Schule und Corona

„Alle haben an einem Strang gezogen“

Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf sind von der Pandemie besonders betroffen. Christiane Simbürger, Sonderschulkonrektorin an der Adolf-Kolping-Berufsschule München, zieht im Interview eine positive Zwischenbilanz und hofft auf eine schwache vierte Welle.

Christiane Simbürger © Hasel/SMB

mk online: Was war für Sie an der Adolf-Kolping-Berufsschule im Lockdown die größte Herausforderung?

Christiane Simbürger: Das war sicher der Distanzunterricht. Die Frage stellte sich, wie wir die Jugendlichen zuhause versorgen können. Für uns Lehrer hat das bedeutet, dass wir unsere Art des Unterrichtens vollständig umstellen mussten. Die Arbeitsblätter für zuhause mussten in einfacher Sprache formuliert werden und Anleitungen für die Eltern enthalten, damit sie ihre Kinder beim Lernen unterstützen konnten. Dann ging es darum herauszufinden, für wen der rund 1480 Schülerinnen und Schüler digitales Homeschooling sinnvoll war: welcher Schüler braucht ein Gerät, und hat er überhaupt einen Internetzugang zuhause?

Unsere jungen Lehrkräfte sind auch in die Asylbewerberheime gegangen, wo unsere unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge untergebracht sind, und haben dort den Jugendlichen die Programme auf ihr Handy gespielt und mit ihnen Orte gesucht, wo es frei verfügbares WLAN gibt. Außerdem haben uns die Ausbildungsbetriebe unterstützt. An den Tagen des Distanzunterrichts sind viele Jugendliche in die Betriebe gefahren, haben sich dort an einen Computer gesetzt und konnten so am digitalen Unterricht teilnehmen. Insgesamt haben in der Coronakrise vom Kolping-Bildungswerk über die Lehrer bis hin zu den Ausbildern und Sozialpädagogen in den Unternehmen alle an einem Strang gezogen, um unsere Jugendlichen gut durch die Pandemie zu bringen.

Für Förderschüler ist die persönliche Ansprache besonders wichtig. Das war im Lockdown nur eingeschränkt möglich. Wie sind Sie damit umgegangen?

Simbürger: Ja, das stimmt. Unsere Jugendlichen leben von unserer Beziehungsarbeit. Ich habe im vergangenen Schuljahr vier Klassen gehabt, und dort gab es zwei Jugendliche, die sich selbst als psychisch gefährdet eingestuft haben. Die haben sich zum Glück an uns gewendet. Wir haben uns dann mit ihnen bei einem Spaziergang getroffen, haben die Probleme angesprochen und dafür gesorgt, dass die Betroffenen die Unterstützung bekommen, die sie benötigen.

Was sich in dieser Zeit generell verändert hat, ist der Austausch mit den Eltern. Der war auf dem Höhepunkt der Pandemie so intensiv wie nie zuvor. Man hat mit den Erziehungsberechtigten wie in einer Partnerschaft auf Augenhöhe gelebt. Wenn Eltern mich besorgt angerufen haben, dass ihr Kind einfach nur noch im Bett liegen bleibt, dann habe ich mit den Eltern Einzelstunden vereinbart, an denen der Schüler bei mir in der Schule erscheinen musste und allein mit Anleitung gearbeitet hat. So haben wir einige Schüler gut durch die schwierige Zeit gebracht.

Wie schließen Sie die Lernlücken aus dem vergangenen Schuljahr?

Simbürger: Wir machen das vor allem mit Differenzierung im Unterricht. Da gibt es zu Beispiel Arbeitsblätter in verschiedenen Schwierigkeitsgraden. Und im Lehrerteam schauen wir, wer die Schwächeren sind. Die nehmen wir dann heraus, so dass wir mit ihnen Lehrstoff nacharbeiten können. Es gibt zudem in den Zehner-Jahrgangsstufen einige Schüler, bei denen mit den Betrieben vereinbart wurde, dass sie das Schuljahr einfach wiederholen. Auch die Schüler im Berufsvorbereitungsjahr, die besonders betroffen sind, haben die Möglichkeit zu wiederholen. Und wir haben unsere Neustart-Klassen für Jugendliche, denen bestimmte Schlüsselqualifikationen fehlen. Wir haben also eine große Palette an Eingriffsmöglichkeiten, so dass sich die Lerndefizite in einem überschaubaren Rahmen bewegen.

Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf das aktuelle Schuljahr?

Simbürger: Ich hoffe, dass es nun besser wird und die vierte Welle uns nicht so stark erwischt wie die letzten, und die Jugendlichen wieder zu einem normalen Alltag zurückkehren können. Denn unsere Schüler brauchen die sozialen Kontakte wirklich sehr dringend. Es wäre wichtig, dass wir wieder dauerhaft Angebote durchführen können wie zum Beispiel den offenen Unterricht im Berufsvorbereitungsjahr. Da bieten wir den Schülern normalerweise Musik- und Taekwondo-Kurse an oder führen Erlebnispädagogik außerhalb der Schule durch. Wir alle wünschen uns einfach unser Schulleben zurück: dass man Beziehungsarbeit wieder erleben kann und dadurch auch Lebensfreude gewinnt.

Der Autor
Paul Hasel
Radio-Redaktion
p.hasel@michaelsbund.de