: Der Titel bedeutet „Die Kirche wird verjüngt“. Auch wenn die Kirche schon zweitausend Jahre alt ist, so bleibt sie doch jung. Denn der Heilige Geist leitet sie allezeit „durch die verschiedenen hierarchischen und charismatischen Gaben“, wie das Zweite Vatikanische Konzil lehrt. Diese Gaben tragen auch heute dazu bei, dass die Kirche erneuert und verjüngt wird.

mkn: Was sagt Papst Franziskus zu diesem Dokument?

MÜLLER: Der Heilige Vater hat das neue Schreiben am 14. März approbiert. Er ist ja selbst Jesuit und weiß, wie wichtig das Ordensleben für die Kirche war und ist. Auch die neuen Gemeinschaften und Bewegungen weiß er zu schätzen. Denn sie sind Gaben des Heiligen Geistes, die zur Verlebendigung des Glaubens im Volk Gottes beitragen und den missionarischen Schwung der Kirche stärken. Genau das will der Papst: eine lebendige und missionarische Kirche!

mkn: Manchmal hat man den Eindruck, dass gewisse Bewegungen stark auf ihre eigene Identität bedacht sind, der Papst aber dazu aufruft, vor allem an die Armen, die Notleidenden und die Menschen am Rand der Gesellschaft zu denken.

MÜLLER: Nur wer eine klare Identität und Überzeugung hat, kann auf die Mitmenschen zugehen. Nur wer Jesus kennt und liebt, kann ihn anderen nahebringen. Der Heilige Vater möchte nicht, dass wir auf unsere christliche Identität verzichten, sondern dass wir die Botschaft des Evangeliums anderen Menschen bringen – durch unser Leben und, wenn nötig, auch durch unser Wort, wie er einmal unter Anspielung auf den heiligen Franziskus gesagt hat.

mkn: Das Schreiben „Iuvenescit Ecclesia“ zitiert an vielen Stellen Johannes Paul II. und Benedikt XVI. Hat Papst Franziskus einen anderen Zugang zu den neuen Gemeinschaften und Bewegungen?

MÜLLER: Jeder Papst hat seine eigenen Gaben und Präferenzen. Das ist gut und wichtig. Papst Franziskus schätzt die Neuaufbrüche in der Kirche wie seine Vorgänger. Er betont, dass es zwischen Amt und Charisma, zwischen der institutionellen Kirche und neuen Gemeinschaften und Bewegungen keinen Gegensatz, sondern „Harmonie“ geben muss – so wie es zwischen Jesus Christus und dem Heiligen Geist kein Gegeneinander, sondern ein Miteinander gibt.

mkn: Sagt das neue Schreiben etwas darüber, wie diese „Harmonie“ hergestellt und bewahrt werden kann?

MÜLLER: Ja, neue Gemeinschaften und Bewegungen müssen von der Kirche anerkannt werden. Dazu haben wir acht Kriterien formuliert, die den Bischöfen in diesem Prozess der Unterscheidung helfen können. Grundlegend ist die Bereitschaft, sich in die Lokalkirche einzugliedern und den Kontakt mit den Verantwortlichen vor Ort zu pflegen. Die Lokalkirchen müssen aber auch für neue Gemeinschaften offen sein. Das Zugehen aufeinander in der gemeinsamen Liebe zum Herrn und zu seiner Kirche ist ein Gebot der Stunde. Gemeinsam sind wir stark. (Interview: MK)