mk online: In Ihrem Buch meditieren Sie über Stellen des Lukas-Evangeliums, die allesamt das Wort „heute“ beinhalten. Legt das Lukas-Evangelium einen besonderen Fokus auf das „heute“?
Abt Johannes: Es fällt auf, dass der Evangelist Lukas an ganz besonderen Stellen das Wort „heute“ bewusst einsetzt: „Heute ist euch der Retter geboren“ oder „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“. Damit soll gesagt werden, dass sich das Evangelium nicht irgendwann, sondern heute ereignet. Manchmal, gerade auch in der Kirche, schauen wir viel in die Vergangenheit, oder wir planen für die Zukunft, und dabei vergessen wir das Heute.
Machen wir beim Versuch, das Evangelium zu leben, oft den Fehler, zu viel zu wollen? Denken wir zu oft gleich an die Rettung der ganzen Welt, obwohl schon eine kleine gute Tat viel bewirken könnte?
Abt Johannes: Ich glaube, dass es eine Achtsamkeit braucht für das Heute. So haben ja auch die ersten Christen begonnen: „Heute will ich das Evangelium leben, will ich daran glauben, dass der Auferstandene mit mir ist, und anfangen!“ Und dann sind es oft die kleinen Dinge, wo das gelingt: Wo kann ich durch mein Wort jemanden aufrichten und da sein?
Sie schreiben: „Wir brauchen die Welt nicht zu erlösen, sie ist schon erlöst.“ Kann diese entlastende Erkenntnis neue Kraft für christliches Handeln freisetzen?
Abt Johannes: Wir können uns wirklich davon befreien, dass wir sagen: „Wir müssen die Welt retten“, nein, sie ist schon gerettet und erlöst, aber wir sollen auch mitwirken dabei. Wenn ich daran glaube, dass mir der Retter geboren ist, wird mich diese Botschaft befreien und dann werde ich aus dieser Botschaft heraus sagen können: „Ja, dann soll er auch durch mich zur Welt kommen!“
Könnte das, auf mich selbst bezogen, bedeuten: Nicht weil ich meinen Fehler wiedergutmache, verzeiht mir Gott, sondern weil mir meine Fehler von vornherein verziehen sind, habe ich die Kraft, sie hinterher tatsächlich wiedergutzumachen?
Abt Johannes: Genau! Das ist das große Geschenk, dass Gott sagt: „Ich bin der Retter der Welt und ich habe dich erlöst.“ Deswegen kann ich mich immer wieder an ihn hinkehren, auch wenn ich etwas falsch gemacht habe. Bei diesem Gott kann ich immer wieder neu anfangen.
An einer Stelle heißt es in Ihrem Buch: „Die Verheutigung des Wortes Gottes, des Evangeliums, ist niemals ein Kuschelkurs.“ Und an einer anderen: „Das Evangelium verheutigt sich in Schwächen und Wunden, in Defiziten und Brüchen.“ Kann ich denn nicht – etwa nach dem Vorbild Johannes Boscos – fröhlich sein, Gutes tun, die Spatzen pfeifen lassen und ein guter Christ sein? Muss ich zwingend einen schmerzhaften Prozess durchmachen?
Abt Johannes: Nein, das wünsche ich auch niemandem. Es ist ja schön, wenn man aus einer großen Freiheit heraus leben kann. Aber die schmerzhaften Prozesse gibt es eben auch. Zum Beispiel bei dem mitgekreuzigten Verbrecher, der ja erst in der Stunde seines Todes umkehrt und zu Jesus sagt: „Denk an mich!“