Zwischen München und Prag

Abtei Venio erhält neue Äbtissin

Schwester Francesca Šimuniová wird am 13. Februar von Kardinal Reinhard Marx zur Äbtissin der Abtei Venio geweiht. Im Interview erzählt die Tschechin von ihrem Glauben und ihren Plänen für ihr neues Amt.

Schwester Francesca Šimuniová sieht Ökumene als ihr großes Thema. © Martina ?eho?ová, freie Vereinigung christlicher Fotografen „?lov?k a víra“ („Mensch und Glaube“

mk online: Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Wahl zur Äbtissin. Kam sie überraschend?

Schwester Francesca Šimuniová: Ja, auf jeden Fall. Ich glaube, das kommt immer überraschend ...

Sie sind 47 Jahre alt. Dass eine Tschechin in diesem Alter der katholischen Kirche, ja sogar einer Ordensgemeinschaft angehört, ist ungewöhnlich. Mögen Sie kurz Ihre Glaubensbiographie schildern?

Schwester Francesca: Die Eltern meiner Mutter waren konfessionell gemischt. Meine Mutter und ihre Geschwister wurden evangelisch getauft. Mein Papa stammte aus der im Vergleich zu Böhmen deutlich katholischeren Slowakei und ist mit 17 Jahren Kommunist geworden. Meine ältere Schwester und ich wurden als kleine Kinder evangelisch getauft. Als ich ungefähr sieben Jahre alt war, kam ein junger Mann mit langen Haaren, Jeans und Lennon-Brille zu uns und stellte sich als der neue evangelische Pfarrer vor. Meine Mutter hat daraufhin begonnen, mit uns den Sonntagsgottesdienst in der Villa der Pfarrersfamilie am Rande meiner Heimatstadt Brandýs nad Labem zu besuchen. Da war ich zum ersten Mal in einer Kirchengemeinde. Vorher hatte ich nie Gebet oder Gottesdienst erlebt. Das war wirklich eine große Überraschung, dass wir plötzlich eine christliche Familie sind.

Und wie ging es anschließend weiter?

Schwester Francesca: Ich bin bis zur Konfirmation in dieser Gemeinde geblieben. Dann bin ich auf die Mittelfachschule in Prag gegangen und habe angefangen, mich philosophisch-existentiell mit dem Sinn des Lebens und Gott zu beschäftigen, und habe den Kontakt zu jungen Protestanten in Prag gesucht und gefunden.

Wie kam es dazu, dass Sie in einen katholischen Orden eingetreten sind?

Schwester Francesca: Das war ein langer Weg. Ich habe nach meinem Studium eine lutherische Heimvolkshochschule in Hermannsburg in Niedersachen besucht, wo es jeden Tag Andachten gab, an denen ich – ich glaube, als Einzige aus dem Kurs – das Bedürfnis hatte teilzunehmen. Dort habe ich bereits die Erfahrung gemacht, in einer Gruppe zu leben, zu lernen, zu arbeiten und zu beten. Diese war dann noch intensiver in einem Missionsseminar in derselben Stadt. Dort hatte ich Erlebnisse, die ich als echte Gottesbegegnungen bezeichnen kann. Dann bin ich für ein Jahr als Missionarin in eine lutherische Gemeinde in Sibirien gegangen. Das war eine sehr wichtige Erfahrung für mich, was meine Gottesbeziehung und mein Gottvertrauen angeht. 2001 hatte ich die Möglichkeit, eine internationale Schule in Dänemark zu besuchen. Dort waren Menschen aus 40 Ländern auf allen Kontinenten. Das hatte mit Kirche überhaupt nichts zu tun und ich habe gemerkt, dass mir das wirklich fehlt und ich nicht glücklich bin. Ich wusste, dass ich nicht mehr leben möchte, ohne dass ich zur Kirche gehen kann. Danach habe ich angefangen, bei der Caritas in Tschechien zu arbeiten. So bin ich als Protestantin, die viele Vorurteile gegenüber der katholischen Kirche hatte, zur Messe gekommen. 2003 bin ich nach Prag gezogen und habe eine evangelische Gemeinde gesucht, bin aber „zufällig“ auf die katholische Studentengemeinde, die Salvatorgemeinde, gestoßen. Das war dann auch mein Weg ins Kloster, denn ich wusste: Ich liebe die Messe.

