Sankt Willibrord in München

Altkatholiken: "Keine konservative Splittergruppe"

Seit 150 Jahren existiert die altkatholische Kirche, doch in vielen Punkten wirkt sie zeitgemäßer als die römisch-katholische. Prominente Übertritte in den vergangenen Monaten machten die kleine Religionsgemeinschaft bekannter. Ein Besuch in der Münchner Pfarrkirche Sankt Willibrord am Sendlinger Tor.

Tagesgebet, Lesung, Evangelium: Auch das Lesejahr der Altkatholiken sei nahezu identisch mit dem der römisch-katholischen Kirche. © doidam10 - stock.adobe.com

München – Wer sich in den Sonntagsgottesdienst der altkatholischen Gemeinde in München setzt, merkt auf den ersten Blick vermutlich keinen Unterschied zur römisch-katholischen Eucharistiefeier. „Magnificat anima mea dominum“, singen die 25 Gottesdienstbesucher die beliebte Taizé-Melodie von Jacques Berthier. Tagesgebet, Lesung, Evangelium: Auch das Lesejahr ist nahezu identisch mit dem der katholischen Kirche, erklärt Pfarrer Siegfried Thuringer. Man habe aber zum Beispiel mehr Eucharistiegebete. „Durch ihn und mit ihm und in ihm…“ In der römisch-katholischen Kirche sind diese Worte am Ende des Hochgebets den Geistlichen vorbehalten, in St. Willibrord spricht sie die ganze Gemeinde zusammen. Dann stellen sich die Feiernden im Kreis um den Altar und empfangen die Kommunion in den beiden Gestalten von Brot und Wein.

Priester dürfen heiraten

In seinem grünen Messgewand ist Thuringer nicht von anderen Geistlichen zu unterscheiden. Doch an seiner Hand blitzt ein Ehering. Bis 1995 war er römisch-katholischer Priester im Bistum Passau. Heute ist er verheiratet und hat zwei Kinder. Als Pfarrer ist er der einzige hauptamtliche Seelsorger der altkatholischen Gemeinde in München. Finanziert durch Kirchensteuern, die die Altkatholiken genauso wie die anderen Kirchen erheben dürfen. Die restlichen Priester und Priesterinnen der Gemeinde sind ehrenamtlich aktiv. „Dass die meisten noch einen Hauptberuf haben, bringt andere Perspektiven in den Gottesdienst“, lobt ein Gläubiger. Rund 730 Mitglieder zählt die Münchner Gemeinde, etwa zwei Drittel davon sind Konvertiten. Anneliese Harrer trat 1975 über, nachdem sie sich in einen Kaplan verliebt hatte. „Weil wir nicht Pfarrer und Haushälterin werden wollten, sind wir konvertiert und haben geheiratet.“ Danach wurde er altkatholischer Priester und sie arbeitete für die Gemeinde.  

Keine Piusbrüder

In der altkatholischen Kirche müssen Priester nicht zölibatär leben. Auch Frauen können die Weihe empfangen. Außerdem dürfen wiederverheiratete Geschiedene an der Eucharistie teilnehmen und homosexuelle Paare sich trauen lassen. Vieles, was sich Katholiken schon lange von ihrer Kirche wünschen, ist hier umgesetzt. Das hat auch Benedikt Löw überzeugt. Eigentlich wollte der 32-jährige römisch-katholischer Seelsorger werden, doch dann kamen das Theologiestudium und das Priesterseminar. „Da hat ein rauer Wind geweht“, erinnert er sich, „eher rückwärtsgewandt als zukunftsweisend.“ Als weltoffen erzogenen Christen habe ihn dort vieles verstört. Nach knapp zwei Jahren bricht er deshalb die Ausbildung ab und überlegt, aus der Kirche auszutreten. Doch er fürchtet sich vor spiritueller Heimatlosigkeit. Als er kurz davor ist, evangelisch zu werden, stößt er durch einen Freund auf die Altkatholiken. Der Name schreckt ihn zunächst aber noch ab. „Ich dachte zuerst, das wäre eine freakige, konservative Splittergruppe wie die Piusbrüder.“ Doch schon nach dem ersten Gottesdienstbesuch fühlt sich Löw in der Gemeinde willkommen.

„Start-up seit 150 Jahren“

Anders als der Name vermuten lässt, ist die altkatholische Kirche noch jung. Sie entstand im Zuge des Ersten Vatikanischen Konzils. Gegründet von Katholiken, die Beschlüsse wie die Unfehlbarkeit des Papstes nicht mittragen wollten. Stattdessen behielten sie die „alte“, vorkonziliare Kirche und entwickelten sie weiter. „Start-up seit 150 Jahren“, heißt es auf der Homepage der Kirche. 1872 wurden die ersten Gemeinden gegründet. Knapp 15.000 Altkatholiken gibt es heute im deutschlandweiten Bistum. In den vergangenen Jahren kamen auch prominente Katholiken wie der ehemalige Prior des Kloster Andechs, Anselm Bilgri, oder der Ex-Generalvikar des Bistums Speyer, Andreas Sturm, hinzu. Gerade das Mitbestimmungsrecht aller Gläubigen macht die altkatholische Kirche interessant. „Bei uns wird im Grunde alles gewählt“, erklärt Thuringer. Auch er als Pfarrer. 

Keine Alleingänge von Pfarrern

Außerdem wählt die Gemeindeversammlung den Kirchenvorstand und die Abgeordneten für die Landessynode. Dieses Kirchenparlament wählt wiederum die Synodalvertretung. Das Gremium bestehend aus vier Laien, zwei Priestern und dem Bischof und leitet gemeinsam das Bistum. Alle Stimmen zählen dabei gleich viel. Auch auf der Ebene der Gemeinden wird so verfahren. „Der Pfarrer allein kann Entscheidungen des Kirchenvorstands also nicht blockieren“, erklärt Thuringer. Dahingegen sind zum Beispiel Beschlüsse des Pfarrgemeinderates in katholischen Gemeinden für Pfarrer nicht bindend. Er kann sich entscheiden, dem Rat des Gremiums nicht zu folgen. „Er ist damit im Recht“, weiß Thuringer, „ob es klug ist, ist eine andere Frage.“

Altkatholiken sehen sich nicht als Konkurrenz

Derartige Alleingänge sind in der altkatholischen Kirche nicht möglich. Alles einfacher macht die Synodalität trotzdem nicht. Sie ist harte Arbeit und dauert. So war zum Beispiel der Einführung der Frauenordination ein mehr als zwanzigjähriger Prozess vorangegangen. Benedikt Löw warnt daher davor, in der altkatholischen Kirche nur das gelobte Land für frustrierte katholische Reformer zu sehen: „Das sind intensive und auch anstrengende Prozesse, die man lernen muss.“ Trotzdem will Löw genau das tun: Nach seinem Übertritt befindet er sich inzwischen in der Ausbildung zum altkatholischen Pfarrer. Als Konkurrenz zum katholischen Erzbistum sehen sich die Altkatholiken aber nicht. Zwar haben sich die Übertritte in jüngster Zeit vervielfacht. In der Summe blieben sie aber auch in den vergangenen beiden „Rekordjahren“ mit durchschnittlich 30 Konversionen überschaubar. 

Der Redakteur und Moderator
Korbinian Bauer
Münchner Kirchenradio
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