Wie entstand der Kontakt zur Abtei Venio?

Schwester Francesca: Auch über die Salvatorgemeinde. Einer der Kapläne hatte Kontakt zur Prager Benediktiner-Abtei Brevnov und bot dort eine „Ora et labora“-Woche an. Das hat mich angesprochen – diese Stille, der Rhythmus und das Gebet. Zum Schluss erwähnte dieser Kaplan, dass es tschechische Benediktinerinnen gebe, die in München lebten ...

Sie sind jetzt die erste Tschechin an der Spitze dieser derzeit 20 deutschen und tschechischen Benediktinerinnen. Wie wird Ihre Nationalität Ihre Amtsführung beeinflussen?

Schwester Francesca: Da gibt es natürlich einen Kulturunterschied. In Tschechien laufen Dinge manchmal deutlich spontaner und entspannter ab als in Deutschland. Ich bin es allerdings von meiner Arbeit bei „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ gewöhnt, Termine aus Berlin schon zwei Jahre im Voraus zu bekommen. Das war am Anfang, in den 1990er Jahren, wirklich ein Kulturschock, inzwischen werden Termine auch in Tschechien anders gehandhabt. Aber ich plane wirklich nicht fünf Jahre in die Zukunft. Ich habe das Gefühl, dass ich die besten Ideen sowieso im letzten Moment habe. Das schreibe ich dann dem Heiligen Geist zu (lacht).

Wie wollen Sie den Spagat zwischen den Klöstern in München und Prag ganz praktisch bewerkstelligen?

Schwester Francesca: Das ist eine grundsätzliche Frage für uns alle. Die Gemeinschaft in München ist es gewöhnt, die Oberin dort zu haben – und die Gemeinschaft in Prag nicht. Jetzt muss ich das gemeinsam mit den Schwestern in München neu formatieren – in dem Sinne, dass ich sicher mehr in Prag sein möchte, als es meine Vorgängerinnen waren. Ein Viertel der Gemeinschaft lebt dort. Ich müsste also mindestens ein Viertel des Jahres dort sein. In München sind allerdings die ältesten und die jüngsten Schwestern, also die Gruppen, die besondere Zuwendung brauchen.

Sie haben es gerade angesprochen: Der Abtei Venio gehören – anders als in vielen anderen Klöstern – auch mehrere jüngere Schwestern an. Worin sehen Sie die Gründe hierfür?

Schwester Francesca: Ein Grund ist sicher, dass es sich bei der Abtei Venio um ein Stadtkloster handelt. Ein zweiter Grund ist, dass die Schwestern einen Beruf ausüben und – außer zum Gebet – Zivilkleidung tragen. Dadurch ist die Abtei Venio in Deutschland sehr attraktiv. In Tschechien hingegen haben wir keinen großen Zulauf, weil wir für die meisten Frauen kein „echtes“ Kloster sind.

Worauf möchten Sie als Äbtissin dieses Klosters Ihr Hauptaugenmerk legen?

Schwester Francesca: Auf die Partizipation aller Schwestern. Warum kann das Gebet im Refektorium zum Beispiel nicht eine Woche lang eine meiner Mitschwestern leiten – unabhängig davon, ob ich da bin oder nicht?

Möchten Sie auch Schritte in Richtung Ökumene unternehmen?

Schwester Francesca: Ökumene ist mein großes Thema. Da bin ich sehr gespannt auf neue Begegnungen im deutschen Sprachraum. Hier in Tschechien sind wirklich ökumenische Freundschaften entstanden.

Die Autorin
Karin Hammermaier
Münchner Kirchenzeitung
k.hammermaier@michaelsbund.de